Der erste Eindruck ist überwältigend. Die Bilder in den Ausstellungsräumen überraschen mit ihrer Präsenz. Manche Bilder sind so plastisch, dass sie fast dreidimensional wirken. Und trotz aller Dynamik strahlen sie Ruhe aus.
Der Betrachter spürt sofort, dass er es hier mit ganz grosser Fotografie zu tun hat. Und den Kuratoren ist es gelungen, mit ihrer Bildauswahl eines erst vor Kurzem zugänglich gemachten Archivbestands von einigen Hundert Glasnegativen eine Atmosphäre der Stimmigkeit zu erzeugen. Das ist ein guter Ausgangspunkt zum Verständnis der ineinander verwobenen Geschichten von Werner und Rosellina Bischof.
Bevor man die Räume mit den Bildern von Werner Bischof betritt, trifft man im Foyer auf die parallel erzählten Lebensgeschichten von beiden. Rosellina war während der acht Jahre, die sie miteinander verbringen konnten, die grosse inspirierende Kraft in seinem Leben und wurde nach seinem plötzlichen Tod zu einer ebenso engagierten wie klugen und kompetenten Vertreterin seines Werkes.
Ursprünglich wollte Werner Bischof Maler werden. Sein Lebensweg führte ihn aber zunächst an die Kunstgewerbeschule Zürich und dort in die «Fotoklasse» von Hans Finsler. Die Auseinandersetzung mit der formalen Gestaltung von Fotos stand somit am Anfang des Weges von Werner Bischof. Er wurde der erste Meisterschüler von Hans Finsler.
Wegen der Malerei hielt er sich zeitweilig in Paris auf, kehrte aber 1939 wegen des Kriegsausbruchs in die Schweiz zurück und wurde zum Militär eingezogen. Aber schon 1942 wurde Bischof ständiger freier Mitarbeiter der 1941 gegründeten Zeitschrift «Du». Diese Zeitschrift gab dem Verlag Conzett & Huber die Möglichkeit, einem breiten Publikum die hohe Qualität seiner Drucktechnik vor Augen zu führen. Dazu gehörte auch die Verwendung des Farbdrucks. Nun stellte der Verlag Werner Bischof eine aufwendig konstruierte und entsprechend kostspielige amerikanische Kamera für Farbaufnahmen zur Verfügung. Es handelte sich um die Devin Tri-Color Kamera.
Diese Kamera belichtete bei jeder Aufnahme drei Glasnegative, vor die jeweils ein roter, ein grüner und ein blauer Filter gesetzt waren, so dass jedes Negativ den entsprechenden Farbraum abbildete. Für den Druck wurden diese drei Negative übereinander kopiert und die entsprechenden Farben eingesetzt. Dabei mussten die Fachleute selbst beurteilen, welche Farbmischung dem Abgebildeten am ehesten entsprach.
In der Ausstellung ist die Devin Tri-Color Kamera zu sehen. Die Bilddrucke wiederum werden heute mittels digitaler Technik angefertigt, aber jedes Bild hat eine derart eindrückliche spezielle Qualität, dass die dahinter stehende eigentümliche Technik zum Ausdruck kommt. Allein schon deswegen lohnt sich der Besuch der Ausstellung, denn die Abbildungen in dem an sich vorzüglichen Begleitband können natürlicherweise diese Qualität nicht erreichen.
Die Devin Tri-Color Kamera war unhandlich, erforderte ein Stativ und vergleichsweise lange Belichtungszeiten. Entsprechend musste sich Werner Bischof bei der Auswahl seiner Motive und Aufnahmesituationen auf diese Bedingungen einstellen. Und die Tatsache, dass er nun die Farbe als Bildelement und Ausdrucksmittel verwendete, erforderte einen anderen Blick und eine andere Bildgestaltung. Die meisten seiner Kollegen lehnten damals die Farbfotografie ab, weil sie in ihr eine Konzession an den Massengeschmack sahen, die sich mit den grafischen Prinzipien der Schwarz-Weiss-Fotografie überhaupt nicht vertrug. Trotz seiner Hinwendung zur Farbe blieb Bischof der Schwarz-Weiss-Fotografie verbunden.
