Zweieinhalb Jahre lang hat sich François Hollande gewunden, seit Dienstagabend und der Bekanntgabe der neuen Regierung Valls II sind die Dinge nun endlich klar.
Der Sozialist Hollande macht auf Tony Blair. Der Mann, der im Wahlkampf 2012 noch getönt hatte, die Finanzwelt sei sein Feind, hat jetzt einen Spross der Finanzwelt zum Wirtschaftsminister bestellt. Emmanuel Macron, ein brillanter Ökonom aus Frankreichs Eliteschulen, der einst auch Philosophie studiert hatte und Assistent von Paul Ricœur war, kam vor zwei Jahren vom Bankhaus Rothschild direkt in die grosse Politik.
Luxus-Sherpa des Präsidenten
Als stellvertretender Generalsekretär im Elyséepalast und wirtschaftspolitischer Berater des Präsidenten war Macron seitdem die «rechte Hirnhälfte» von François Hollande. Macron ist ein bekennender Wirtschaftsliberaler und Befürworter einer strikten Sparpolitik.
Der 37-Jährige war seit 2012 der führende Man hinter den Kulissen bei G8, G20 und allen EU-Gipfeln, der Merkel-kompatible Luxus-Sherpa des Präsidenten, der auch in der vorhergehenden EU-Kommission hohes Ansehen genoss. Hollandes viel diskutierte Reichensteuer von 75 Prozent für Einkommen, die über einer Million liegen, kommentierte er einst lakonisch mit den Worten: «Das ist wie Kuba, nur ohne Sonne.»
Kurzum: Macron ist das strikte Gegenteil seines Vorgängers an der Spitze des Wirtschaftsministerium, Arnaud Montebourg.
Montebourgs folgenloses Pathos
Montebourg – er ist das Chamäleon aus dem linken Lager der Sozialisten, das masslos in sich selbst verliebte Enfant terrible der Partei, das in den letzten zwei Jahren erst als Industrie- und dann als Wirtschaftsminister den Wirtschaftspatriotismus auf seine Fahnen geschrieben hatte, von einer schliessenden französischen Fabrik zum nächsten angeschlagenen Unternehmen eilte, sich mit Pathos in Übernahmeschlachten zwischen Grosskonzernen einmischte, ständig so tat, als könne der Staat noch etwas retten und letztlich doch so gut wie nie etwas bewerkstelligen konnte.
Dieser gelernte Rechtsanwalt mit überdurchschnittlichem rhetorischem Talent hatte am letzten Sonntag bei einem traditionellen Sozialistenfest in der französischen Provinz die schwere Regierungskrise ausgelöst. Als amtierender Wirtschaftsminister hatte er – aufgeräumt, in sommerlicher Feststimmung und ein Champagnerglas in der Hand – in einer Art Medienshow die Wirtschaftspolitik seiner eigenen Regierung ausgesprochen harsch kritisiert.
Rote Linie überschritten
Ein wohl einzigartiges Paradox: Montebourg, der amtierende Wirtschaftsminister, sprach von einer Wirtschaftspolitik, mit der man das Land an die Wand fahre und nahm erneut das aus Deutschland kommende Spardiktat aufs Korn, welches jedes Wachstum im Keim ersticke. Eine andere Wirtschaftspolitik sei möglich, eine grundlegende Kursänderung nötig, so Montebourg.
Für Präsident Hollande und Premierminister Valls war damit eine rote Linie überschritten, wobei sich alle Welt fragt, warum der Präsident diesen Montebourg vor fünf Monaten überhaupt zum Wirtschaftsminister ernannt hatte. Denn die Positionen des Parteilinken waren hinlänglich bekannt. Vor zwei Jahren schon hatte er Angela Merkel eine bismarcksche Imperialpolitik vorgeworfen und seitdem keine Gelegenheit ausgelassen, die orthodoxe Politik der Kommission in Brüssel zu geisseln.
Parteichef wuchs nicht zum Staatschef
Die Antwort auf diese Frage fällt für Präsident Hollande nicht gerade schmeichelhaft aus. Der Staatschef wollte es, wie so oft, wieder mal möglichst allen Recht machen und erneut einen im Grunde unmöglichen Kompromiss finden. Er hoffte mit Montebourg im Wirtschaftsministerium den zusehends aufmüpfigeren linken Flügel der sozialistischen Partei und der Fraktion im Parlament ruhigstellen zu können.
Diese Rechnung ist, wie so viele andere, nicht aufgegangen, ja der Schuss ging nach hinten los. Auch im Fall Montebourg, wie schon bei anderen Gelegenheiten, hat Hollande gehandelt nicht wie ein Präsident der Republik, sondern wie der Vorsitzende der sozialistischen Partei, der er einst über ein Jahrzehnt lang gewesen war, bemüht um das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Strömungen. Denn im Grunde hatte Montebourg, nach dem klaren arbeitgeberfreundlichen Kurswechsel Hollandes Anfang 2014, im Wirtschaftministerium wahrlich nichts verloren.
Nun, mit der Nominierung eines ehemaligen Bankers zum Wirtschaftsminister, ist auch den Letzten in Frankreich klar geworden: Präsident Hollande verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die zwar die grundsätzliche Zustimmung von Brüssel und Berlin finden wird, für die aber er und seine sozialistische Parlamentsmehrheit vor mehr als zwei Jahren nicht gewählt worden sind.
