Auch Portugal registriert eine wachsende Zahl von Infektionen mit dem neuen Coronavirus. In den letzten Tagen kamen meist über 300 wenn nicht gar mehr als 400 Fälle hinzu. Für die Touristikbranche in der Südregion Algarve wird dieser Sommer aber etwas weniger schlecht, als vor einigen Wochen zu erwarten war. Seit dem 22. August müssen Urlauber aus dem Vereinigten Königreich bei der Rückkehr nicht mehr in Quarantäne (ausser neuerdings Reisende aus Wales). Vor lauter Freude über die Flugzeuge mit britischen Touristen, die wieder in Faro landeten, fragte niemand, wie viele der Passagiere das Coronavirus „mitbringen“ könnten.
Schritte zur möglichen Normalität
Schon am 12./13. waren Pilger aus dem In- und Ausland – obwohl viel weniger zahlreich als sonst – erstmals in diesem Jahr in den Wallfahrtsort Fátima geströmt. Sie kamen zum Jahrestag der vierten Marienerscheinung von 1917 (die Erscheinungen werden am 12./13. aller Monate von Mai bis Oktober gefeiert). In einem Park von Lissabon eröffnete vor einigen Tagen, drei Monate später als gewohnt, die jährliche Freilicht-Buchmesse. Obwohl sich dort dieses Jahr maximal 3’300 Personen gleichzeitig aufhalten dürfen, ist der Sicherheitsabstand nicht immer gesichert. Aber das scheint niemanden vom Besuch abzuhalten.
Die Flugzeuge mit Touristen, die Wallfahrt und die Buchmesse gelten in dieser pandemischen Zeit als Schritte zur jetzt möglichen Normalität. Am Plan der kommunistischen Partei (PCP), an diesem Wochenende auf einem Gelände bei Lissabon das jährliche Fest ihrer Zeitung „Avante“ abzuhalten, aber scheiden sich die Geister. Einige gehässige Reaktionen erinnern an die Zeiten, in denen Kommunisten angeblich kleine Kinder frassen.
Diese stärkste kommunistische Partei in Westeuropa stellt immerhin noch 10 der 230 Abgeordneten des Parlaments und gut 20 der 308 Bürgermeister im Land. Sie gehörte in der vergangenen Legislaturperiode (2015–2019) zu den Mehrheitsbeschaffern der sozialistischen Minderheitsregierung von António Costa, der es gelang, krisenbedingte Massnahmen der Austerität abzubauen und doch das Staatsdefizit deutlich zu drücken. Für Costa waren die Kommunisten loyale Partner, die anspruchsvoll waren, öfter aber auch über ihren Schatten sprangen.
Ein Kuhhandel um das Staatsbudget 2021?
Vor ihrem Fest äussern Kritiker jetzt nicht nur Vorbehalte bezüglich der Gesundheit. Manche wittern einen Kuhhandel mit der Regierung von Costa, weil sie den PCP das Fest, wenngleich mit strengen Auflagen der Gesundheitsbehörde, feiern lässt. Costas Regierung bastelt gerade am Staatsbudget 2021, für dessen Billigung die Sozialisten im Parlament auf Fremdstimmen angewiesen sind. Zu Beginn der letzten Legislaturperiode hatte er sich mit den kleineren linken Parteien noch auf „gemeinsame Positionen“ verständigt und sich damit Mehrheiten gesichert. Er hat seit der Wahl von 2019 aber keinen festen Mehrheitsbeschaffer mehr.
In einem Interview wünschte sich Costa für das Budget kürzlich eine linke Mehrheit, mit Blick auf die Kommunisten und die mit ihnen verbündeten Grünen, auf den alternativen Linksblock und die Partei für Menschen, Tiere und Natur PAN. Ohne Konsens über das Budget, sagte Costa, gebe es eine politische Krise, und da werde sich nur noch die Frage stellen, wann der Staatspräsident das Unvermeidliche tun müsse. Costa meinte damit die Auflösung des Parlaments und die Ansetzung vorzeitiger Neuwahlen. Eine politische Krise würde lange dauern. Laut Verfassung könnte Präsident Marcelo Rebelo de Sousa das Parlament in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit, die am 8. März 2021 endet, nämlich nicht auflösen. Es wird erwartet, dass er bei der Direktwahl im Januar erneut antritt.
Rechtspopulisten setzen Akzente
Sollte Costa hoffen, die Kommunisten durch die Tolerierung ihres Festes ködern zu können? Hätten die Kommunisten ihr Fest besser absagen sollen? Auch manchen Sympathisanten ist bei dessen Abhaltung nicht wohl. Selbst im Zentralkomitee soll erwogen worden sein, es dieses Jahr abzublasen. Vielleicht hat die Partei unterschätzt, wie sehr die Covid-bedingten Einschränkungen an den Nerven des Volkes zehren.
