Diese Regierung, dieser Präsident können zurzeit anfassen, was sie wollen - es misslingt. Es ist eine Regierung, die wirkt, als würde sie sich ziellos durch den dichten Herbstnebel tasten und jedes Mal, wenn sie auf ein Hindernis trifft, mindestens einen Schritt zurück tun. Das Land schaut ihr dabei zu und versteht nicht, wo sie hin will.
Ökomaut, Mehrwertsteuererhöhung, Schulreform, Spar- oder Industriepolitik – fast alles ist inzwischen Anlass zu fast täglichen Protesten der verschiedensten Berufskategorien – selbst die Betreiber von Reiterhöfen gehen auf die Strasse, Feuerwehrleute zünden Reifen an, weil ihnen eine Reform nicht passt, tausende LKWs blockieren den halben Samstag lang Autobahnen im ganzen Land, die Hebammen demonstrieren und die roten Mützen in der Bretagne geben keine Ruhe.
Immer lauter tönt die Frage in der monarchischen Republik Frankreich: was denkt der Präsident eigentlich wirklich, was will er, wohin steuert er? Es mag lächerlich erscheinen, aber im System der auf den Präsidenten zugespitzten 5. französischen Republik ist das leider so und kann, auf Grund der Struktur, auch kaum anders sein: letztlich erschallt immer wieder der Ruf nach dem Chef, nach dem, der ganz oben sitzt im Machtgefüge, dem fünf Jahre lang im Grunde niemand etwas anhaben kann und der es gefälligst richten soll.
Wenn er das aber nicht kann, wenn so ziemlich alles schief geht, was dann?
François Hollande ist noch für dreieinhalb Jahre gewählt! Wenn aber der gärende Unmut im Land weiter um sich greift, wenn über Monate hinweg in diesem System die Popularitätskurve des Staatspräsidenten weiterhin hoffnungslos tief im Keller bleibt und die unterschiedlichsten Berufskategorien und Schichten aus der Bevölkerung demonstrieren, ja rebellieren? Die 5. Republik hat für einen solchen Fall keine Puffer vorgesehen. Eine Regierungsumbildung oder die Ernennung eines neuen Premierministers scheint inzwischen bereits ein zu schwaches Signal, um auf die Situation zu reagieren. Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen zur Nationalversammlung wären politischer Selbstmord. Wenn es wirklich heiss und brenzlig wird – was macht ein französischer Präsident? De Gaulle ist 1968 per Helikopter nach Baden Baden verschwunden zum Algeriengeneral Massu und hat das Land 48 Stunden lang im Ungewissen gelassen.
Umfragen
Man hat es kommen sehen, seit diesem Sonntag ist es nun endgültig so weit: François Hollande schlägt alle Rekorde der Unbeliebtheit eines Präsidenten in der 5. französischen Republik. Das älteste Meinungsforschungsinstitut IFOP, das seit 1958 die Zustimmung der Franzosen zu ihren Präsidenten registriert, gibt François Hollande gerade noch 20% positive Meinungen. Den bisherigen Minusrekord hatte François Mitterrand 1991, während seiner 2. Amtsperiode und nach 10 Jahren an der Macht gehalten. Hollande hat es in nur 18 Monaten noch weiter gebracht. Sein Vorgänger, Nicolas Sarkozy, war nie tiefer gerutscht als bis zur Marke von 28%.
Einschaltquoten
Richtiggehend erniedrigend für den Staatspräsident ist eine Information, die aus den Nachrichtenredaktionen der drei grossen Fernsehanstalten kommt. Wenn in jüngster Zeit in den Hauptnachrichtensendungen ein Beitrag über einen Auftritt in der Provinz oder einen Auslandsbesuch von François Hollande gesendet wurde, brach die Zuschauerquote unmittelbar und radikal ein. Ein Präsident, den die meisten schlicht nicht mehr sehen wollen und der kein Gehör mehr findet. Dem entsprechend hat sich letzte Woche auch eine im Grunde gute und grosse Rede Hollandes zum 1. Weltkrieg und dem 100. Gedenkjahr von der Öffentlichkeit kaum beachtet quasi in Luft aufgelöst.
