Was können alteingesessene bürgerliche Parteien tun, wenn sie Wahlen ohne absolute Mehrheit gewinnen und ohne Partner von Rechtsaussen regieren wollen? In der portugiesischen Inselregion Madeira hat sich eine ungewöhnliche Notlösung gefunden – aber kein Patentrezept.
In der portugiesischen Inselregion Madeira, bekannt als sonniges Ferienziel und Heimat des Fussballstars Ronaldo, haben 47 Jahre lang klare politische Verhältnisse geherrscht. Seit 1976 bildet Madeira – ebenso wie die Azoren – innerhalb der portugiesischen Republik eine Autonome Region. In ihrer Hauptstadt, Funchal, hat ununterbrochen der bürgerliche Partido Social Democrata (PSD) den Chef der Regionalregierung gestellt. Immerbin bis 2019 hatte PSD allein die absolute Mehrheit im Regionalparlament, die diese Partei vor vier Jahren verlor. Sie hat seitdem eine Koalition mit dem konservativen kleinen Partido Popular (CDS-PP) geführt.
Die rechte Wählerbasis zersplittert sich
Und gerade jetzt, da die Parteien des bürgerlichen Lagers auf Landesebene vom wachsenden Verdruss über die regierenden Sozialisten profitieren wollen, hat eine Allianz dieser beiden Parteien bei der Regionalwahl am letzten Sonntag nur 23 der 47 Sitze im Inselparlament errungen – und so ihre absolute Mehrheit verloren. Was ist passiert? Was tun?
Die Parteien des bürgerlichen und rechten Lagers in Portugal mögen sich insgesamt im Aufwind fühlen. Ebenso wie auf landesweiter Ebene – und wie etwa auch in Spanien oder Deutschland – fragmentiert sich allerdings ihre Basis. Immerhin vier Sitze im Regionalparlament von Madeira errang jetzt die rechtsextrem-xenophobe Partei Chega, ein weiteres Mandat entfällt auf die liberal-populistische Iniciativa Liberal (IL). Chega und IL zogen 2019 erstmals ins nationale Parlament ein. Chega stellt dort seit der Wahl von Januar 2022 mit 12 Abgeordneten die drittstärkste Fraktion – nach den Sozialisten, die über die absolute Mehrheit verfügen, und dem PSD – und IL mit 8 Mandaten die viertstärkste.
Auf Landesebene sieht sich PSD-Chef Luís Montenegro mit der Frage konfrontiert, ob er sich im Falle eines Wahlsieges ohne absolute Mehrheit mit Chega verständigen könnte – ähnlich wie in Spanien der PP von Alberto Núñez Feijóo mit den Rechtsextremisten von Vox. «Wir werden weder Madeira noch das Land mit Unterstützung von Chega regieren», versicherte Montenegro gleich nach der Wahl auf Madeira – eine Region mit knapp über einer Viertelmillion Einwohnern, bestehend aus der Hauptinsel Madeira, der kleinen Nachbarinsel Porto Santo sowie den unbewohnten Inselgruppen Selvagens und Desertas.
Die extreme Rechte ausgetrickst?
Rund einen Monat vor der Wahl hatte der Chef der Regionalregierung, Miguel Albuquerque, in einem Interview eine Verständigung mit Chega nicht ganz ausgeschlossen. Er gab sich aber davon überzeugt, dass dies «nicht nötig sein» werde und äusserte Vorbehalte gegenüber dieser Partei, aber nicht etwa wegen ihrer xenophoben Ausrichtung, sondern wegen einer zentralistischen Politik anderer rechtsextremer Parteien in Europa. Auf Madeira gilt die regionale Autonomie als wichtige Errungenschaft.
Gleich am Tag nach der Wahl fand Albuquerque eine andere, überraschende Lösung. Er verständigte sich mit der kleinen Partei für Menschen, Tiere und Natur (Pessoas, Animais, Natureza – PAN), die nur einen Sitz errang und ein eher linkes Publikum anspricht, über eine parlamentarische Duldung einer Minderheitsregierung. Albuquerque musste hierfür einige Bedingungen akzeptieren. Dazu gehören – wohl sehr zum Ärger der mächtigen Tourismus-Lobby – die Einführung einer Touristensteuer, kostenlose Impfungen für Haustiere und Beihilfen für deren Sterilisierung ebenso wie Mietzuschüsse, Vergünstigungen für die Nutzer öffentlicher Transportmittel und Hilfen für die Opfer häuslicher Gewalt.
Der landesweite Chega-Vorsitzende, André Ventura, dürfte nach der Wahl erst seine seine grosse Chance gewittert haben, das Zünglein an der Waage zu bilden und auf regionaler Ebene ein Wort mitzureden. Doch seine Partei sah in der Vereinbarung mit PAN dann einen «schweren Verrat». Aber auch im Lager der Koalitionsparteien PSD und CDS-PP erklang Kritik. Einige namhafte Figuren hätten eine Vereinbarung mit dem einzigen Abgeordneten der IL bevorzugt.
Wenigstens auf regionaler Ebene – und zumindest vorerst – kommt der PSD also ohne die lästigen Rivalen aus. Von Madeira soll wohl die Botschaft ausgehen, dass diese Partei auch auf landesweiter Ebene möglichst nicht im Bunde mit Hilfe von Rechtsaussen regieren will – wobei die nächste Wahl des nationalen Parlamentes regulär erst 2026 fällig ist. Zudem fehlte Albuquerque auf Madeira nur ein Sitz zur absoluten Mehrheit. Eine ähnliche Lösung wie die, die er jetzt fand, wäre auf landesweiter Ebene also nur bei einem sehr knappen Wahlausgang möglich – und ist sicher kein Patentrezept.
