Ein Totschlag, viele sagen ein Mord aus politischen Motiven, hat letzte Woche Frankreichs Öffentlichkeit und Politiker von links bis rechts erschreckt. Ein 19-jähriger Student aus dem antifaschistisch-linksradikalen Milieu ist in Paris auf offener Strasse von Skinheads aus der Neonazi-Szene zu Tode geprügelt worden.
«Privatverkauf»
Verdammte Markenkleidung! Es war gegen 18 Uhr, mitten in einer Einkaufsstrasse unweit des grossen Pariser Kaufhauses «Galeries Lafayette», als der 19-jährige Student der renommierten Hochschule für Politikwissenschaften, «Sciences Po», Clément Meric, begleitet von Freunden, beim Privatverkauf von Kleidung der Marken «Fred Berry» und «Ben Sherman» mit einer Gruppe von Skinheads aneinandergeriet.
Auf skurrile Art und Weise sind die Kleidungsstücke dieser beiden Marken in den letzten Jahren offensichtlich zu begehrten Objekten sowohl von Links- als auch von Rechtsradikalen geworden. Dass sich die beiden Gruppen bei diesem «Privatverkauf» getroffen haben, war also kein Zufall.
Seelenlose Einkaufsstrasse
Ein Sicherheitsmann hat Clément und seine Freunde dazu bringen können, die Räume zu verlassen. Doch die jungen Leute, die zu einer linksradikalen Gruppe gehören, die sich «Antifaschistische Aktion Paris - Banlieue» nennt und den Kampf gegen Rechtsradikale mit allen Mitteln, auch mit denen der Gewalt, auf ihre Fahne geschrieben hat, gehen nicht nach Hause, sondern warten in dieser seelenlosen Einkaufsstrasse, einer Fussgängerzone, auf die «Faschos».
Letztere hatten angeblich Verstärkung herbeigerufen, waren letztlich zu siebt. Noch ist ist der Tathergang nicht in allen Details geklärt. Sicher ist: Einer der Skinheads hat, möglicherweise mit einem Schlagring, mehrmals auf Cléments Kopf eingeschlagen, bevor dessen Kopf beim Sturz dann auch noch gegen einen Eisenpfosten prallte.
Verdammte Eisenpfosten
Diese Pfosten sind ein Horror im Stadtbild der französischen Hauptstadt, seit der sozialistische Bürgermeister Delanoe in Paris dem Auto den Kampf angesagt hat.
Hunderttausende dieser zudem noch braun gestrichenen Pfosten hat diese Stadtverwaltung, seit sie an der Macht ist, in den Pariser Strassen eingeschlagen und die Strassen verschandelt, zahllose Umzüge unmöglich oder zu Nervenproben gemacht, weil man nicht mehr auf das Trottoir ausweichen kann und deswegen die Strasse blockieren muss.
Ausgerechnet gegen einen dieser verlamedeiten Pfosten, wegen derer man nicht mal mehr einen Behinderten oder die Oma nach Hause fahren und sie in ihre Wohnung bringen kann, ohne eine ganze Strasse zu blockieren, ist der Kopf von Clément Meric gekracht.
Eine Art Kommuniqué
«Sie waren glattrasiert, hatten Lederwesten an und Nazi Tätowierungen auf der Haut und schienen wirklich sehr entschlossen, Unheil anzurichten. Sie sind dann sogar noch mal zurückgekommen, haben andere geschlagen, bevor sie weggerannt sind», sagte einer der ersten Augenzeugen.
Hundert Meter weiter hat sie ein anderer gesehen: «Sie haben gelächelt und sich gegenseitig beglückwünscht, wie nach einem gewonnenen Spiel». Bei Clément konnte nur noch der Hirntod festgestellt werden, am Tag darauf wurden die medizinischen Geräte abgestellt.
Einer aus seiner Gruppe sprach vor dem Krankenhaus sehr abgeklärt eine Art Kommuniqué in die Mikrophone. „Unser Genosse Clément Meric, 19 Jahre alt, ist vor einem Bekleidungsgeschäft von Anhängern der radikalen extremen Rechten angegriffen worden. Er war in der Studentengewerkschaft engagiert und Antifaschist. Er ist in der Nacht seinen Verletzungen erlegen.“
Plötzlich wieder da
Das Opfer war 19 und sah aus wie 16, der mutmassliche Täter, Esteban M., gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen unabsichtlichen Totschlags eingeleitet wurde, ist 20 und sieht aus wie 30. Er und 7 Komplizen, die innerhalb von 24 Stunden festgenommen wurden, gehören alle zu einer Organisation, die sich „Dritter Weg“ nennt und sich im Umfeld der offen neonazistischen Gruppe «Junge Revolutionäre Nationalisten» bewegt.
Frankreichs Innenminister und die stellvertretende Bürgermeisterin von Paris beklagten am Tag nach der schrecklichen Tat, dass sich in Frankreich in den letzten Monaten im Zuge der Demonstrationen gegen die Homoehe ein faschistischer, rassistischer und homophober Diskurs breitgemacht habe, der den Schritt zur Tat befördern könne.
In der Tat musste Frankreich zuletzt mit Staunen feststellen, dass es auch in diesem Land sehr wohl eine ordentliche Anzahl von militanten, rechtsradikalen Organisationen gibt, von denen fast alle gedacht hatten, dass sie seit Ende der 70er-Jahre völlig vom Erdboden verschwunden seien. Doch die Bewegung gegen die Homoehe, die am Ende zusehends radikaler geworden ist, hatte ihnen wieder eine Plattform geboten. Es war, als seien diese Gruppen fast über Nacht aus ihren Löchern gekrochen.
