Portugal hat seit Ende März eine neue Regierung. Ministerpräsident Costa, dessen Sozialisten seit 2015 in Minderheit regiert hatten, kann sich jetzt auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Aber damit ist nicht gesagt, dass er es leichter haben wird als bisher.
Das Ergebnis der Parlamentswahl in Portugal am 30. Januar war so klar, dass alles für eine rasche Regierungsbildung sprach. Immerhin errang der Partido Socialista (PS) von Ministerpräsident António Costa, der seit 2015 in Minderheit regiert hatte, unerwartet die absolute Mehrheit der 230 Sitze im Parlament (Assembleia da República). Aber erst Ende März, also zwei Monate nach der Wahl, konnte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa endlich die Mitglieder von Portugals 23. Regierung seit Inkrafttreten der Verfassung von 1976 einsetzen.
Ein altes Programm für eine veränderte Welt
Grund für den Verzug war die vom Verfassungsgericht angeordnete Wiederholung der Wahl der zwei Abgeordneten, die im Parlament die Emigranten in Europa vertreten. Hier gab es Streit um die Gültigkeit von Stimmen, die ohne Kopien von Ausweisdokumenten eingesandt worden waren. In der Zeit, die deshalb verstrich, hat sich die Welt verändert, vor allem infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine. Costa scheint diese Zeit aber nicht optimal zur Vorbereitung auf die neue Lage und die neuen Herausforderungen genutzt zu haben.
Das Programm der neuen Regierung, monierten Vertreter der Opposition im Parlament, sei ein wenig veränderter Abklatsch des Programms, mit dem Costas Sozialisten zur Wahl angetreten waren. Vor allem auf den plötzlichen Anstieg der Inflation gebe das Programm keine Antwort. War Costa 2015 angetreten, um nach Jahren von Krise und Entbehrungen «das Blatt der Austerität zu wenden», so bekam er jetzt von Seiten des bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD) als grösste Oppositionspartei vorgeworfen, selbst eine «verkappte Austerität» zu praktizieren.
Am Budget scheiden sich die Geister
Die Geister scheiden sich am Entwurf für das Staatsbudget 2022, den der neue Finanzminister, Fernando Medina (im letzten September abgewählter Bürgermeister von Lissabon), vor Ostern präsentierte. Von Erhöhungen der Steuern und Rotstift-Politik wie in den Krisenjahren kann zwar keine Rede sein, denn niemandem wird direkt etwas genommen. Es sind sogar diverse Erleichterungen und Vergünstigungen für Familien mit Kindern und Personen mit mittleren oder niedrigen Einkommen vorgesehen. Für alle Renten von bis zu 1108 Euro pro Monat – dies betrifft 1,9 Millionen Frauen und Männer – ist rückwirkend ab Januar eine ausserordentliche Erhöhung von 10 Euro geplant.
Nur hat der Minister die meisten dieser Massnahmen aus dem anfänglichen Budgetentwurf vom Herbst 2021 übernommen. Auf seine Ablehnung durch das Parlament hatte der Staatspräsident mit der Ansetzung der vorzeitigen Wahl reagiert. Neuerdings aber rechnet der Minister mit einer Teuerung von 4 Prozent, und da kann von einer realen Erhöhung der Renten keine Rede sein. Nach wie vor ist für die Staatsangestellten eine Erhöhung der Saläre um magere 0,9 Prozent vorgesehen. Stärkere Erhöhungen lehnte der Minister jetzt ab, um der Teuerung keinen weiteren Schub zu geben. Und da wirkt der Plan der Regierung, den gesetzlichen Mindestlohn bis Ende der Legislaturperiode im Jahr 2026 von jetzt 705 auf 900 Euro zu erhöhen, nicht mehr sonderlich ehrgeizig. In dem Land, das zu den ärmsten der EU zählt, könnten erst einmal Proteste, Streiks, dicke Luft drohen.
Die Mahnung des Staatspräsidenten
Der Spielraum für etwas höhere Staatsausgaben bestünde durchaus, die Regierung will aber das Haushaltsdefizit unter Kontrolle halten. Selbst im pandemischen Jahr 2021 hatte es bei 2,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) gelegen, also unter dem Maastrichter Limit von 3 Prozent, und für 2022 ist ein Rückgang auf 1,9 Prozent eingeplant.
