Nichts, aber auch gar nichts will dem Präsidenten und seiner Regierung mehr gelingen, seitdem – mehrere Wochen nach den Terroranschlägen Mitte November – wieder so etwas wie Normalität im Land eingekehrt ist und das politische Alltagsgeschäft wieder im Vordergrund steht.
Verfassungsreform – viel Lärm um nichts
Erst verordnete François Hollande dem Land diese Monate lange unsinnige Debatte über eine Verfassungsreform, bei der es darum gehen soll, den Ausnahmezustand und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Terroristen in der Verfassung festzuschreiben. Zu keiner Zeit konnten Präsident oder Regierung der französischen Öffentlichkeit erklären, was derartige Paragraphen im grundlegenden Text einer Verfassung zu suchen haben. Einfache Gesetze würden genügen.
Dazu kommt: Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Bürger, die wegen Terrorismus verurteilt sind, kann de facto nur für Franzosen gelten, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, und das sind in diesem Land nun mal rund 3,5 Millionen Bürger mit Wurzeln, die überwiegend in Nord- und in Schwarzafrika angesiedelt sind. Da diese Massnahme nie einen radikalisierten Islamisten davon abhalten würde, ein Attentat zu verüben, hätte sie also bestenfalls symbolischen Charakter. Ein Symbol jedoch, das mit den Fingern auf einen Teil der Franzosen zeigt und sagt: Ihr seid nicht gleich, seid anders als alle anderen Franzosen. Ein Schritt, der letztlich zwei Kategorien von Bürgern schaffen würde.
Als besonders desaströs für die Stimmung im linken Lager erweist es sich, dass jetzt ein sozialistischer Präsident und ein sozialistischer Premierminister mit dieser Massnahme wie aus heiterem Himmel ausgerechnet eine Forderung umsetzen wollen, mit der die rechtsextreme Nationale Front schon seit fast zwei Jahrzehnten hausieren gegangen war. Fast die Hälfte der sozialistischen Abgeordneten hatte vor wenigen Wochen in der Nationalversammlung gegen den Gesetzesvorschlag zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft gestimmt. Derzeit wird er von der 2. Kammer, dem Senat, gerade sorgsam zerpflückt und mit Abänderungen in einigen Wochen wieder vor der Nationalversammlung landen, und die Diskussion darf von vorne beginnen. Schon jetzt scheint klar: Diese Verfassungsänderung, für die es einer 3/5-Mehrheit im Kongress zu Versailles bedarf (vor der Versammlung aller Abgeordneten aus Nationalversammlung und Senat), wird nie zustande kommen. Am Ende wird einfach der Eindruck bleiben: viel Lärm um letztlich nichts.
Konfuse Regierungsumbildung
Dann folgte in diesem beginnenden Jahr 2016 auch noch eine Regierungsumbildung, deren Sinn nun wirklich niemand verstehen konnte und die definitiv klarmachte: Es gibt im Elysée nicht mehr die Spur einer Vision für die verbleibenden 14 Monate der fünfjährigen Amtszeit von Präsident Hollande. Den ehemaligen Premierminister Ayrault als Aussenminister wieder ins Boot holen? Wozu?
Ähnlich unerklärlich der Schritt, zwei Dissidenten der Grünen Partei, die schon seit Jahren um einen Posten als Minister oder Staatssekretär geschachert hatten, jetzt in die Regierung zu nehmen, nebst der bisherigen grünen Parteivorsitzenden, die sich angesichts ihres Opportunismus eigentlich nur noch in Grund und Boden schämen kann. Ein Coup, der höchstens dazu gut sein könnte, die ohnehin schon zerschmetterte grüne Partei Frankreichs endgültig zu begraben durch die Streitigkeiten, die dieser machtpolitische Winkelzug des Präsidenten unter den Überresten der ökologischen Partei zwangsläufig ausgelöst hat.