Fussball und Zustand der Nation
Und zu allem Übel hat nun auch noch das Tricolore Team die Qualifikation für die Fussball -WM in Brasilien so gut wie schon verpasst und dies gegen ein Team, das als Losglück galt: die Ukraine. Prompt häuften sich die Artikel, die den Zustand des Landes mit dem der Fussballnationalmannschaft vergleichen - deprimiert, pessimistisch, verängstigt, ohne Engagement, Vertrauen und Kollektivgeist seien die Millionen schweren Kicker aus den europäischen Elitevereinen wie Real Madrid, Manchester United oder Bayern München zu Werke gegangen, ein Haufen von Individualisten und eben keine Mannschaft habe sich da präsentiert. In der Tat war es für die Franzosen ziemlich niederschmetternd, mit ansehen zu müssen, wie in der gegnerischen Mannschaft jeder 90 Minuten lang spielte, als ginge es um sein Leben, während die französischen Stars wirkten, als würden sie Dienst nach Vorschrift machen, nicht mehr als ihr Pensum absolvieren und sich zudem noch untereinander beharken. Von da war es nicht weit zur Fesstellung, dass diese Mannschaft, genauso wie das Land im Augenblick, alles andere als geeint ist und von Harmonie jede Spur fehlt.
Diplomatie
Seit Sonntag hält sich Präsident Hollande zu einem fast dreitägigen Staatsbesuch in Israel auf. Hat die sehr aussergewöhnliche Dauer der Visite etwas zu bedeuten, fragt man sich in Frankreich, ändert sich die Pariser Nahostpolitik, nach dem ohnehin schon überraschenden Bremsen der französischen Seite bei den Genfer Iranverhandlungen? Auch hier bleibt der Präsident jede Antwort schuldig, niemand kann den Kontext wirklich verstehen und eine Linie finden, auch die Aussenpolitik wirkt wie Stückwerk ohne roten Faden.
Und selbst bei eher sekundären Fragen scheint die Diplomatie nicht mal mehr in der Lage, das Selbstverständlichste zu leisten. Beispiel: Paris beschliesst, die letzte französische Garnison in Deutschland aufzulösen und sein Infanterieregiment aus dem schwäbischen Donaueschingen abzuziehen - die deutsche Kanzlerin wird über dieses - zudem auch noch sehr symbolischen Vorhaben - durch die Presseagenturen informiert und nicht vorab aus dem Mund des französischen Staatspräsidenten.
Und währenddessen …
Derweil hatten Präsident, die Regierung und die sozialistische Partei jüngst auch noch einen gewaltigen Spätzünder, als es darum ging, die farbige Justizministerin, Christiane Taubira, klar und deutlich in Schutz zu nehmen und sie gegen wiederholte rassistische Ausfälle zu unterstützen. Erst hatte eine Lokalpolitikerin der Nationalen Front geäussert, sie würde diese aus Französisch Guyana stammende Ministerin, die dem Gesetz über die Homo-Ehe ihren Namen gegeben hat, lieber auf den Bäumen sehen, als am Kabinettstisch.
Wenig später sah sich Taubira bei einem Besuch im westfranzösischen Angers einigen Dutzend Demonstranten, Gegnern der Homo-Ehe, gegenüber unter denen eine Jugendliche eine Banane schwenkte und rief : „Affenweibchen komm, ess deine Banane“. Das Video von diesem Vorfall zirkulierte tagelang im Internet, doch auf den empörten Aufschrei über diese Art von rassistischen Pöbeleien wartete man vergeblich. Mit Ausnahme des Premierministers rührte keiner von Taubiras Kabinettskollegen oder Parteifreunden den kleinen Finger. Die Ministerin selbst musste sich in einem Interview beschweren, dass „die schönen und lauten Stimmen“, die sich bei solchen Gelegenheiten in Frankreich sonst regelmässig erheben, offensichtlich verstummt seien.
Erst als das rechtsextreme Schmutzblatt „Minute“ ein Foto von Christiane Taubira auf die Titelseite setzte mit dem Wortspiel „Pfiffig wie ein Affe – Taubira hat die Banane wieder“, was so viel heisst wie: sie ist wieder in Form - erst da reagierten die höchsten Stellen im Staat entsprechend. Premierminister Ayrault strengte umgehend eine Klage an gegen „Minute“ wegen Beleidigung rassistischer Art. „Minute„ hatte in früheren Jahren im übrigen eine Zeit lang einen Chefredakteur gehabt mit Namen Patrick Buisson. Der sollte später, von 2007 bis 2012, zum inoffiziellen, aber wichtigsten Berater von Staatspräsident Sarkozy werden.
Die Schauspielerin Jeanne Moreau hat jetzt am Wochenende einen Appell veröffentlicht unter dem Titel: „Wir sind alle französische Affen“. Ob dieser Aufruf bei der derzeitigen Stimmung im Land, wo ein Damm nach dem anderen zu brechen scheint und rechtsextremes Gedankengut zunehmend hoffähiger wird, noch irgendeine Wirkung zeigen kann, darf bezweifelt werden.