Im Land grassiert aber auch ein anderer Virus, der ein Klima der Intoleranz nährt und zur Verhärtung der Fronten beiträgt – des Rechtspopulismus. Bei der Wahl von 2019 zog die rechtsextreme Partei „Chega“ („Es reicht“) erstmals ins Parlament ein, zwar nur mit einem Abgeordneten, André Ventura. Er hat jedoch viele Menschen mit einem latenten Hang zur Fremdenfeindlichkeit aus ihrer Reserve gelockt. Ventura ruft nach hartem Durchgreifen gegen Verbrechen und Korruption und er verbreitet eine Art von homöopathischem Rassismus. Wenn er Minderheiten beim Namen nennt, dann eher Roma, die weit mehr am Rande der Gesellschaft leben als etwa die Schwarzen, die – trotz Vorurteilen – nach dem politisch korrekten Verständnis irgendwie zur „Familie“ gehören. Wettert er dann gegen die Angehörigen von Minderheiten, die neben Rechten auch Pflichten haben, dann nicken schnell auch so manche weissen Landsleute, die mit Mini-Renten über die Runden kommen müssen. In den sozialen Netzwerken machen immer mehr Menschen aus ihren Sympathien für solche Positionen keinen Hehl mehr. (https://www.journal21.ch/das-virus-des-rechtspopulismus)
Sogar Rui Rio, Vorsitzender des bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD), grösste Kraft der Opposition, wollte sich kürzlich dem Gespräch mit Chega nicht verschliessen, sofern diese Partei moderatere Positionen ergreife. Laut den im August publizierten Resultaten einer Wahlumfrage wären die Parteien des rechten Lagers zusammen auf knapp 40 Prozent der Stimmen gekommen, darunter Chega auf knapp 8 Prozent. Auf einen etwa gleich hohen Stimmanteil von knapp 40 Prozent kämen die Sozialisten. Sollten sie nicht mit PSD einen „Block der Mitte“ (das portugiesische Pendant zur GroKo) bilden wollen, bräuchten sie die Unterstützung kleinerer linker Parteien, um regieren zu können. In dieser wirtschaftlich schwachen Zeit, in der es wenig zu verteilen gibt, dürfte es aber schwer sein, gemeinsame linke Positionen zu definieren. Und da kommt es auch den gemässigt rechten Parteien gelegen, einen Mehrheitsbeschaffer der Sozialisten ins Visier nehmen zu können.
Quarantäne für Festteilnehmer?
An manchen der letzten Tage war der Streit um das Fest der Kommunisten das dominierende Thema in den Medien. In normalen Jahren freuen sich nicht nur Kommunisten im September auf das Fest mit seinem dreitägigen Programm von Konzerten, Ausstellungen, Diskussionen und natürlich Politik, das auch Geld in die Parteikasse bringt. Ursprünglich hatte die Partei dieses Jahr bis zu 100’000 Besucher anziehen wollen. Sie steckte bald aber zurück und liess wissen, dass sich nicht mehr als 33’000 Personen gleichzeitig auf dem Gelände mit einer Fläche von 30 Hektar aufhalten sollten. Nur rund halb so viel dürfen es nun sein, genau 16’563, legte die Gesundheitsbehörde zu Wochenbeginn fest.
Die Kritiker lassen sich aber nicht besänftigen. Einige Besitzer von Läden, Restaurants und Cafés nahe dem Festgelände wollen ihre Etablissements während des Festes aus Protest schliessen. Im Internet kursiert eine Petition mit der Forderung, die Besucher des Festes anschliessend in Quarantäne zu schicken. Sogar in wichtigen Medien bleibt die journalistische Sorgfalt mitunter auf der Strecke. Ein TV-Sender zeigte in seinen Nachrichten die schlechte Imitation einer Titelseite der New York Times, laut der in Portugal eine „collective suicide party called ‚Avante‘ with 33’000 guests“ geplant sei (bat die Leser für den peinlichen Fehler aber um Entschuldigung).
Was solll erlaubt sein und was nicht?
Gewisse Reaktionen reflektieren offenbar auch Verdruss über die vielen Einschränkungen, die diese Pandemie mit sich brachte. Was erlaubt war und ist und was nicht, war dabei oft schwer nachvollziehbar. So fanden in Lissabon wieder Stierkämpfe in der Arena statt, mit gebotenen Abständen zwischen den maskierten Zuschauern. Ohne Fans in den Stadien beginnt am 20. September aber die neue Fussball-Saison. In diesem Sommer fielen die beliebten grossen Musikfestivals ebenso aus wie viele traditionelle Volksfeste. Das nährt Missgunst gegen die Kommunisten, die ihrerseits eine Grossoffensive der Reaktion sehen. Sie heben hervor, dass sie kein „Festival“ organisieren, sondern ein vielseitiges „Fest“, bei dem sie ihr aus der Lokalpolitik bekanntes organisatorisches Talent zur Geltung bringen wollen. In den Augen vieler Leute bleibt aber der Eindruck, dass sie in den Genuss einer Ausnahme kommen.
Selbst ein unter sanitären Aspekten glatter Ablauf des Festes dürfte die harten Gegner nicht umstimmen. Sollte beim Fest auch nur ein einziger Infektionsherd identifiziert werden, wäre dies für die Partei fatal. Nicht ohne Schadenfreude sagten ihr Kritiker einen Imageschaden voraus. So oder so könnten ihre Chancen, den 100. Jahrestag der Parteigründung im März 2021 im politischen Aufwind zu feiern, gesunken sein.