Warum der Präsident die Kulturministerin gefeuert hat, konnte ebenso von niemandem verstanden werden wie die Tatsache, dass der schwer angeschlagene Landwirtschaftsminister, der mit den Bauernverbänden nun wirklich nicht mehr kann, im Amt verblieben ist. Und dass die neue Kulturministerin nun ausgerechnet eine ist, die Hollandes schauspielernder Gefährtin nahesteht, macht das Ganze definitiv nicht besser.
Geblieben ist auch des Präsidenten treuester Weggefährte, Verteidigungsminister Le Drian, obwohl das eigentlich gar nicht geht. Schliesslich hatte sich der 73-Jährige bei den letzten Regionalwahlen zum Präsidenten der Region Bretagne wählen lassen, und eine derartige Ämterhäufung gehört seit François Hollandes Amtsübernahme 2012 im Prinzip der Vergangenheit an. Nun hat man sich über das Prinzip aber einfach hinweggesetzt, nach dem Motto: Was geht mich mein Geschwätz von gestern an.
Bezeichnend für die Stimmung, in der diese Regierungsumbildung über die Bühne ging: Präsident und Premier hatten gar ordentliche Schwierigkeiten, überhaupt Kandidaten zu finden, die auf ihr langsam sinkendes Schiff noch aufspringen wollten.
Arbeitsmarktreform – stümperhaft vorbereitet
Und jetzt auch noch diese Arbeitsmarktreform, die für mehr Flexibilität sorgen soll, indem sie den Kündigungsschutz und die Abfindungen nach Entlassungen reduziert und die Arbeitszeiten auf Unternehmensebene regeln möchte, damit aber die 35-Stunden-Woche de facto aushebelt. Die erste Version gelangte überstürzt an die Öffentlichkeit, und prompt ging ein Aufschrei der Empörung durchs gesamte Land, so laut wie schon lange nicht mehr. Die hoffnungslos zersplitterten französischen Gewerkschaften, die de facto kaum noch jemanden repräsentieren angesichts eines Organisationsgrads von gerade noch 5 Prozent, haben fast über Nacht eine schon lange nicht mehr dagewesene Einheitsfront gebildet. Eine Internetpetition gegen das Reformvorhaben hat in nur zwei Wochen 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt – ein bislang einmaliger Vorgang.
Prompt ruderten Präsident und Regierung jetzt wieder zurück, strichen eine ganze Reihe von wichtigen Punkten aus dem Gesetzesvorhaben, so dass am Ende von dieser Reform nicht mehr allzu viel übrig bleiben dürfte, es sei denn eine ganze Reihe von Unzufriedenen. Diese angesichts der Massenarbeitslosigkeit seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten von allen Seiten geforderte Reform für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, als grosse Reform am Ende der Amtszeit von Präsident Hollande angekündigt – die Regierung hat sie überstürzt, schlecht vorbereitet, ohne den nötigen Dialog eingebracht und das Ganze so schlecht gemanagt, dass es an Stümperhaftigkeit grenzt.
Ein Brandbrief von Marine Aubry
Dieses Vorgehen hat natürlich auch in der ohnehin angeschlagenen und heillos zerstrittenen sozialistischen Regierungspartei noch für zusätzliches Chaos gesorgt.
Wie eine Bombe hat in diesem Zusammenhang ein Gastbeitrag der ehemaligen sozialistischen Arbeitsministerin Martine Aubry in Le Monde eingeschlagen. Unter dem Motto: „Zu viel ist zu viel“ ohrfeigte sie mit diesem Brandbrief François Hollande für seine arbeitgeberfreundlichen Reformvorhaben und nutzte die Gelegenheit zu einer Art Generalabrechnung mit seiner Politik der letzten vier Jahre, die zu einer dauerhaften Schwächung der Linken, ja ganz Frankreichs geführt habe. Dabei geisselte sie auch die schändlich verzagte Haltung der Regierung in der europäischen Flüchtlingskrise, ihre mangelnde Solidarität mit dem Nachbarn Deutschland und verurteilte den Dolchstoss von Premierminister Valls gegen Angela Merkel aussergewöhnlich scharf.
