„Du bist wunderschön“, sagt eine intime Männerstimme mit Schlafzimmer-Timbre. „Du bewegst mich, heisst mich willkommen. Du bist nicht gross, aber für mich bist du grenzenlos. Schweiz: Land des Quattro.“ Der Spot läuft in der Prime Time im Schweizer Fernsehen.
Dazu sieht man in Halb-Sekundendschnitten Landschaft, Schwarz-Weiss-Aufnahmen von Frauen am Brunnen, Gemsen im Schnee, die Luzerner Fasnacht, alte Aufnahmen vom Skifahren, Steinböcke und einiges mehr. Und dazwischen ein Auto, das durch Städte und Landschaften fährt.
Die Schweiz ist kein Gebrauchsgegenstand
Die Schweiz, das Land des Audi Quattro. Nein, sagen wohl die meisten der bald acht Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Die Schweiz ist definitiv nicht das Land einer deutschen Automarke. Sie ist auch nicht das Land einer Schmerztablette, einer Käsesorte, eines Deospray oder eines Produktes zur Verdauungsförderung.
Sie ist ein Land mit vier Sprachkulturen und ehrwürdigen Traditionen, die aus Zeiten stammen, da es weder Audi Quattro noch Fernsehspots gab. Ein Land hat eine Würde. Ein Land ist kein Gebrauchsgegenstand, den man benutzen kann, um ein Auto an die Leute zu bringen.
Privatpersonen können klagen
Ich will nicht in Abrede stellen, dass Industrieprodukte etwas mit dem Charakter einer Region oder eines Landes zu tun haben können. Falls es so etwas gibt wie eine nationale Identität oder ein kollektives Geschichtsbewusstsein, dann haben Heidi und die Milka-Kuh, Toblerone und die Swatch vielleicht ebenso einen Platz darin wie Gilberte de Courgenay oder Winkelried. Aber bitte nicht Audi Quattro.
Wenn eine Privatperson wie - sagen wir mal - Roger Federer sich für Werbezwecke bezahlen lässt, ist das ok. Es liegt im Ermessen dieser Privatperson. Wenn eine Privatperson aber ohne ihr Einverständnis für Werbung instrumentalisiert wird, kann sie klagen und wird vor Gericht Recht bekommen.
Arroganz oder Dummheit?
Anders steht es offenbar mit einem Land oder einer Nation. Ein paar smarte Typen der Werbebranche sehen es offenbar als die normalste Sache der Welt an, ein ganzes Land als Werbeträger zu benutzen. Denn juristische Folgen sind in dem Fall offenbar nicht zu befürchten, wenn man die Schweiz mit ihrer Kultur, ihren Menschen und ihrer Geschichte quasi in Geiselhaft nimmt, um den Umsatz einer Autofirma zu steigern.
Einen Moment lang ist der Fernsehzuschauer ratlos. Ratlos angesichts der Frage: Was ist hier grösser, die sauglatte Arroganz der Werbemacher oder ihre Dummheit?
Aber vielleicht ist ja alles längst ganz normal. Vielleicht haben sich die Sitten geändert und naive Menschen wie ich haben nicht gemerkt, dass ohne Werbung überhaupt nichts mehr läuft auf der Welt. Möglicherweise funktioniert die helvetische Republik bereits mit dem Sponsoring grosser Konzerne. Die gesponserte Demokratie sozusagen. In dem Fall müsste man sich auch nicht darüber wundern, dass der Schweizer Bundespräsident in Schladming die Sponsoren-Logos von Versicherungen, Stromkonzernen und Autofirmen auf seiner Windjacke trug.