Die vorletzte Woche hatte für Nicolas Sarkozy geendet, wie sie begonnen hatte: im Stimmungstief. Die nicht mehr zu verschweigende Nervosität und Gereiztheit des noch nicht erklärten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl Ende April wurde - bewusst oder zufällig - illustriert durch ein paar Sätze aus einer dieser "Off-Unterhaltungen", die der Präsident ab und zu mit Journalisten zu führen pflegt - ein "Hintergrundgespräch" bei tropischen Temperaturen in der Nacht des französischen Überseedepartements Guyana mit einem Dutzend handverlesener Journalisten.
Drei Stunden soll das Gespräch bei Aperitif und Abendessen gedauert haben, und irgendwann tat der Präsident in der nachtschwülen, postkolonialen Atmosphäre der Residenz des Präfekten den Satz: " Wenn ich verliere, dann steige ich aus der Politik aus, dann ändere ich mein ganzes Leben und sie hören nichts mehr von mir" .
Kampf um die Schlagzeilen
Einer der zehn Privilegierten im Journalistentross muss anschliessend das berühmte " Off" gebrochen haben und der Präsident hatte damit - bewusst oder zufällig - eines erreicht: Er war ab letzten Dienstag wieder zwei Tage lang in den Schlagzeilen - nachdem ihn der sozialistische Präsidentschaftskandidat Hollande mit seiner ersten grossen, eher gelungenen Wahlveranstaltung am Wochenende aus diesen Schlagzeilen völlig verbannt hatte. Doch war Sarkozys Satz über das Ende seiner Karriere wirklich Zufall?
Denn so verkungelt wie die präsidialen französischen Journalisten mit dem hohen Haus des Elysée sind, kann man sich sogar vorstellen, dass erst ein Elyséeberater gefragt wurde, ob man denn das "Off" durchbrechen dürfe oder gar, dass einer dieser Elyséeberater einem der Journalisten beim Durchbrechen des Offs ein wenig behilflich war, ihn dazu ermuntert, ihm die Hand geführt hat.
Nach 5 Jahre Storytelling aus dem Hause Sarkozy fällt es schwer sich vorzustellen, dass dieses durchbrochene Off nicht auch der Anfang einer Geschichte sein sollte, die man den Franzosen ganz dringend erzählen wollte, damit vom Präsidenten und Nicht-Kandidaten wenigstens kurzfristig wieder die Rede ist - bei den "Kommentatoren", wie Nicoloas Sarkozy die Journalisten gerne abschätzig nennt. "Sie kommentieren, ich handle. Kommentieren ist leicht, handeln ist schwerer" - so klingt seit Jahren die Leier des Präsidenten, wenn ihm ausnahmsweise bei den ohnehin seltenen Gelegenheiten von Journalisten mal eine kritische Frage gestellt wird.
Hollande hält sich besser als erwartet
Doch knapp 48 Stunden später hatte der sozialistische Präsidentschaftskandidat Hollande den amtierenden Präsidenten bereits wieder aus den Schlagzeilen verdrängt: Am Donnerstag stellte Hollande an einem symbolischen und historischen Ort der französischen Arbeiterbewegung, dem zum Kulturforum verwandelten "Haus der Metallarbeiter" in Paris, sein detailliertes Programm, seine 60 Massnahmen für Frankreich vor - nichts Überwältigendes oder gar Berauschendes, aber eine Reihe von Vorschlägen, die einen Begriff wie Gerechtigkeit wieder ins Zentrum einer Politik zu rücken scheinen. Alles in allem präsentierte sich Hollande letzte Woche den Franzosen als ein Sozialdemokrat, der im Wahlkampf und in seinem Programm auf jeden Fall nicht so tut, als würde die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht existieren.
