Als Frankreichs Präsident, François Hollande, Ende Januar, also vor nur gut acht Monaten, mit einer Grundsatzrede in Le Bourget seinen Wahlkampf einläutete, da war davon die Rede, den «französischen Traum» wiederzubeleben. Ein „Frankreich des Vertrauens“ wollte er bauen, die Bevölkerung einen und die Franzosen miteinander versöhnen, mit „Stigmatisierung, Spaltung und Verdächtigungen“ werde Schluss sein, Hoffnung müsse an die Stelle der Ängste treten und das ganze Land sich gegen die Resignation aufbäumen. Acht Monate später ist im weiten Land von all dem nichts zu spüren, im Gegenteil.
Null Illusionen
Bei den zwei vorhergehenden Präsidentschaftswahlen, 2002 und 2007, war in den acht Monaten vor und den vier Monaten nach der Wahl der Anteil der Franzosen, die sich über ihre Zukunft pessimistisch äusserten, jeweils um rund 10 % zurückgegangen.
Im Jahr 2012 ist von einem solchen Hoffnungsschimmer nichts zu sehen – es sind im selben Zeitraum sogar 2 % mehr geworden - insgesamt 68 %!
Nur ein Beispiel: Auf die Frage, ob sie sich sagen würden, dass sie nicht weit davon entfernt sind, arm zu werden, antworten heute 56 % der Franzosen mit Ja - zum selben Zeitpunkt 2007 waren es 45 %!
Schlimmer noch ist die Zahl, die das Vertrauen der Franzosen in die neuen Machthaber ausdrückt, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht. 2007 glaubten noch 56 %, der neue Präsident, Nicolas Sarkozy, könne etwas Positives bewirken. Heute, bei François Hollande, sind es gerade noch 34 %.
Und überhaupt gibt es, fünf Monate nach der Wahl, nur eine einzige Domäne, in der mehr als 50 % der Franzosen Präsident Hollande vertrauen – nämlich in Sachen Umweltschutz. Dieser aber ist in Frankreich angesichts der Krise innerhalb nur weniger Monate zu einem absolut sekundären Thema geworden.
Präsident Hollande hat - im Gegensatz zu Nicolas Sarkozy vor fünf Jahren - den Franzosen sehr wenig versprochen. Dementsprechend hat er ihnen jetzt auch nichts oder kaum etwas zu bieten, ausser - gerecht verteilt - Blut, Schweiss und Tränen.
In der Vergangenheit - so der Politologe Jérôme Jaffré – war die Machtübernahme durch die Linke in Frankreich jedes Mal mit einer symbolischen Massnahme verbunden. 1936 war es der bezahlte Urlaub, 1981 die Rente mit 60 und die 5. Urlaubswoche sowie die längst überfällige Abschaffung der Todesstrafe - und 1997, unter Premierminister Jospin, die 35-Stunden-Woche. François Hollande kann mit keinem derartigen Symbol aufwarten. Nichts versinnbildlicht bislang den versprochenen Wandel und eine echte Alternative zur Politik des Vorgängers Nicolas Sarkozy.
Die rechten Werte im Aufwind
Wirklich einmalig und bislang noch nie dagewesen, seit Meinungsforschungsinstitute die französische Politik auf Herz und Nieren prüfen, ist die Tatsache, dass seit der Machtübernahme durch die Linke die Werte des politischen Gegners eindeutig im Aufwind sind.
Zwischen Januar 2010 und September 2012 ist der Anteil der Bevölkerung, der die Bekämpfung des Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung als absolut prioritär betrachtet, von 36 auf 51 % gestiegen. Was die illegale Einwanderung angeht, sind es 11 % mehr geworden und was die Kriminalität betrifft, geben 9 % mehr, insgesamt 57 %, diesem Thema die Priorität.
Währenddessen sprechen sich heute nur noch 39 % der Franzosen für ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer aus, das schon vor über 30 Jahren im Wahlprogramm von François Mitterrand gestanden hat - vor 18 Monaten waren es noch 55 %.