Frankreichs Regierungschef hatte ausgerechnet auch noch in München, am Rande der Sicherheitstagung im Februar, die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin öffentlich kritisiert. Aubry, Jacques Delors Tochter, warf Valls vor, dass die Unanständigkeit seines Auftritts in München tiefe Wunden hinterlassen werde und schrieb dem Regierungschef ins Stammbuch: „Nein, Herr Premierminister, Angela Merkel ist nicht naiv. Nein, sie hat keinen historischen Fehler begangen. Nein, sie hat Europa nicht in Gefahr gebracht, sie hat Europa gerettet und es vor der Ehrlosigkeit bewahrt.“
Ende des Parti Socialiste?
Der Karren der sozialistischen Regierungspartei ist derartig verfahren, dass immer mehr Beobachter nicht ausschliessen wollen, der 1971 von Mitterrand neu gegründete „Parti Socialiste“ könnte in den nächsten Monaten sogar völlig auseinanderbrechen und am Ende der Regierungszeit von Präsident Hollande dastehen wie einst die Vorgängerpartei, die SFIO, während des Algerienkriegs.
Und dies in einem Moment, da das ganze Land – ob man das nun will oder nicht – bereits auf die Präsidentschaftswahlen 2017 starrt. Im Hinblick darauf erscheint die Sozialistische Partei wie gelähmt, unfähig, die da drohende Katastrophe abzuwenden. Nach den Schlappen der letzten zwei Jahre bei den Kommunal-, Europa-, Departements- und schliesslich den Regionalwahlen letzten Dezember ist die Partei jetzt auch personell und finanziell ausgeblutet. Abertausende haben ihre Mandate verloren, deren Mitarbeiter und Berater ihre Jobs, viele der in den letzten 20 Jahren geknüpften lokalen und regionalen Netzwerke haben sich aufgelöst.
Die ehemalige Volkspartei PS hat heute gerade noch 130'000 Mitglieder, viele von ihnen sind orientierungslos und resigniert. Ganz zu schweigen von Inhalten, Theorien und Strategien – dort herrscht die grosse, gähnende Leere und niemand kann sich heute vorstellen, wie von dieser Partei eine Dynamik ausgehen könnte, die für den kommenden Präsidentschaftswahlkampf unerlässlich wäre. François Hollande hat mit seiner Politik der letzten vier Jahre das eigene politische Lager ganz eindeutig in seinen Grundfesten erschüttert.
Sozialisten ohne Kandidat?
Bei Nachwahlen am letzten Wochenende für die Nationalversammlung in drei Wahlkreisen sind in zwei Fällen die sozialistischen Kandidaten gleich im ersten Wahlgang eliminiert worden mit 11 und 12 Prozent der Stimmen! Die Kandidaten der Nationalen Front erzielten jeweils doppelt so viele.
Und in den letzten Meinungsumfrage zeigten sich gerade noch 16 beziehungsweise 17 Prozent der Franzosen von Hollande und rund 25 Prozent von seinem Premierminister überzeugt. Die Situation der französischen Sozialisten und der gesamten Linken ist derart desolat und der Staatspräsident, dessen Worte inzwischen bei den Franzosen einfach ungehört verhallen, derartig angeschlagen, dass ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen eine erneute Kandidatur von François Hollande alles andere als selbstverständlich ist – eine in der Geschichte der präsidialen 5. Republik bislang einmalige Situation. Zumindest seit Giscard d'Estaing 1981 verstand es sich immer von selbst, dass der amtierende Präsident noch einmal antrat. Nicht so im Fall von François Hollande. Um jedoch einen anderen Kandidaten aufzubauen, ist die Zeit mittlerweile mehr als knapp und die Wahrscheinlichkeit heute immens, dass der Kandidat der Sozialisten im Frühjahr 2017, wie schon im Jahr 2002, über den ersten Wahlgang nicht hinauskommen wird.