Am Abend der Präsentation seines Programms trat Hollande noch zu einem Fernsehduell mit dem Mann an, den Ex-Präsident Chirac einst den "Besten unter uns" genannt hatte: Alain Juppé, Aussenminister und Nummer 2 der derzeitigen Regierung, ein in der Tat brillanter Kopf. Und siehe da: Hollande hielt sich wacker in der Diskussion, wurde vom politischen Gegner nicht, wie man sich das in Sarkozys Umgebung erhofft hatte, schlicht und einfach auseinandergenommen, ja Juppé leistete sich sogar einen vielsagenden Nebensatz, als er in einer Antwort auf François Hollande die Worte sprach: "Wir werden ja sehen, was Sie machen" - so als hätte die derzeitige Nummer 2 der Regierung die Niederlage von Nicolas Sarkozy am 6. Mai bereits integriert.
Für François Hollande ging eine Woche zu Ende, nach der sich in den Köpfen der Franzosen zumindest eines festgesetzt haben dürfte: der Mann ist ernst zu nehmen, braucht sich nicht zu verstecken, hat die Behandlung von oben herab - die ihm auch einige so genannte Parteifreunde in der Vergangenheit des öfteren angedeihen liessen - nicht verdient . Selbst aus den Kreisen des amtierenden Präsidenten ist mittlerweile zu hören, man habe Hollande unterschätzt.
Moral der Konservativen auf dem Tiefpunkt
"Wer glaubt noch an Sarkozy?" lautete die Überschrift eines ganzseitigen Artikels in Le Monde an diesem Wochenende - die Autorin hatte sich im tiefen Inneren der Sarkozy-Partei UMP umgehört, den konservativen Parlamentariern auf den Zahn gefühlt und dort, alles in allem, eine eher depressive Stimmung ausgemacht. Untrügliches Zeichen dafür, dass die Zweifel im Räderwerk der Macht an einer Wiederwahl Sarkozys immer grösser werden: Zahlreiche Spitzenberater und hohe Beamte in den Ministerien haben bereits damit begonnen, sich einen anderen Job zu suchen, sich versorgen zu lassen - als Präfekten oder als Führungskräfte in staatlichen oder halbstaatlichen Institutionen.
Gleichzeitig nimmt die Truppe fürs Grobe in der konservativen Präsidentenpartei dieser Tage kein Blatt mehr vor den Mund. Die so genannte "Populäre Rechte", die rund 40 Parlamentsabgeordnete, zumeist aus dem Süden Frankreichs, in ihren Reihen zählt und deren Diskurs von dem der rechtsextremen Nationalen Front schlicht nicht mehr zu unterscheiden ist, sagt vor laufenden Kameras jetzt ganz offen , es sei höchste Zeit, dass Sarkozy seine Kandidatur ankündige, der Chef könne sich nicht weiter verstecken, wenn man verlieren wolle, müsse man nur so weitermachen.
Doch der Chef hat sie bislang nicht erhört.
Hilfe von Merkel
Derweil hat am Samstag die Parteiführung der konservativen UMP bei einer Art Wahlkampfauftakt vor 5'000 Anhängern verzweifelt versucht, ihren Truppen Mut zuzusprechen. Der ehrgeizige Parteivorsitzende, Jean François Coppé - dem die Gier nach der Macht geradezu ins Gesicht geschrieben steht und der vor Wochen schon das Motto ausgegeben hatte, den Sozialisten François Hollande müsse man mit der Motorsäge bekämpfen - liess in seiner Rede bei der Parteiveranstaltung eine wahre Ode los auf den Mut in der Politik, bevor die Gäste einen Videoclip zu sehen bekamen, der natürlich bei De Gaulle beginnt und bei Sarkozy endet und auffallend viel Deutsch-Französisches aus der Geschichte der letzten 50 Jahre zeigt. Die Schlusseinstellung: die zarten Füsse einer kleinen Turnerin tasten sich auf einem Balken voran, dazu Präsident Sarkozys Stimme aus dem off, die den Satz spricht: "Mut gibt Kraft zu handeln".
Damit verfügt man wohl über das Wahlkampfmotto der französischen Konservativen, das da heissen soll: der Sozialist Hollande hat keinen Mut, Sarkozy ist der Kapitän in stürmischer See, hält den Kurs und ist kein Weichei , wie der andere, sondern eben mutig!
