Auf diesen Tag hatten die nicht mehr ganz jungen Fans von Sporting Lissabon 19 Jahre lang warten müssen. Jüngere Fans des Clubs mit den grünen Trikots hatten noch nie einen Meistertitel feiern können. Seit 2002 hatten der „rote“ Lokalrivale Benfica und der „blau-weisse“ FC Porto die Meisterschaft letztlich unter sich ausgemacht. Mit einem 1:0-Heimsieg im Stadion ohne Zuschauer über Boavista (ebenfalls aus Porto) sicherten sich Sporting – auch „die Löwen“ genannt - am Dienstagabend erstmals wieder den Titel, und da waren die Fans nicht zu halten. Seltsamerweise erweckten die Behörden den Eindruck, als sei die Begeisterung mit allen absehbaren Begleiterscheinungen für sie völlig überraschend gekommen.
Grossleinwand und Gummigeschosse
Gab es aber nicht auch eine Pandemie? Von Dienstagvormittag bis zum Morgengrauen am Mittwoch schien es so, als habe Portugal die Pandemie schon besiegt. Vor allem in der Nähe des Stadions taumelten angetrunkene Fans in grün-weiss gestreiften Trikots mit Flaschen in der Hand aber meist ohne Masken schon vor dem Spiel herum. Auf Grossleinwänden vor dem Stadion mit leeren Tribünen oder in Kneipen konnten die „sportinguistas“ das um 20.30 angepfiffene Spiel verfolgen – wobei die Einhaltung von Mindestabständen nebensächlich erschien. Während des Spiels und danach kam es zu Ausschreitungen, bei denen die Polizei auch Gummigeschosse einsetzte und einige Fans festnahm.
Wie war das möglich? Im EU-Vergleich hat Portugal zuletzt mit einer sehr niedrigen Zahl neuer Covid-Infektionen geglänzt. Zu Monatsbeginn wich der Notstand einem weniger strikten Ausnahmezustand. Als das Vereinigte Königreich das Land vor einigen Tagen wieder auf seine „grüne Liste“ der sicheren Reiseziele setzte, sahen Anhänger des „grünen“ Clubs Sporting auch grünes Licht für ungezügelte Feiern – obwohl das Abstandsgebot weiterhin ebenso gilt wie die Maskenpflicht und das Alkoholverbot auf offener Strasse.
Vom Taumel zum Covid-Test?
Die Euphorie, die nach so vielen Jahren ohne Meistertitel geradezu vulkanisch ausbrach, traf die Behörden auf dem falschen Fuss. Eine Vorsorge sei nicht gelungen, urteilte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa, der das Versäumnis am Mittwochmorgen sowohl den Behörden als auch Bürgern ankreidete. Was die öffentliche Gesundheit betrifft, so sei der Abend „nicht gut verlaufen“, fand er. Ob dies Folgen für die Menschen in der Hauptstadt bringe, werde sich erst in zwei oder drei Wochen erweisen.
Unvergessen sind im Land natürlich die Lockerung der Covid-bedingten Restriktionen in der letzten Weihnachtszeit. Sie gelten als einer der Gründe für eine dramatische Welle von neuen Covid-Fällen im Januar. Was die Gefahr von Ansteckungen bei der Fussballfeier angeht, so sprächen die Bilder für sich, sagte der Epidemiologe Manuel Carmo Gomes gegenüber der Tageszeitung „Público“. Wer ohne Einhaltung der Vorsichtsregeln gefeiert habe, sollte sich innert 48 bis 72 Stunden auf Covid-19 testen lassen, empfahl er, und dazu raten nun auch die Behörden. Es bleibt freilich die Hoffnung, dass alles nicht gar so schlimm kommt. Immerhin hätten die Feiern grösstenteils im Freien stattgefunden, und viele Menschen im Land hätten schon mindestens eine Impfdosis bekommen.
Beschränkungen in Fátima, Chaos beim Fussball
Die Hilflosigkeit gegenüber einer massenhaften Verletzung elementarer sanitärer Regeln ist angesichts einiger nach wie vor geltenden Limiten kaum zu rechtfertigen. Zum Jahrestag der ersten Marienerscheinung in Fátima, wo sich am 12./13. Mai jedes Jahres sonst sechsstellige Zahlen von Pilgern einfinden, waren dieses Jahr nur 7'500 Personen zugelassen. Seit über einem Jahr sind die Diskos geschlossen. Wann die bei jungen Leuten so beliebten Musikfestivals wieder stattfinden dürfen, ist noch unklar. Geht es um Fussball, so wirkt Portugal mitunter wie eine Bananenrepublik. Von vielen Entscheidungsträgern ist bekannt, zu welchem der „drei Grossen“ sie halten. Wenn ein Club nicht darf, was ein anderer vorher durfte oder umgekehrt, wittern die Fans prompt eine Diskriminierung.
Was aber lief jetzt schief? Anscheinend zogen der Club, die Polizei, die Gesundheitsbehörde, die Stadtverwaltung und die sozialistische Regierung von António Costa nicht am selben Strang. Sanitäre Empfehlungen gab es, sie wurden aber überhört und missachtet. Und erst dreieinhalb Stunden vor Anpfiff des Spiels, als auf den Strassen der Bär los war, gab die Polizei eine Medienkonferenz über die Prozeduren nach dem Spiel. Als die Nation am Tag nach dem Spiel in Aufruhr war, hüllte sich Innenminister Eduardo Cabrita – dessen Kopf die Parteien des rechten Lagers schon öfter gefordert hatten – in Schweigen.
Es geht auch anders
Und jetzt? Ministerpräsident Costa kündigte im Parlament erst einmal eine Untersuchung an. Er wollte auf niemand mit Steinen werfen, weder den Club, den er beglückwünschte, noch die Fans noch die Polizei. Und er bekundete Verständnis für die Festlichkeiten der Fans, die ja 19 Jahre auf diesen Moment gewartet hatten.
Wie die UEFA derweil am Donnerstag mitteilte, findet das Finale der diesjährigen Champions League zwischen Chelsea und Manchester City am 29. Mai in Porto statt – und sogar mit einer begrenzten Anzahl von Fans im Stadion des FC Porto. Schon im letzten Jahr war die Endrunde dieses Turniers in Lissabon ausgetragen worden. Bei Grossereignissen, bei denen das internationale Prestige auf dem Spiel stand, hatte sich Portugal ja schon öfter mit perfekter Organisation profiliert. Es geht also auch anders.