Frigide Barjot taucht ab
Plötzlich paradierten kleine, kampferprobte Häufchen in faschistischer Kämpfermontur im Schutz der traditionalistisch–wertkonservativen Gegner der Homoehe wieder durch die Strassen von Paris und versuchten, am Ende der Demonstrationen regelmässig in Richtung Parlament vorzudringen, lieferten sich mit der Bereitschaftspolizei stundenlange, heftige Scharmützel, bei denen Polizei und Journalisten als Kollaborateure beschimpft wurden und Rufe erschallten wie: „Nieder mit der sozialistischen Diktatur“.
Es war, als habe diese von der katholischen Kirche und der konservativen Opposition geförderte Bewegung gegen das inzwischen verabschiedete und seit zwei Wochen auch angewandte Gesetz über die gleichgeschlechtliche Ehe Geister aus dem rechtsradikalen Sumpf gerufen, die sie nicht mehr los wird. Am Ende konnte die im Grunde eher gemässigte Gallionsfigur dieser Bewegung, eine etwas überkandidelte Dame mit dem Künstlernamen Frigide Barjot, aus Sicherheitsgründen nicht mal mehr an ihrer eigenen Demonstration teilnehmen, weil der ultrarechte Rand sie bedroht und ihr vorgeworfen hatte, zu wenig radikal und zu nachgiebig zu sein!
Worte und Taten
Sicher ist, dass von dieser Bewegung gegen die Homoehe im Lauf der letzten Wochen und Monate immer mehr verbale Gewalt ausgegangen ist. Immerhin hatte sich sogar ihre Anführerin zu der Aussage verstiegen, Präsident Hollande wolle Blut und er werde Blut bekommen. „Nun ist das Blut da“, hat Yves Saint Laurents langjähriger Lebensgefährte, Pierre Bergé, nach dem Tod von Clément Meric getwittert. Eine ehemalige Ministerin von Präsident Sarkozy sprach jüngst davon, dass man heute in Frankreich von Lesben und Schwulen regelrecht überschwemmt werde und hat Präsident Hollande vorgeworfen, er wolle die christlich–abendländische Kultur demontieren.
Solche und ähnliche Worte von konservativen Politikern haben in den letzten Monaten Dämme brechen lassen - seit dem Beginn der Auseinandersetzung über die gleichgeschlechtliche Ehe hat in diesem Land eben nicht nur die Zahl homophober Akte deutlich zugenommen, sondern durften sich auch die rechtsradikalen Grüppchen ermuntert fühlen, wieder öffentlich Flagge zu zeigen.
Angespanntes Klima
Wenn es im Parlament fast zu einer Schlägerei kommt und ein Dummkopf von Abgeordnetem im Parlament ruft, man wolle mit dem Gesetz Kinder töten, der ehemalige Redenschreiber von Ex-Präsident Sarkozy und Abgeordneter der Nationalversammlung, Henri Guaino, öffentlich zu sagen wagt, das verabschiedete Gesetz sei vielleicht legal, aber nicht legitim, und wenn der Vorsitzende der konservativen UMP Partei, Jean François Coppé, bis zur letzten Grossdemonstration sich nicht daran störte, in nächster Nähe mit den Ultrarechten zu defilieren, sich auch schon mal an der Seite von Politikern der Nationalen Front zu zeigen, müssen sie sich - wie im übrigen die katholische Kirche auch – schon fragen lassen, ob sie sich bewusst sind, was sie da zur Zeit säen.
Das Klima in der Politik und in der öffentlichen Diskussion des Landes ist seit dem Streit um die Homoehe jedenfalls angespannt und gereizt, wie seit langem nicht mehr in Frankreich.
Kaum ein Aufbäumen
Am Tag nach dem eindeutig politisch motivierten Totschlag an dem jungen Studenten hätte man eigentlich ein grosses, öffentliches Sich-Aufbäumen erwartet, mit Hunderttausenden auf den Strassen, die sagen: Stopp, es reicht!
Als 1990 im südfranzösischen Carpentras ein jüdischer Friedhof geschändet worden war, war dies noch der Fall, zu einer Zeit, als die Nationale Front immer stärker wurde und Jean Marie Le Pen mit negationistischen und antisemitischen Sprüchen von sich Reden machte. Die Grossdemonstrationen damals vermittelten den Eindruck: Die Republik steht auf gegen die Gefahr von ganz rechts.
Heute kaum eine Spur davon. Natürlich zeigten sich alle Politiker geschockt und entsetzt und verurteilten die Tat vehement. Zur Demonstration aber hatte die Linkspartei aufgerufen, um 18.30 Uhr an der Place Saint Michel. Im Laufe des Tages hatte sich die Sozialistische Partei sozusagen drangehängt. Als es dann so weit war, nahmen die Freunde Clément Mérics von der linksradikalen „Antifaschistischen Aktion“ das Heft in die Hand und sorgten sektiererisch dafür, dass alles, was nach Sozialist und etabliertem Politiker aussah, sehr schnell das Weite suchen musste und selbst der Chef der Linksfront, Jean Luc Melenchon, gezwungen war, den Mund zu halten und sich in der Menge zu verstecken. Ein Aufschrei der Republik gegen die rechtsextreme Gewalt war das nicht!