Da stellt sich die Frage, ob die Regierung nicht andere Akzente gesetzt hätte, wenn sie, wie in Costas ersten sechs Jahren als Ministerpräsident, im Parlament auf den Rückhalt kleinerer Parteien links der Sozialisten angewiesen wäre. Nun hat sie die absolute Mehrheit, und das nahm der Staatspräsident bei ihrer Amtseinführung am 30. März zum Anlass für klare Worte. Die neue Regierung verfüge über «ausserordentliche Voraussetzungen» und habe deshalb keine «desculpas» – das wären Entschuldigungen oder Ausreden – um nicht zu tun, was zu tun sei. Der Präsident hinterliess dabei eine klare Mahnung. Die Portugiesen hätten nicht nur einer Partei die absolute Mehrheit gegeben, sondern auch einem Mann, der die Wahl stark personifiziert habe und deshalb das Land auf halbem Wege verlassen könne. Auf halbem Wege, das wäre im Jahr 2024, wenn wieder Spitzenämter der EU zu vergeben sind. Costa war in Portugal als möglicher Präsident des Europäischen Rates gehandelt worden. Er müsste sich, um vorzeitige Neuwahlen in Portugal abzuwenden, solche Ambitionen aber abschminken.
Parität im Kabinett
Costa steht an der Spitze eines Kabinetts, das – er selbst inbegriffen – 18 Mitglieder hat und, als Novum in Portugal, paritätisch aus Frauen und Männern besteht. Nummer zwei im Kabinett ist die 43-jährige Soziologin Mariana Vieira da Silva, die ihr bisheriges Amt als Präsidialministerin behält, aber mit erweiterten Kompetenzen. Erstmals steht auch eine Frau an der Spitze des Ministeriums für Verteidigung, nämlich die 56-jährige Helena Carreiras. Ihr Amtsvorgänger, der 57-jährige João Gomes Cravinho, hat den 65 Jahre alten Augusto Santos Silva als Aussenminister abgelöst.
Santos Silva ist nun Präsident des Parlamentes und damit, nach dem Staatspräsidenten, die zweithöchste Figur in der Republik. Obwohl er laut Verfassung vier Stellvertreterinnen oder -vertreter haben sollte, hat er derer zur zwei, eine Sozialistin und einen PSD-Mann. Ein Vorschlagsrecht dafür, wer in diese Ämter kommt, haben die vier stärksten Fraktionen, derzeit also Sozialisten (120 Sitze), PSD (77 Mandate), die xenophob-rechtsextreme Partei Chega (12 Abgeordnete) und die Liberale Initiative (IL, 8 Sitze). Für die Kandidaten von Chega und IL fand sich keine Mehrheit.
Zwei unbesetzte Ämter
Chega hatte eine überaus illustre Figur des Rechtsextremismus als Vize vorgeschlagen, nämlich den 73 Jahre alten Diogo Pacheco de Amorim, der als Ideologe der Partei gilt. Er gehörte in der turbulenten Zeit nach dem Sturz der faschistoiden Diktatur durch die Nelkenrevolution von 1974 zum politischen – nach eigenem Bekunden aber nicht zum militärischen – Arm der MDLP, der Demokratischen Bewegung zur Befreiung Portugals. Als das Land unter Militärregierungen vorübergehend einen sehr linken Kurs einschlug, tat sich der militärische Arm der MDLP unter anderem durch Bombenanschläge auf Büros linker Gruppen hervor. Als Belege für eine rassistische Gesinnung des nunmehrigen Parlamentariers gelten jüngere Aussagen. «Unsere ursprüngliche Farbe ist die weisse Farbe», sagte er in einem Interview, und «unsere Rasse ist die kaukasianische Rasse». Wer solche Ansichten vertritt, ist nach Ansicht der grossen Mehrheit aller Abgeordneten als Vize-Präsident des Parlaments nicht tragbar. Wenigstens in diesem Punkt gibt es noch einen breiten Konsens.