In der Gesprächsreihe «Bärfuss trifft...» war am 8. April in der Schiffbau-Box des Schauspielhauses Zürich die Ökonomin Monika Bütler als Gast geladen. Mit der Themenangabe «Wirtschaft und Krise» steckte Bärfuss das Feld für die Diskussion denkbar weiträumig ab. Das hätte eigentlich fast schiefgehen müssen. Dass es trotzdem zu einem lebhaften, phasenweise spannenden Gespräch kam, war der bohrenden Neugier des Gastgebers und vor allem der freundlichen Angriffigkeit des Gastes zu danken.
Auf solidem Boden der Fakten
Monika Bütler lehrt Wirtschaftspolitik am Schweizerischen Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Hochschule St. Gallen und ist publizistisch in der Öffentlichkeit präsent, unter anderem in dem von ihr mitbetreuten Blog batz.ch. Professorales Gehabe ist ihr fremd. Ihr empirisches Forschungsinteresse spiegelt sich in einem Debattierstil, der ideologische und theoretische Positionen in die Niederungen der Fakten holt und sich auf solidem Boden mit ihnen auseinandersetzt.
So antwortete sie auf die Vorhaltung, der Kapitalismus führe notwendigerweise immer wieder zu grossen Krisen, das sei tatsächlich so. Der Grund dafür liege in der undurchdringlichen Komplexität der Wirtschaft, die deshalb nicht mit jener Sicherheit gesteuert werden könne, die zur völligen Vermeidung von Krisen notwendig wäre. Immerhin habe man aber aus Krisen der jüngeren Vergangenheit soviel gelernt, dass beispielsweise 2008 ein totaler Crash vermieden werden konnte.
Auch fehle es vielen Anklägern an wirtschaftshistorischem Überblick, um ökonomische Situationen und Ereignisse einordnen zu können. Im Vergleich zu den Schwankungen und Nöten, die im Mittelalter und selbst noch im frühen 20. Jahrhundert normal waren, seien die Verhältnisse seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute fast idyllisch. Die Phase von 1950 bis 2008 sei sogar ein weltgeschichtlicher Sonderfall der Stabilität und des stetigen Wachstums. – Natürlich hakte Bärfuss beim Stichwort Wachstum ein, und wieder zerpflückte sein Gast den Ideologieverdacht mit nüchternen Fakten.
Vertauschte Rollen
Gegen Bütlers Pragmatismus und Sattelfestigkeit kam Bärfuss mit dem Bemühen, grundsätzliche Defizite und ideologische Schieflagen zu thematisieren, nie so recht zum Ziel. Die Rollen erschienen eigentümlich vertauscht. Statt dem Gast geriet der Gastgeber in Fahrt, statt einem kühlen Frager erlebte man eine souveräne Expertin. «Sie haben jetzt vier Fragen gestellt,» sagte Monika Bütler einmal nach einer Bärfuss’schen Tirade, «ich fange bei der letzten an.»
Gab es denn gar nichts «Kritisches» von der St. Galler Ökonomin? Das gab es durchaus. Bei der Frage der Bankenregulierung kritisierte sie die zaghafte Politik der Schweiz. Man sei bei den Eigenkapitalvorschriften viel zu wenig weit gegangen. Allerdings fügte sie einen Punkt an, der von den Befürwortern einer rigorosen Bankenregulierung stets unterschlagen wird: Sie kostet etwas. Werden die Hebel gekürzt, mit denen die Geldhäuser Finanzgeschäfte tätigen können, so verringern sich mit den Risiken auch Gewinne, Anzahl und Lukrativität der Bankenarbeitsplätze sowie an die Allgemeinheit abgelieferte Steuern. Und diese Kosten einer schärferen Regulierung würden erst recht drastisch ausfallen, wenn die Schweiz solche Vorschriften im Alleingang einführte.
Bühne als Modellwelt
Wirtschaft, das sind eben nicht die anderen, sondern das sind wir. Ökonomie ist eine Sozialwissenschaft. Diese Feststellung stand am Beginn des Gesprächs. Wirtschaft ist so komplex wie die Gesellschaft mit ihrer Summe menschlicher Verhaltensweisen. Eine Diskussion über Wirtschaft ist deshalb im Theater am rechten Ort, denn gerade da geht es ja ebenfalls um die Summe menschlicher Verhaltensweisen.
Die Bühne wurde immer als Modellwelt verstanden, durch die das Publikum sich selbst erkennen soll. Aristoteles sah die Aufgabe der Tragödie darin, zur Katharsis, zur geistigen Selbstreinigung des Publikums zu führen. Lessings von 1767 bis 1769 entstandene Hamburgische Dramaturgie knüpft bei dieser aristotelischen Poetik an und buchstabiert den Zweck des Theaters als einen moralischen. Die von der Bühne ausgehenden Gemütsbewegungen und Einsichten zielen auf moralische Sensibilisierung und Urteilsfähigkeit.
Bei Moral «geht es um etwas»
Der 25jährige Schiller bewegte sich weiter auf dieser Linie, als er 1784 in Mannheim den Vortrag «Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet» hielt. (Das Beste an diesem berühmten, aber allzu idealistisch-überschwänglichen Text ist sein Titel, der Lessings nüchtern-aufklärerische Theatertheorie schön auf den Punkt bringt).
Was haben Schiller und Lessing mit dem Abend «Lukas Bärfuss trifft Monika Bütler» zu tun? Zunächst dies, dass die Diskussion über Wirtschaft und Krise auf einer Theaterbühne stattfand, dass sie von einem Dramatiker veranstaltet und geführt war, dass eine Inszenierung geboten und Rollen gespielt wurden.
Ging es also in der Box des Schiffbaus um Moral? Sieht man von den üblichen Berührungsängsten gegenüber diesem Wort ab, so gibt es keinen Grund, dies zu verneinen. Mehr noch, der Bezugspunkt des Moralischen macht die Wahl des Orts erst plausibel. Statt der Flüchtigkeit und Unverbindlichkeit einer Talkshow im Fernsehen hat ein Gespräch auf der Theaterbühne die Aura des Ernsthaften. Physische Anwesenheit der Exponenten und die Cortesia (George Steiner bezeichnet so die respektvolle Annäherung an Werke der Kultur) des sich Einfindens im Theater schaffen die Atmosphäre, in der es «um etwas geht».
An solchen Theatergesprächen ist nicht das Entscheidende, was dabei herauskommt, sondern was die Anwesenden in sie hineinlegen.
Weitere Gespräche des Schauspielhauses Zürich:
16. Mai 2016, 17.00 Uhr Pfauen: Was bedeutet Toleranz?
20. Mai 2016, 20.00 Uhr Pfauen: Worte und Wirkung – Sprache und Macht