Jahrzehnte der politischen Starre
Madeira tickt politisch derweil auch etwas anders als das übrige Land. Auf Madeira haben PSD und CDS-PP die erhoffte – und in Umfragen vorhergesagte – absolute Mehrheit verfehlt. Eine noch herbere Enttäuschung erlitten in der Inselregion die Sozialisten, die im 47-köpfigen Parlament nur noch 11 Abgeordnete stellen, 8 weniger als bisher.
Offenbar wächst einerseits das Unbehagen über eine politische Starre in der Region, die trotz eines regen touristischen Andrangs und einer Offshore-Zone immer schon zu Portugals ärmsten gehört. Auf Madeira herrschten jahrelang sehr seltsame politische Verhältnisse.
An der Spitze der Regionalregierung stand von 1978 bis 2015 – also 37 Jahre lang, etwas länger als einst Diktator Salazar, der 36 Jahre lang in Lissabon regierte, von 1932 bis 1968 – der jetzt 80-jährige Alberto João Jardim mit einem autoritär-populistischen Stil und einem äusserst lockeren Mundwerk. Er diagnostizierte einmal, dass in Lissabon drei Lobbys bestimmten – eine Medien-, eine Schwulen- und eine Drogenlobby. Er bezeichnete Journalisten als «Bastarde», um sie, wie er sagte, sie nicht «Hurensöhne» nennen zu müssen. Und er unterteilte Freunde und Feinde in «Madeirenses» und «Cubanos». Jardim wetterte oft und laut gegen einen «Kolonialismus» vom Festland, allerdings weniger mit separatistischen Ambitionen als mit dem Ziel, bei der Zentralmacht noch mehr Geld locker zu machen, um die bergige und unwegsame Insel mit Schnellstrassen zu überziehen.
Jardim konnte ein weitgehend vollendetes Werk vorweisen, schuf auf Madeira nach Ansicht von Kritikern aber auch ein fast sowjetisches Netz von Abhängigkeiten. Sein Stil war noch autoritärer als einst der von CSU-Chef Franz-Josef Strauss in Bayern. Auch für Parteifreunde in Lissabon war Jardins rüde Art oft peinlich. Die meisten machten aber gute Miene zum bösen Spiel und liessen ihn reden, war Madeira doch eine sichere PSD-Hochburg. In einer Zeitungskolumne schmückte ihn der linke Historiker Fernando Rosas einmal mit dem an die Nazizeit erinnernden deutschen Begriff «Gauleiter».
Die Sozialisten bieten keine überzeugende Alternative
Die Sozialisten haben sich in der als Erbhof der bürgerlichen PSD geltenden Region nie als wirkliche Alternative profilieren können. Obendrein ist klar, dass sie auch mit ihrer absoluten Mehrheit auf Landesebene mit vielen praktischen Problemen überfordert sind. Wenn das internationale Ansehen auf dem Spiel steht, geht in Portugal zwar alles erfahrungsgemäss wie am Schnürchen – wie Anfang August beim katholischen Weltjugendtag in Lissabon.
Doch alljährlich erlebt Portugal zu Beginn eines jeden neuen Schuljahres derweil chaotische Verhältnisse, da es nicht gelingt, allen Schulen die nötigen Lehrkräfte zuzuteilen. Lehrerinnen und Lehrer ohne Planstellen werden oft Schulen in anderen Landesteilen zugewiesen und haben es wegen der explodierenden Mieten schwer, Unterkünfte zu finden. Mitte September, als das Schuljahr 2023/4 begann, hatten nach gewerkschaftlichen Angaben landesweit 92’000 Schülerinnen und Schüler keine vollständigen Stundenpläne.
Personalmangel und gute Kassenlage auf nationaler Ebene
Im staatlichen Gesundheitsdienst geht ein chronischer Personalmangel mit Gerangel zwischen Berufsverbänden und Regierung einher. Immerhin fast 1,7 Millionen Menschen haben in den Gesundheitszentren nicht einmal einen «médico de família», das portugiesische Äquivalent zu Hausärztinnen und -ärzten. Auch die Reihen der Streitkräfte lichten sich. Nach 738 Abgängen allein in diesem Jahr ist ihr Personalstand seit 2011 um fast ein Drittel gesunken, von 34’514 auf jetzt 23’558. Im Raum steht die Frage, ob sie ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufnehmen sollen.
Wenigstens kurzfristig ist der Staat nicht einmal knapp bei Kasse. Vor dem Hintergrund einer relativ guten Wirtschaftslage und der Inflation, die den Erlös an indirekten Steuern in die Höhe treibt, nimmt der Fiskus viel mehr an Steuern ein, als vor Jahresfrist erwartet. Für das ganze Jahr hatte Finanzminister Medina sich eigentlich ein Haushaltsdefizit von 0,4 Prozent veranschlagt. Nachdem er das erste Halbjahr mit einem Überschuss von 1,1 Prozent geschlossen hat, wäre ein Plus am Jahresende für niemand eine Überraschung. Weil die Zinsen steigen, rüstet die Regierung für harte Zeiten. Aber das macht sie heute nicht populär.