Manon, Jahrgang 1940, ist eine Institution in der Schweizer Kunst – eine Institution schillernder Selbstdarstellung. Das zeigen ihre in Winterthur gezeigten Fotoarbeiten, mit denen sie gängige Frauenbilder unterläuft und existenzielle Tiefen andeutet.
Dass sie eigentlich Rosmarie Küng heisst und dass ihr Vater ein berühmter Mann war – der St. Galler Ökonomieprofessor Emil Küng – ist selbst denen kaum bekannt, für die Manon zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Schweiz gehört; ebenso wenig, dass sie in den späten 1960er-Jahren mit dem sieben Jahre jüngeren Urs Lüthi verheiratet war. Damals war sie, eng verbunden mit der Zürcher Subkultur, als Model, Modedesignerin, Designerin tätig.
Ihren offiziellen Namen hat sie längst abgelegt zugunsten des mit grossen Emotionen verbundenen Namens Manon. Er erinnert, wie sie selbst sagt, an eine Fotografie der Schauspielerin Cécile Aubry in Henri-Georges Clouzots Film «Manon» (1949), der sich, die Geschichte Abbé Prévosts aktualisierend, an den gleichnamigen Roman anlehnt. Diese Dinge sind in der Ausstellung in der Winterthurer Fotostiftung Schweiz, die vor allem dem fotografischen Werk Manons gewidmet ist, lediglich im Saaltext angedeutet. Dem Vater allerdings widmet sie in Winterthur ein Werk, obwohl er sich nie für seine Tochter als Künstlerin interessierte: In einer Vitrine präsentiert sie alle seine Bücher. Es ist ein beeindruckend hoher Stapel lauter staubtrockener Titel.
Bitterer Ernst
Ihre fotografischen Selbstdarstellungen hängen mit jenen des jungen Urs Lüthi zusammen. Das zeigt ein Blick auf ihre frühen Arbeiten. Unterschiede springen aber ins Auge. Lüthi ist witzig oder sarkastisch sowie selbstironisch und gleichzeitig distanziert: Er spielt eine Rolle. Manon lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass, was sie tut, in ihre eigenen existenzielle Tiefen reicht. Ihr ist bitter ernst.
Die Nähe zu Urs Lüthi wird deutlich in Manons in Winterthur nicht gezeigter Folge wehmütiger Bilder «Ball der Einsamkeit» von 1980. Ihr bitterer Ernst zeigte sich in ihrer Performance «Die letzten Tage der Lola Montez» (1975). In der von Markus Raetz im Kunstmuseum Luzern kuratierten Ausstellung mit neun Künstlerinnen posierte sie, schwarz gekleidet, in einem schwarzen Käfig als die aus München verjagte Mätresse Ludwigs I., Lola Montez (1821–1861), die in Jahrmarktbuden von Stadt zu Stadt durch ganz Europa tourte.
Den Ernst der Selbstdarstellung macht auch ihre Fotoserie «La Dame au crâne rasé» von 1977 deutlich: Manon fotografierte sich, aus der Zürcher Szene nach Paris geflohen, gleissendem Scheinwerferlicht ausgesetzt und mit kahl rasiertem Schädel. Die Bilder torpedieren das allgemein verbreitete Frauenbild, dem volles Haar erotische Ausstrahlung verleiht. Auf der anderen Seite ruft Manon schmerzhaft all die Diskriminierungen und Blossstellungen ins Gedächtnis, denen Frauen immer wieder ausgesetzt waren und teils noch sind – seit den Hexenverfolgungen.
Zugleich setzt sie sich selber in unvergesslicher Manier als exotisch kühle und zerbrechliche Schönheit in Szene. Sie vertraut auf die distanzierende Wirkung des hart eingesetzten, dunkle Schatten werfenden Lichtes. Manons Nacktheit signalisiert Selbstbewusstsein, aber zugleich Verletzlichkeit. Die Bilder sind fern jeder Anzüglichkeit. Solche Doppelbödigkeit zieht sich durch ihre ganze Selbstdarstellung.