Mit anderen Worten: François Hollande befindet sich in der merkwürdigen und bisher nie dagewesenen Situation, dass er seine Amtszeit als Präsident in der Defensive beginnt.
Frankreichs Rechte ist nach der Wahlniederlage Sarkozys nicht wirklich angeschlagen. Ihr relativ gutes Ergebnis von fast 49 % hatte selbst in den eigenen Reihen viele überrascht. Und das Land scheint nach dieser Wahl noch deutlicher in zwei Lager gespalten, als es das schon zuvor war. Die traditionelle, bürgerliche Rechte schlägt radikalere Töne an, ihre Wählerschaft hat sich der Nationalen Front mehr und mehr genähert. Der Arbeitslose als Sozialschmarotzer, der Ausländer und der Islam als Bedrohung – das sind hier wie dort Themen, die Konjunktur haben in einer verängstigten, depressiven Gesellschaft.
Hausgemachte radikale Islamisten
Dass das Zusammenleben der Franzosen in dieser Gesellschaft zusehends von Spannungen, Schranken und Konfrontationen begleitet ist, verdeutlicht schliesslich auch die Polizeiaktion vom Wochenende gegen eine kleine radikal-islamistische Zelle, deren Mitglieder noch vor einem Jahr nichts anderes waren als junge Kleinkriminelle aus Frankreichs Vorstädten.
Wie schon im März, im Fall des 7-fachen Mörders von Toulouse, Mohammed Merah, sind auch die zwölf Mitglieder der am Samstag zerschlagenen fundamentalistischen Gruppe Kinder der französischen Vorstadtghettos, von denen mehrere im Gefängnis radikalisiert wurden, ja manche – wie der Anführer der Gruppe – dort erst zum Islam konvertiert sind.
Innerhalb weniger Monate waren sie so weit, dass sie Mitte September, am Höhepunkt der Demonstrationen gegen das Schmähvideo, das den Propheten Mohammed verhöhnte, einen selbstgebastelten, leichten Sprengsatz in einen jüdischen Supermarkt geworfen haben. Jetzt, bei ihrer Verhaftung, trugen vier von ihnen schon ein Testament bei sich. Auch eine Liste mit Adressen jüdischer Institutionen wurde bei ihnen gefunden. Der Kopf der Zelle hatte sich wenige Tage zuvor den Bart abrasiert und die traditionelle Kleidung abgelegt - angeblich ein Zeichen dafür, dass er sich darauf eingestellt hatte, als Märtyrer zu sterben. Entsprechend erwartete er die Polizisten in der Strassburger Wohnung einer seiner Frauen mit einem Revolver in der Hand. Er schoss das Magazin leer und wurde bei dem Schusswechsel selbst getötet: ein 33-jähriger Franzose von den Antillen, der zwei Jahre wegen Drogenhandels im Gefängnis gesessen war und als radikaler Islamist wieder herauskam. Es ist, als habe die Wut, die Gewaltbereitschaft und die Hoffnungslosigkeit eines Teils der französischen Jugend ohne Ausbildung und Perspektiven unter dem Deckmantel des Islam Zuflucht gesucht. Potenzielle Terroristen aus Frankreichs Vorstädten, die einen immer offener geäusserten Antisemitismus in ihren Köpfen transportieren.
Nationale Front reibt sich die Hände
All dies wiederum ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Marine Le Pen und der Nationalen Front. Frankreichs rechtsextreme Partei arbeitet jetzt bereits intensiv, mit Blick auf die Kommunalwahlen 2014, an einer verstärkten lokalen Verankerung - etwa in rund 100 weitgehend unbekannten Kleinstädten von mehr als 4000 Einwohnern - in Südfrankreich, im Norden und in Lothringen - in Gebieten, in denen die Kandidaten der Nationalen Front beim 2. Durchgang der Parlamentswahlen letzten Juni zwischen 40 und 70 % der Stimmen bekommen hatten! 100 französische Kleinstädte, die in 18 Monaten theoretisch einen rechtsextremen Bürgermeister haben könnten.