„Wie wichtig ist es, dass die Politik den Geheimdienst beaufsichtigt?“ wird Professor Beer gefragt, und er antwortet, die Kontrolle dieser Dienste sei in einer Demokratie eine wichtige Sache. Das Interview im Rendez-vous am Mittag im Schweizer Radio (11.Juli 2013) bewegt sich auf dieser Ebene. Der Geheimdienst-Experte der Universität Graz fügt noch an: Lange habe man in den Geheimdiensten keine Kontrolle gehabt, „auch in Demokratien nicht“, aber seit 30 Jahren sei das anders. Er bezog sich wohl auf den amerikanischen „Freedom of Information act“ und andere vergleichbare Gesetzte in westlichen Ländern.
Ich kann aber überhaupt nicht sehen, was seit dreissig Jahren anders sein soll. Das Gegenteil ist offensichtlich der Fall. Zumindest die westlichen Geheimdienste haben noch nie so skrupellos schalten und walten können. In den letzten 30 Jahren haben sich die Überwachungstechniken in schwindelerregender Dimension entwickelt, diese Techniken sind zum Selbstläufer geworden. Die westlichen Geheimdienste sind Opfer ihrer technologischen Besessenheit geworden, das breitflächige Absaugen von Daten hat das Niveau von Drogensucht erreicht. Ich vermute, die östlichen Geheimdienste tun es den westlichen gleich, darüber wissen wir wenig.
Die Auswertung der gigantischen Datenmenge soll angeblich erfolgreich Terroranschläge verhindern oder verhindert haben. Beweise dafür gibt es kaum. Denn schliesslich sind es die Geheimdienste, die sich immer wieder ihrer Erfolge brüsten, und ihre Arbeit ist so geheim, dass man nichts Genaueres wissen darf.
Wenn das Akkumulieren von irrsinnigen Datenmengen derart nützlich wäre, hätte der Anschlag von 9/11 nicht stattgefunden. Aber es geht nicht nur um die Frage der Nützlichkeit des globalen Überwachungswahns. Es geht um seine Legitimität.
Geheimdienste können nicht demokratisch sein
Geheimdienst ist grundsätzlich unvereinbar mit Demokratie. Geheimdienstliche Tätigkeit entzieht sich per Definition einer demokratischen Transparenz. Was Leute im Geheimen treiben, ist nicht res publica. Es sind Machenschaften, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, und Öffentlichkeit ist das Wesen der Demokratie.
Da können noch so viele parlamentarische Kommissionen gebildet werden, die die Arbeit der Geheimdienste „kontrollieren“ sollen. Wenn der Brei zu heiss ist, gibt es Möglichkeiten, um ihn herum zu reden. Die parlamentarischen „Kontroll-Organe“ erfahren dann Jahre später oder niemals, was verbrochen wurde.
Die breite Öffentlichkeit hingegen hat, zum Beispiel in den USA, erst mit einer Verzögerung von mehreren Jahrzehnten das Recht auf Einblick in die Akten der Geheimdienste. Sie erfährt aber meist nur Belangloses, denn wichtige Namen sind und bleiben auch in diesen Dokumenten geschwärzt.
Die Regel ist, dass nicht die parlamentarischen Geheimdienst-Ausschüsse die Skandale aufdecken, sondern hartnäckige Journalisten oder Whistleblower vom Schlag eines Edward Snowden oder Bradley Manning. Letzterem droht eine lebenslange Haftstrafe, weil er Verbrechen der Regierung der USA im Irak aufdeckte. Der erstgenannte wird von der Regierung Obama gejagt wie ein Schwerverbrecher. Wikileaks-Gründer Assange sitzt als Flüchtling in der ekuadorianischen Botschaft in London. So viel zum Verhältniss von Demokratie und Geheimdienst.
Ein wesentlicher Teil der Geheimdienstarbeit ist die Verbreitung von Falschinformation. Meist nicht nur zur Täuschung des Feindes, sondern zur Täuschung der Bürger und Bürgerinnen des eigenen Landes. Um Kriege zu rechtfertigen, müssen politische Gegner als Monster dargestellt werden.