Überbordende Maskerade
Beängstigend eng wird es in der Bilder-Folge «Elektrokardiogramm» (1979/2011): Sie staffierte ihre Wohnung mit schwarz-weissem Karomuster aus und posiert davor in extrem stilisierter Selbstinszenierung – teils so, dass sich ihr Bild im Karo-Muster wie in einem Wirbelwind aufzulösen scheint. Die Winterthurer Ausstellung stellt die ursprüngliche Situation nach, gewürfelter Boden inklusive, und präsentiert darauf, wiederum fast schmerzhaft grell beleuchtet, Manons Aufnahmen.
Höhepunkt im Spiel mit der Veränderung des eigenen Bildes ist die etwa 90-teilige Serie «Einst waren sie MISS RIMINI» (2003): Die gut 60-Jährige posiert als in die Jahre gekommene Frauen, die in ihrer blühenden Jugend in Schönheitswettbewerben den Titel «MISS RIMINI» gewannen. Das ist überbordende Maskerade (und darin an die 14 Jahre jüngere Cindy Sherman erinnernd) – aber doch auch ein doppelbödiges Spiel mit ernstem Hintergrund insofern, als Manon schonungslos das eigene Altwerden zum Bild werden lässt.
Ähnlich geschieht das in der Reihe «Hotel Dolores» (2008–2011). Sie spielt mit vergangener Herrlichkeit, allerdings sehr sparsam und gleichsam am Rande. Die triste Atmosphäre ausgedienter Badener Kurhotels mit abblätternden Tapeten, fleckigen Wänden, gesprungenen Bettfedern zeigt die Spuren aus fernen Zeiten.
Geschenk zum Achtzigsten
«Hotel Dolores» umfasst gegen 200 Bilder. Sie waren 2011 im Kunsthaus Aarau zu sehen. Die Winterthurer Ausstellung zeigt nur einige davon. Das macht deutlich: Manon trieb ihr immenses fotografisches Werk, eng gebunden an ihre eigene Biografie, seit den 1970er Jahren so rastlos und fast manisch voran, dass die Fotostiftung mit ihrem beschränkten Platzangebot nur Beispiele aus der Vielzahl ausstellen kann.
Auch die performativen Elemente von Manons Kunst vermag die Ausstellung nur anzudeuten. Der ursprünglich gedachte Stellenwert der Ausstellung ist nicht erreicht: Den 80. Geburtstages der 1940 geborenen Künstlerin wollten drei Institutionen mit einem gemeinsamen Projekt feiern: Winterthur, das Kunsthaus Zofingen sowie das Centre Culturel Suisse in Paris. Das war 2020. Paris und Zofingen zeigten planmässig Rauminstallationen Manons. Corona zwang die Fotostiftung, ihr Projekt mit Schwerpunkt auf Manons Fotografie um zwei Jahre zu verschieben.
Allerdings macht die von Sacha Nacinovic (Assistent von Manon) und Teresa Gruber (Fotostiftung) kuratierte Schau mit der Installation «Elektrokardiogramm» und adäquat inszenierten Präsentationen anderer Reihen einiges wett. Dem Kuratorienteam gelingt es, anhand von gut ausgewählten Beispielen den Besucherinnen und Besuchern Einblicke in die vielschichtigen Intentionen der Fotokünstlerin Manon zu bieten. Sie unterstreichen so die Bedeutung der Rolle, die Manon in der Schweizer Kunst, aber auch darüber hinaus spielt. Es ist die Rolle einer eigenständigen, selbstbestimmten Künstlerin, die mit Kontinuität und Energie ihren unverwechselbaren Ansatz feministischer Kunst verfolgt.
Fotostiftung Schweiz, Winterthur. Bis 29. Mai.
In der Ausstellung ist Lekha Sarkars SRF-Dokumentarfilm «Manon – Glamour und Rebellion» (2013) zu sehen.