Zum Wahlkampfvideo mit den deutsch-französischen Einlagen passt, dass der deutsche CDU-Generalsekretär auf der Veranstaltung der französischen Schwesterpartei den Sozialisten Hollande offen kritisierte und ankündigte, Sarkozy sei der richtige Mann am richtigen Ort und Kanzlerin Merkel werde ihn durch ihre Präsenz bei mehreren Wahlkampfauftritten unterstützen. Prompt titelte die Wochenzeitung "Le Journal du Dimanche", die dem Waffenhersteller und Freund des Präsidenten, Lagardère gehört, am Sonntag: " Merkel wählt Sarkozy" .
Roter TV Teppich für den Präsidenten
Für Nicolas Sarkozy wurde es an diesem Sonntag Abend dann wirklich ernst. Sein mehr als einstündiger Fernsehauftritt hatte schon im Vorfeld einen Hauch von "Alles oder Nichts" oder der berühmten Flucht nach vorne. Damit auch möglichst keinem französischen Fernsehzuschauer die präsidialen Worte erspart bleiben konnten, hat der Staatschef - was keiner seiner Vorgänger in einer ähnlichen Situation in den letzten 30 Jahre je getan, oder soll man sagen gewagt hat - gleich 6 Fernsehkanäle herbei zitiert, damit die seine Botschaft ins Land tragen. Immerhin merkten einige Experten und nicht nur die sozialistische Opposition an, dass ein derartiges Vorgehen in jedem anderen, zivilisierten demokratischen Land unvorstellbar wäre und nur Hohn ernten würde. Angesichts einer derartigen Inbesitznahme der französischen TV-Landschaft für eigene Zwecke durch den derzeit Herrschenden, schiesst einem unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass es wohl kein Zufall ist, wenn Nicolas Sarkozy seit Jahren an einem wie Vladimir Putin nichts, aber auch gar nichts auszusetzen hat.
Letztlich haben dann 16 Millionen Franzosen auf diese Art den einstündigen Fernsehauftritt einer hybriden Person miterlebt: halb Präsident im Wahlkampf, halb Wahlkämpfer, der noch Präsident ist und als solcher die Botschaft ausgab: Ich denke langfristig, sorge mich um die Zukunft des Landes, beweise Mut und spreche in Zeiten einer historischen Krise die Sprache der Wahrheit. Der zentrale Punkt der Ausführungen Nicolas Sarkozys, bei denen er sich immer wieder auf das Beispiel des Nachbarn Deutschland, ja konkret auf Kanzler Schröders Reformen vor 2005 bezog, hiess: Frankreichs Betriebe müssen wettbewerbsfähiger werden, damit die Fabriken und Arbeitsplätze im Land bleiben. Daher die Ankündigung, die Lohnnebenkosten für Unternehmen um 13 Milliarden Euro zu senken, im Gegenzug zur Finanzierung des Sozialsystems die Mehrwertsteuer von 19,6 auf 21,2 Punkte zu erhöhen. Für mehr Flexibilität der Unternehmen soll die Kurzarbeit erleichtert werden und Tarifverträge, Arbeitszeiten oder Lohnsenkungen gegen Arbeitsplatzerhalt künftig auf Betriebsebene verhandelt werden können, was de facto auch die Abschaffung der 35 Stunden-Woche bedeutet – kündigte der Präsident mit Genugtuung an.
All diese Ankündigungen – so auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer im Alleingang, damit Frankreich – was es so gerne tut oder zu tun gedenkt - eine Vorreiterrolle spielen kann – haben eines gemein: Sie würden, sofern der Noch-Präsident irgendwann tatsächlich zur kommenden Wahl antritt und die auch gewinnen sollte, nicht vor Herbst 2012 in Gang kommen und ihre Auswirkungen erst in mehreren Jahren zu spüren sein.
Es sind Reformvorhaben, die man normalerweise zu Beginn einer Amtsperiode einbringt und nicht drei Monate vor den nächsten Wahlen. Auch muss sich der Präsident die unangenehme Frage gefallen lassen, warum das Ganze erst jetzt und nicht während seiner fünfjährigen Amtszeit? Als hätten Frankreichs Betriebe zum Beispiel ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht schon vor rund zehn Jahren, sondern erst vorgestern eingebüsst.
