Ein französischer Freund, der zwischenzeitlich im baden-württembergischen Stuttgart lebt, hat dort im Westen der Stadt seinen bevorzugten Zeitungskiosk, an dem er regelmässig französische Titel kauft. Eines Morgens fragte er nach Le Monde und nach Liberation. Beides sei nicht da, antwortete die Verkäuferin, sie habe heute nur Le Figaro. Le Figaro wolle er nicht, sagte der Freund, das sei die Zeitung Sarkozys. Da beugte sich die Frau im Kiosk über die Zeitungsstapel nach vorne - der Zufall will, dass sie Ungarin ist – und zischte hinter vorgehaltener Hand : „Sarkozy ? - wissen Sie, ist ein Zigeunername“.
Das war vor gut 6 Monaten, Frankreichs Präsident hatte noch nicht die Roma offiziell zu Sündenböcken gestempelt und sie ins Zentrum seiner im Sommer verkündeten verschärften Law-and-order-Politik gestellt.
Namensvetter
Als dann die massenhaften Abschiebungen von Roma nach Rumänien und Bulgarien Ende August auch bei Frankreichs europäischen Partnern erstes Stirnrunzeln hervorriefen, meldete sich aus Wien ein gewisser Rudolf Sarközi zu Wort, ein Mann, der 1944 in einem burgenländischen Konzentrationslager geboren wurde, den Professorentitel trägt, einst als Müllmann gearbeitet hat, in Wien für die SPÖ Bezirksabgeordneter und Sprecher der österreichischen Roma (!) ist. Er bestätigte: Sarközi sei unter den Roma ein typischer Familienname, manche hätten ihn, um sich besser zu integrieren, sogar abgelegt aus Furcht, sonst weiter stigmatisiert zu werden . Wenn im Ungarischen das "i" am Ende des Namens zu einem "y" geworden sei, bedeute das nur, dass man in den Adelsstand erhoben worden ist. Das sei mit einem gewissen Martin Sarközi geschehen, der 1626 vom österreichischen Kaiser geadelt worden ist. Süffisant erinnerte Rudolf Sarközi daran, dass er angesichts dieser Namensverwandschaft mit dem damals frisch gewählten französischen Präsidenten diesem im Mai 2007 sein Buch habe zukommen lassen, welches er über seinen Kampf für die politische und rechtliche Anerkennung der Roma in Österreich geschrieben hatte. Der Elyseepalast habe mit einem höflichen Dankschreiben geantwortet.
Unlängst hat eine französische Wochenzeitung noch ein Buch ausgegraben. Zwei Briten, ein Historiker und ein Journalist - Donald Kenrick und Grattan Puxon - haben es Anfang der 70er Jahre geschrieben . Es trägt den Titel: "Zigeunerschicksale - von den Ursprüngen bis zur Endlösung". Darin ist die Rede von „einer sesshaften ungarischen Zigeunerfamilie, den Sarkozys".
(Archives des Sciences Sociales, Calman-Levy, Paris 1972)
Der Vater
Sollte Frankreichs Präsident mit seinem Familiennamen etwa Probleme haben? In den letzten Jahren haben sich gleich mehrere Psychologen in Büchern mit der Psyche des französischen Staatsoberhauptes beschäftigt. Einer hat zum Beispiel auf über 100 Seiten nur die Gestik und Körpersprache des Präsidenten analysiert. Der Frage aber, ob das Tragen des Namens Sarkozy das psychische Gleichgewicht des Präsidenten belasten könnte, ist bislang aber noch keiner nachgegangen.
Fest steht, dass Nicolas Sarkozy, der während des Wahlkampfs 2007 und in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft sein Privatleben nach aussen gekehrt, ja damit gewuchert hat, wie kaum ein anderer Politiker vor ihm, hinsichtlich seiner ungarischen Ursprünge stets äusserst diskret war. Ein einziges Mal, 1994, damals war er schon Haushaltsminister, ist er an den Ort seiner Vorfahren gereist. Ein schlechtes Foto mit Frau Cecilia und seinen Eltern vor einem Ortsschild zeugt davon. Diese Diskretion mag mit der Person seines Vaters zu tun haben, der Ende der 1950er Jahre Frau und drei Söhne sitzen liess und dessen Vita schon in den 1980er Jahren für die Karriere des ehrgeizigen und konservativen Jungpolitikers Sarkozy nicht gerade dienlich war. Erst recht würde er heute nicht zum Diskurs des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy passen.