Risiken des Kurswechsels
Damit geht Frankreichs Staatsoberhaupt jedoch ein beträchtliches Risiko ein, und es ist alles andere als sicher, dass Hollande gestärkt aus dieser Regierungsumbildung hervorgeht, bei der neben Montebourg noch zwei weitere Minister vom linken Flügel der Sozialisten das angeschlagene Schiff verlassen haben. Denn die Frage ist schlicht, ob der Präsident für diese Politik in den kommenden Monaten im Parlament noch eine Mehrheit hat.
Linkspartei und Kommunisten hatten ihm 2012 quasi von Anfang an die Zustimmung verweigert. Die Grünen machten sich vor fünf Monaten aus der Regierung davon, und selbst die alte linksliberale Radikale Partei droht regelmässig, die Gefolgschaft aufzukündigen. Die sozialistische Fraktion alleine verfügt mit 291 Sitzen gerade noch über eine Mehrheit von einem einzigen Sitz.
Aufstand bei den Sozialisten
Vor allem aber formieren sich seit Monaten innerhalb der sozialistischen Fraktion die Kritiker vom linken Flügel, die sogenannten «Aufständischen». Mehr als dreissig von ihnen hatten sich bei jüngsten Parlamentsabstimmungen bereits geweigert, für Gesetzesvorlagen ihrer Regierung zu stimmen. Nun, nach dem Rauswurf von Arnaud Montebourg und der Ernennung eines Anti-Montebourg zum Wirtschaftsminister, dürften es sogar noch mehr werden.
Einer der Aufständischen bezeichnete die Nominierung des ehemaligen Geschäftsbankiers Macron zum Wirtschaftsminister prompt als «erbärmliche Provokation», ein anderer drohte, jedes künftige Parlamentsvotum werde jetzt zu einem russischen Roulette für Regierung und Präsident. Die erste Nagelprobe für die neue Regierung Valls steht schon im Oktober an: Dann muss der Haushalt 2015 verabschiedet werden.
Die Krise beginnt erst
Aller Wahrscheinlichkeit nach beginnt die Krise, in der Frankreichs Präsident und seine Regierung stecken, jetzt erst richtig. Und es könnte sich sogar um eine Krise der Fünften Republik handeln. Denn die Verfassung dieser Republik bietet für die aktuelle Situation, für die tiefe Vertrauenskrise der Franzosen gegenüber ihrem Präsidenten und den regierenden Sozialisten praktisch keinen Ausweg.
Das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben würde – wie die Dinge zur Zeit liegen – bedeuten, dass der Präsident künftig mit einer gigantischen konservativen Mehrheit im Parlament und mit einer Regierung der Rechten zusammenleben müsste. Womit Frankreich für die nächsten zweieinhalb Jahre definitiv gelähmt wäre. Ganz zu schweigen davon, dass von den 290 sozialistischen Abgeordneten angesichts des Mehrheitswahlrechts dann vielleicht nur noch 50 übrigbleiben würden.
Sollte es in den nächsten Monaten bei einer der zahlreichen wichtigen Abstimmungen im Parlament aber tatsächlich dazu kommen, dass die Regierung keine Mehrheit mehr hinter sich hat, bliebe dem Präsidenten der Republik nichts anderes übrig, als das Parlament aufzulösen. Die Nationale Front, die Linkspartei und Teile der konservativen UMP jedenfalls werden seit 48 Stunden nicht müde, dies zu fordern: Dem französischen Wähler sei wieder das Wort zu erteilen.
Rückzug wie De Gaulle 1969?
Als zweite und letzte Möglichkeit, auf die Krise zu reagieren und die restlichen zweieinhalb Jahre seines Mandats nicht einfach auszusitzen, bliebe Staatspräsident Hollande nur noch der Weg des Rücktritts. Ein, trotz allem, nicht sehr wahrscheinlicher Schritt.
Ein Präsident der Fünften Republik hat dies jedoch schon einmal vorexerziert, wenn auch formal hinter einem Referendum versteckt, bei dem er von vorneherein wusste, dass die Franzosen es abschmettern würden: Charles De Gaulle, 1969. Als dem General nach dem Mai 68 klar geworden war, dass er mit der Mehrheit der Franzosen nicht mehr im Einklang stand und nicht mehr in der Lage war, der Politik neues Leben einzuhauchen, zog er sich auf diese verschnörkelte Art zurück.
François Hollande wird das wohl kaum tun. Also wird der Unmut in der französischen Bevölkerung mehr als zwei Jahre lang weiter gären, weil die Mechanismen der Fünften Republik für eine Situation, wie sie heute in Frankreich herrscht, kein Ventil vorgesehen haben und somit keine Kompromisslösung ermöglichen.
Le Pen wartet geduldig
Dabei ist heute schon glasklar, wem diese verfahrene, blockierte Situation am Ende quasi unausweichlich dienen wird: Marine Le Pen und der rechtsextremen Nationalen Front.
Der französische Karren steckt inzwischen so tief im Dreck, dass man heute nur hoffen kann, die völlig ramponierte, von Skandalen und Grabenkriegen gebeutelte UMP Partei möge in den nächsten Monaten zumindest wieder einigermassen auf die Beine kommen, damit ihr Kandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 in der Lage ist, gegen Marine Le Pen in die Stichwahl zu gelangen.
Denn sollte es ein Kandidat der Linken sein, der es in den entscheidenden zweiten Durchgang schafft, möchte man bei der heutigen Stimmung im Land nicht mehr die Hand dafür ins Feuer legen, dass Marine Le Pen in diesem Fall nicht zumindest gefährlich nahe an die Fünfzig-Prozent-Marke heran rückt. Dass die rechtsextreme Kandidatin 2017 nach dem ersten Wahlgang aller Voraussicht nach sogar an erster Stelle liegen wird, erscheint schon heute von Monat zu Monat immer wahrscheinlicher.