Geheimdienste begehen straflos Verbrechen
Beispiel Gaddafi: „Der Diktator setzt systematische Vergewaltigung von Frauen als Waffe im Krieg ein.“ Das verbreitete die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton als Erkenntnis ihrer Geheimdienste. Amnesty International recherchierte mehrere Monate lang in Libyen und fand „keinerlei Hinweise für die Wahrheit dieser Behauptung.“ Die libysche Opposition in der Schweiz - für wahr keine Gaddafi-Freunde - bestätigte mir, sie hätte keine Beweise für diese Aussage. Andere Länder, die auf einer sogenannten Achse des Bösen angesiedelt sind, müssen als akute nukleare Bedrohung dargestellt werden. Und so weiter. Es ist schwer zu akzeptieren, dass systematisches Lügen der Raison d’Etat einer demokratisch verfassten Republik entsprechen soll. Ebenso unmöglich ist es zu akzeptieren, dass schwere Kriminalität wie Folter und Mord die Mittel sein sollen, die einen wie auch immer definierten Zweck heiligen. Die Drohnen-Angriffe, das willkürliche Töten von Menschen, die des Terrorismus verdächtigt werden, sind ein Skandal, von dem die NATO-Verbündeten der USA nicht laut reden möchten.
Dick Marty, Sonderermittler des Europäischen Parlamentes, deckte auf, dass die amerikanische CIA allein in Europa mehr als hundert Personen entführt und in geheime Gefängnisse hat fliegen lassen. Dort wurde systematische Folter praktiziert. Ein Gefangener wie Chalid Scheich Mohammed wurde den Geheimdokumenten zufolge allein im März 2003 im Schnitt acht mal pro Tag dem berüchtigten Waterboarding unterzogen.
Professionelle Schauspieler im Polit-Theater
Nun tun viele Politiker so, als habe man etwas Böses entdeckt: die Geheimdienste und ihr uferloses System der Überwachung. Breitflächig ist Entrüstung angesagt. Restlose Aufklärung wird gefordert. „Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht nicht,“ sagt der Regierungssprecher von Frau Merkel in Deutschland. Delegationen werden nach Washington geschickt, diplomatische Noten ausgetauscht,- das volle Programm. Es kommt einem vor wie ein Stück aus dem Komödienstadel.
Denn schliesslich ist es – wie der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe festhält - bereits zwölf Jahre her, dass ein Aussschuss des Europäischen Parlaments ein globales Abhörsystem namens „Echelon“ kritisierte. In dem Bericht stand, dass „innerhalb von Europa sämtliche Kommunikation via E-Mail, Telefon und Fax von der NSA regelmässig abgehört wird.“ Natürlich arbeiten der deutsche Bundesnachrichtendienst, die britischen und amerikanischen Geheimdienste, die Israeli und andere seit eh und jeh zusammen. Im Sonderfall Deutschland ist die Zusammenarbeit allein schon dadurch traditionelle Normalität, dass Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein besetztes Land war und die Amerikaner als NATO-Führungsmacht auch in der späteren BRD geheimdienstlich schalteten und walteten wie es ihnen gefiel.
„Die Amerikaner sind wild versessen auf Information, und die Amerikaner sind der Hegemon hier. Es ist nicht vorstellbar, dass man sich diesem innerhalb des Bündnisses verweigert.“, sagt Claus Arndt, ehemals Mitglied eines Geheimdienst-Ausschusses des deutschen Bundestages. „Theoretisch sind wir souverän…In der Praxis sind wir es nicht.“
Wie wenig Souveränität den anderen NATO-Freunden beschieden ist, zeigte sich bei der Affäre um den Flug des bolivianischen Präsidenten. Es ist die Stunde der Komödianten, und alle spielen mit. Ob sie es alle gern und freiwillig tun, sei dahingestellt. Mitspielen müssen sie, denn alle haben den gleichen geheimdienstlichen Dreck am Stecken.