Aus dem Nachlass von Werner Bischof sind Farbfotografien restauriert und jetzt erstmals publiziert worden. Diese Bilder markieren eine Wende in der Geschichte der Fotografie. Aus heutiger Sicht ist die Hinwendung zur Farbfotografie besonders aufschlussreich.
Schwarz-Weiss-Fotografien sind heute die eher seltene Ausnahme. In der Werbung werden sie wie Ausrufezeichen verwendet, um zusätzliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. In den ersten Jahrzehnten der Fotografiegeschichte waren sie allerdings schon deswegen der Normalfall, weil die Farbmaterialien erst nach und nach auf den Markt kamen.
Abgrenzung zur Malerei
In den Reihen der anspruchsvollen Fotografen, die mit ihren Arbeiten in Zeitschriften, Büchern und Ausstellungen die Massstäbe setzten, hatte die Konzentration auf schwarz-weisse Bilder zentrale Bedeutung. Denn ihnen kam es auf den grafischen Bildaufbau an, der in der Abstraktion von der Farbe auf Grautöne in besonderem Masse zur Geltung kommt. Man darf auch nicht vergessen, dass in den Anfängen der Fotografie das Thema der Abgrenzung zur Malerei diskutiert wurde. Und da sahen führende Köpfe ein wesentliches Merkmal darin, dass die Malerei mit Farben arbeitet, die Fotografie aber grafische Akzente mit Hilfe der puristischen Grautöne setzt.
Werner Bischof gehörte seit 1949 zur damals führenden Fotografenagentur Magnum. Aber nicht nur die dort versammelten Fotografen sahen insbesondere in ihren Schwarz-Weiss-Reportagen, die auch in amerikanischen Zeitschriften wie «Life» erschienen, eine Eindringlichkeit, die mit Farbfotografien nicht erreicht würde.
Denn die Reportage-Fotografen assoziierten mit Farbbildern in erster Linie Mode- und Werbefotografie, die nichts weiter wollte, als eine idealisierte Welt verkaufsträchtig ins Bild zu setzen. Der Schritt zum Kitsch war nicht weit, und man versteht, warum die erste Ausstellung im MoMA mit Farbfotografien im Jahr 1950 in der Fachwelt zum Teil helle Empörung auslöste. Es bedurfte der Autorität eines Edward Steichen, um überhaupt ein solches Wagnis eingehen zu können. Und bis zur nächsten Ausstellung dieser Art dauerte es bis 1976. Damals riskierte der legendäre Kurator John Szarkowski im MoMA Ausstellungen mit William Eggleston und Stephen Shore. Bis heute ist lesenswert, mit welcher Gehässigkeit damals die «New York Times» über Eggleston herzog. Der gehört aber heute zu den Säulenheiligen der Fotografie.
Gestaltende Elmente
Die Begleittexte im Band zum Nachlass der Farbbilder von Werner Bischof thematisieren diese Problematik. Farbe stellt für einen Schwarz-Weiss-Fotografen eine enorme Herausforderung dar, denn er muss sie als ein gestalterisches Element verwenden, das nicht unter dem Niveau seiner bisherigen Kunst rangiert.
Peter Pfrunder beschreibt eindrücklich, welch grosse Rolle die Farbe in einem Foto von einem Kindergesicht gespielt hat, das zum Titelbild einer Ausgabe der Zeitschrift «Du» wurde. Dieses Gesicht wurde durch Splitter einer sogenannten Baby-Mine, einem bleistiftgrossen Sprengkörper, den deutsche Soldaten in Häusern und auf Spielplätzen perfide hinterlegt hatten, entstellt. Die vielen kleinen, aber gravierenden Wunden wurden erst durch die Farbe sichtbar. In Schwarz-Weiss hätte Bischof diesen Eindruck nicht vermitteln können.
Dieses Beispiel wirkt vielleicht etwas trivial. Anspruchsvoller wird es, wenn der Fotograf die Farbe als ästhetisches Gestaltungselement ebenso einsetzt, wie er es mit Flächen und Symmetrien macht. Dabei spielt die jeweilige Kamera auch eine Rolle. Die Bilder in dem Band «Unseen Colour» sind in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste Abschnitt enthält Aufnahmen, die Bischof mit einer Devin Tri-Color-Kamera zum Teil im Studio, zum Teil während mehrerer Reisen im Nachkriegseuropa gemacht hat. In dieser recht grossen und entsprechend unhandlichen Kamera wurden drei Glasplatten, die mit Farbfiltern versehen waren, belichtet. Diese Technik erforderte vergleichsweise lange Belichtungszeiten, so dass ein Stativ verwendet werden musste. Besser handhabbar war eine 6x6 cm Rolleiflex. Im dritten Abschnitt sind Bilder zusammengestellt, die mit der handlichen Leica gemacht wurden – der damaligen Reportagekamera schlechthin.
Zweifel
Werner Bischof war zu seiner Zeit ein international gefragter Fotograf mit grösster Reputation. Aber der Erfolg machte ihn nicht blind für die Fragwürdigkeit der damaligen Pressefotografie. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Ästhetik. Das Ethos vieler Fotografen gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und zu Beginn des Korea-Krieges, später des Vietnam-Krieges bestand darin, mit ihren Bildern aufrütteln zu wollen, um der Gewalt als Mittel der Politik ein Ende zu setzen. Werner Bischof, der einige Reisen durch das kriegszerstörte Europa unternommen hatte und später aus Asien und Lateinamerika berichtete, sah seine Arbeit aber zunehmend illusionslos. Er schrieb 1951 während des Koreakrieges über die Fotografen und Journalisten: «Mir erscheinen sie wie ‘Hyänen der Schlachtfelder’, immer auf Sensation aus.»
Bei allen Zweifeln aber blieb Werner Bischof ein leidenschaftlicher Fotograf, der auf zahlreichen Reisen Bilder schuf, die bis heute unmittelbar berühren. 1954 bereiste er Mexiko und einige Länder in Südamerika. Am 16. Mai 1954 erlitt er einen tödlichen Unfall, als sein Auto in den peruanischen Anden in eine Schlucht stürzte.
Werner Bischof: Unseen Colour. Herausgegeben von Ludovica Introni und Francesca Bernasconi. In Zusammenarbeit mit dem MASI Lugano und der Fotostiftung Schweiz, Winterthur, 184 Seiten, 102 farbige Abbildungen, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2023