Kamera und Bildgestaltung
Im Laufe der Zeit verwendete Werner Bischof auch die Rolleiflex und Leica. Das quadratische Mittelformat der Rollei hatte für die Bildkomposition eine andere Bedeutung als das 24x36 mm Format der Leica. Entsprechend sind die Ausstellung und das Begleitbuch nach diesen drei Kameras gegliedert. Es ist eindrucksvoll, einmal zu sehen, wie stark das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kameratypen mit dem Fotografen Werner Bischof verschiedenartige Kompositionen hervorruft. In der heutigen digitalen Welt dürften solche Gedanken und Konsequenzen kaum noch vorkommen.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bereiste Werner Bischof, zunächst per Fahrrad nach Süddeutschland, das zerstörte Europa. Das Erlebnis von Elend und Leid liess ihn an seiner bisherigen Arbeit zweifeln: Hatte er nicht eine allzu heile, allzu schöne Welt gezeigt? Musste Fotografie nicht eine ganz andere Aufgabe übernehmen, nämlich sich engagiert für eine friedliche und gerechte Welt einsetzen? – In derselben Zeit verfolgte seine zukünftige Frau Rosellina ähnliche Gedanken und praktizierte sie.
Rosa Helene Mandel, so ihr Geburtsnahme, war die Tochter eines ungarisch-tschechischen Emigrantenehepaares in Zürich. Nach Kriegsende wollte sie nach Rimini, um dort als diplomierte Kindergärtnerin in einem Kinderheim zu arbeiten. Auf dem Weg dorthin begegnete sie am 20. Oktober 1946 bei einem Zwischenhalt in Mailand Werner Bischof. In der Folge entstand ein lebhafter Briefwechsel, und im Dezember 1949 heirateten sie. Werner Bischof, der international immer bekannter wurde und pausenlos auch in Asien, Amerika und Lateinamerika unterwegs war, wurde von ihr auf mehreren Reisen begleitet. Dabei stellte sie die Fotos mit den Bildlegenden für die Redaktionen zusammen.
Nach einer Reise durch Amerika flog Rosellina, mit dem zweiten Kind schwanger, nach Zürich zurück, und er reiste nach Peru. Am 16. Mai 1954 verunglückte Werner Bischof tödlich, als sein Auto in den Anden in eine Schlucht stürzte.
Was folgte, ist eine ebenso berührende wie bewundernswerte Geschichte. Denn Rosellina erwies sich als eine einzigartig energische und kompetente Sachwalterin des fotografischen Erbes ihres Mannes. Das Schicksal wollte es, dass ihr dabei Cornell Capa, der Bruder des ebenfalls 1954 tödlich verunglückten Fotografen und Magnum-Kollegen von Werner Bischof, Robert Capa, zur Seite stand. Genau wie sie es für ihren Mann beabsichtigte, wollte auch er die Bilder seines Bruders lebendig erhalten. Dazu veranstalteten sie eine internationale Ausstellung, die später auch in Zürich gezeigt wurde und in der Folge über weitere Ausstellungen zur Gründung der «Stiftung für Fotografie», später «Fotostiftung Schweiz», führte.
Rosellina Bischof, später Burri-Bischof, wurde aufgrund ihrer hohen Kompetenz auch die Leitung von «Magnum Photo Schweiz» in den Jahren 1956 bis 1968 anvertraut. Zugleich spielte sie eine wichtige Rolle in der «Stiftung für Fotografie». So führte sie zusammen mit Walter Binder diese neue Institution und war massgeblich an der ersten Ausstellung «Photographie in der Schweiz – 1840 bis heute» beteiligt.
Während die Räume der Ausstellung von Werner Bischof vollkommen von seinen Bildern dominiert werden und man zum Beispiel wenig darüber erfährt, wie er insbesondere in seinen späteren Jahren mit dem sensationslüsternen Fotojournalismus gehadert hat – sehr gut beschrieben in dem Begleitband –, bietet die Ausstellung von Rosellina Burri-Bischof viele Fotos und Dokumente aus ihrem privaten und beruflichen Umfeld. Ein Foto zeigt sie zusammen mit Inge Bondi, Mitarbeiterin des Magnum Office in New York, am Flughafen Zürich. Ein kraftvolles Bild.
Werner Bischof – Unseen Colour, bis 28.01.2024, Fotostiftung Schweiz, Grüzenstrasse 45, Winterthur
Rosellina – Leben für die Fotografie, bis 28.01.2024, Fotostiftung Schweiz, Grüzenstrasse 45, Winterthur
Werner Bischof: Unseen Colour. Herausgegeben von Ludovica Introni und Francesca Bernasconi. In Zusammenarbeit mit dem MASI Lugano und der Fotostiftung Schweiz, Winterthur, 184 Seiten, 102 farbige Abbildungen, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2023