Vater Pal Sarkozy - in Frankreich hat er die zwei Punkte auf dem ö entfernen lassen - hat nach der Flucht aus Ungarn vor der Roten Armee 1945 zunächst bei der französischen Fremdenlegion angefangen, liess sich dort aus "gesundheitlichen Gründen" wieder beurlauben, um dem Indochina Krieg zu entkommen, und lebte dann eine Zeit lang ohne gültige Papiere in Paris und soll unter Brücken geschlafen haben. Nach dieser Zeit hat er sich 25 Jahre lang geweigert, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Dessen Sohn hat nun letztes Jahr als Staatspräsident verfügt, die Franzosen müssten unbedingt über ihre nationale Identität diskutieren. Dabei hat er, ob gewollt oder nicht, de facto alle nicht ganz zweifelsfreien Franzosen aufs Korn genommen, also alle die, deren Eltern oder Grosseltern ausserhalb der französischen Landesgrenzen das Licht der Welt erblickt hatten. Auffällig ist, dass Nicolas Sarkozy, seit er das Amt des Präsidenten bekleidet, so gut wie nie mehr offensiv und selbstbewusst daran erinnert, dass er selbst Sohn eines ungarischen Immigranten und einer Mutter ist, deren Familie ihre Wurzeln in der spagnolisch-jüdischen Gemeinde Salonikis hat. Wie Millionen seiner französischen Mitbürger ist Nicolas Sarkozy eben nichts mehr und nichts weniger als ein richtiger „Métèque“, der Anfang 2008 eine Italienerin geheiratet hat - nach der Scheidung von seiner 2. Frau, Cecilia. Sie trug den schönen moldauisch - bessarabischen Mädchennamen … Ciganer.
Ob Nicolas Sarkozy sich in manchen schlaflosen Nächten nicht fragt, was aus ihm geworden wäre, wenn Frankreichs Behörden seinen Vater damals, in den Jahren 1945 bis 1948 so behandelt hätten, wie er, sein Sohn, es heute mit Ausländern, illegalen Einwanderern und Roma tut? Dass die Wahrscheinlichkeit gross wäre, dass es einen Nicolas Sarkozy dann gar nicht gegeben hätte?
Zufall
Im Sommer hatte man auf eine Rumänienreise den Roman „Der geköpfte Hahn“ von Eginald Schlattner mitgenommen. Der heute 77 jährige Autor, der mit dem Schreiben erst im Alter von 60 begonnen hatte, ist Siebenbürgendeutscher und lebt als Pastor immer noch in der Nähe von Sibiu/Hermannstadt. Sein 1998 erschienener Roman enthält eine Passage, in der im Jahr 1944, als die nationalsozialistischen Organisationen unter den Siebenbürgendeutschen reichlich Zulauf gefunden hatten, eine fanatische Deutsche mit Vornamen Brunhilde um ihren ungarisch stämmigen Ehemann mit Vornamen Adolf und mit Familiennamen Sarközi trauert, der an der Front gefallen war. Um ein offizielles Schreiben abzuholen, begibt sich Brunhilde Sarközi zur Ortsgruppenleiterin, wo sich folgender Dialog entspinnt:
„Du, Volksgenossin, bist nun glücklicherweise eine deutsche Kriegswitwe. Für dich eine einmalige Auszeichnung, derer du dich würdig zu erweisen hast. Germanisiere als erstes deinen komischen Namen, schreib ihn mindestens mit ‚s c h’ . Oder besser: Übersetz ihn ins Deutsche. Sarközi muss ja etwas heissen.“
Meine Mutter sagte: „Das lässt sich nicht übersetzen.“ "Mischen Sie sich nicht ein" , sagte die Ortsgruppenleiterin. Meine Mutter stand auf und verabschiedete sich. Frau Brunhilde sagte: „Ich will nicht lügen. Sarközi könnte man übersetzen mit: zwischen dem Morast, mitten im Kot.“ ( dtv 6. Auflage 2009 s.19)
Hans Woller aus Paris_03: Von guten und von anderen Franzosen
Hans Woller aus Paris_01: Allons les enfants etc.