Viele blieben am Ende dieses präsidialen Fernsehauftritts sprachlos, fragten sich: wozu eine derartige Grossinszenierung, um eine Reihe von ökonomischen Massnahmen anzukündigen, die greifen könnten zu einer Zeit, da der, der zu uns spricht, vielleicht schon lange nicht mehr Präsident ist und die in diesem Fall nicht einmal in Gang gebracht würden. Ganz am Ende des einstündigen Pseudo-Interviews durch vier Journalisten leistete sich Nicolas Sarkozy dann noch eine Selbsteinschätzung, die in aller Grausamkeit zeigte, dass der Hausherr im Elysée ellenweit von der Realität abgehoben ist. Auf die Frage , mit welchen Worten er selbst seine zu Ende gehende 5-jährige Amtszeit charakterisiern würde, wagte der Noch-Präsident doch tatsächlich zu sagen: Authentizität und Aufrichtigkeit!
Dabei gab es in Frankreich noch nie einen Präsidenten, der künstlicher und weniger aufrichtig gewirkt hätte, ja nie einen, der so exzessiv gelogen - und sich in einer Amtszeit so viele Male widersprochen hat, wie Nicolas Sarkozy. Er war 2007 noch nicht gewählt, da servierte er den Franzosen schon seine erste Lüge. Auf die Frage, was er im Fall eines Wahlsiegs in der ersten Tagen danach zu tun gedenke, liess er doch tatsächlich verlauten, er würde sich zum Nachdenken in ein Kloster zurückziehen. Bekanntermassen landete er dann im Mittelmeer auf der 60 Meter langen Luxusjacht eines befreundeten Milliardärs - die erste Szene im 1. Akt einer von Glimmer, Luxus und der schamlosen Nähe zum grossen Geld und den Superreichen gekennzeichneten Präsidentschaft.
Am Sonntag, während des Fernsehinterviews , servierte der Präsident dann die bislang letzte Lüge, die da lautete, er habe das in der Tat nichtssagende Wort von der „Sozialen Mehrwertsteuer“ - wie die jetzt angekündigte Mehrwertsteuererhöhung um 1,6 Punkte in Frankreich schon seit Wochen genannt wird - selbst nie in den Mund genommen. Da manche Menschen aber noch ein Gedächtnis haben, stand bereits eine Stunde später ein Video im Internet, in dem Sarkozy eben dieses Wort gleich acht Mal in nur einem Satz gebrauchte.
Angst vor Satire
Am Rande des nun definitiv eingeläuteten Wahlkampfs hat Frankreich vergangene Woche erneut eine der vielen, kleinen Episoden erlebt, die zeigen, wie weit es mit Selbstzensur, vorauseilendem Gehorsam und der Furcht vor den Blitzen aus dem Elyséepalast in diesem Land bereits gekommen ist. Einer der talentiertesten und scharfzüngigsten Kabarettisten Frankreichs, Stéphane Guillon - der zwei Jahre im öffentlich-rechtlichen Radiosender «France Inter» morgens kurz vor 8 ein Millionenpublikum mit den bitter bösesten Glossen über Politik und Politiker beglückt hatte, bis er schliesslich auf höchst persönlichen Druck von Präsident Sarkozy geschasst wurde - er wird zwischen den beiden Durchgängen der kommenden Präsidentschaftswahl ( 22. April und 6. Mai) fünf Tage lang, jeden Abend vor 2'000 Zuschauern, im legendären Pariser Olympia, dem Tempel des französischen Chansons, eine One-Man-Show geben. Letzte Woche hingen die ersten Plakate für Guillons Olympiaauftritt in der Pariser Metro. Zwei Wochen lang sollte die Werbekampagne dauern, nach ein paar Stunden waren aber sämtliche Plakate wieder überklebt. Der Firma, die die Werbeflächen der Pariser Metro und Buslinien managt, war der Titel der angekündigten Show zu heikel, politisch zu verfänglich. Er lautete : « En mai 2012 Stéphane Guillon s'en va aussi » - « Im Mai 2012 geht auch Stéphane Guillon» …. selbstredend heisst der andere, der da ebenfalls geht, im Mai 2012, Nicolas Sarkozy.