Die meisten Bilder von Kampfhandlungen sind gestellt. Das ist eine banale Weisheit, denn jedem ist klar, dass ein Kameramann oder eine Kamerafrau keine Kampfhandlungen aus der Nähe filmen kann, es sei denn sie sind lebensmüde.
Einigermassen organisierte militärische Einheiten werden den Medien zudem überhaupt keinen Zugang zu Kampfgebieten erlauben, denn sie tragen Veranwortung für das Leben von Zivilpersonen. Andere leisten sich sogenannte "embedded journalists", mit der simplen Absicht, das eigene Handeln zu rechtfertigen. Doch grundsätzlich gilt: es muss hin und wieder für die Kamera geschossen werden, und das muss so ablaufen, dass das Kamerateam keine Probleme mit Entfernung, Belichtung und Gesundheit hat.
Es gibt nun mal keinen Krieg, ohne das geschossen wird
Denn die Fernseh-Teams wollen nicht nur Flüchtlingslager und Pressekonferenzen zeigen wollen, sie wollen möglichst „echte“ Kriegsaufnahmen liefern. Fernsehen hat den Anspruch, Realität abzubilden, und es gibt nun mal keinen Krieg, ohne dass geschossen wird, sollte man meinen.
Die Lösung dieses Problems erreicht man, indem man so tut als ob. Ich habe mir gestern Sonntag die Mühe gemacht, das Rohmaterial genau anzusehen, das aus Libyen über den Eurovision News Exchange (EVN) innert 24 Stunden reingelaufen kam. Es ist eine Menge Material. Bei den meisten Bildern ist die Montage eindeutig zu erkennen. Da werden Sequenzen vom umkämpften Ort Bin Jawad geliefert, die im Beiblatt Titel tragen wie „Jawad fighters“ oder „Jawad battle“ oder „Jawad retreat“ etc.
Doch die Bilder sind weitab von dem Ort irgendwo am Strassenrand gedreht. Da steigt die Schar der Kameraleute und Fotografen aus ihren Autos, und dann lassen die Fighters ein paar Feuerstösse aus ihren Kalaschnikows los, und alles wird gefilmt. Dann schiesst einer aus einer Panzerfaust. Er steht und schiesst in die Wüste. Irgendwohin, aber es ist wirklich ein grossartiges Bild, erst halbnah und dann total.
Nicht Scharfschützen entscheiden einen Krieg sondern Fernsehbilder
Dann erklärt einer der Aufständischen vor der Kamera, dass sie jetzt den Ort Bin Jawad unter Kontrolle haben oder in den nächsten Sunden einnehmen und dann weiter nach Westen vorstossen. Wir müssen es ihnen glauben, überprüfen kann man es kaum. Die Aufständischen wissen, wie wichtig das Fernsehen in der Propaganda-Schlacht ist. Jeder Gymnasialschüler weiss heutzutage, dass nicht Scharfschützen einen Krieg entscheiden sondern die Fernsehbilder.
Ein anderes Beispiel: Benghazi. Weit und breit keine Kampfhandlung. Ein Reporter interviewt die verwegenen Gestalten der Milizen, vom Outfit her ein Melange aus Pirat, Beduine und Rambo. Dann wird der Befragte gebeten, mit seiner Waffe in Stellung zu gehen. Sehr gute Aufnahme, erst das Gesicht im close-up, dann die Kalaschnikow, dann der Finger am Abzug.
Bei dieser Arbeitsweise kann es passieren, dass bei all der martialischen Schiesserei aus Versehen am Bildrand Leute zu sehen sind, die ihre Suppe essen oder eine Zigarette anzünden. Doch die kann man am Schnittplatz entfernen.
Action statt langweilige Pressekonferenzen
Man zeigt das Flab-Geschütz, das feuert und textet dazu: „Aus Bin Jawad, westlich vom Ölhafen Ras Lanuf, werden schwere Kämpfe gemeldet.“ Und als Bild dazu noch ein Panorama von der Wüste, wo weit entfernt Rauchwolken zu sehen sind. Den Schuss-Lärm kann man eventuell weiterziehen auf die Wüsten-Totale.
Action-Bilder sind besser als langweilige Bilder von Pressekonferenzen, das wissen alle Fernseh-Redaktoren und Redaktorinnen, die jungen und die alten. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob sich alle darüber im klaren sind, wie die Bilder zustande kommen, mit denen wir 24 Sunden am Tag zugeschüttet werden. Mehr und mehr tauchen auch Handy-Filme auf - eine äusserst unsichere Informationsquelle.
Unser aller Problem ist, dass das Wort „Krieg“ von Klischees verhangen ist. Archaische Bilder möchte ich sie nennen. Die Schützengräben von Verdun, die Gasangriffe, die Artillerie, die Bomben. Wir tragen in uns das Bild vom Krieg. Hollywood hat diese Vorstellungen ausgiebig bedient.
Anfang der achtziger Jahre wurde ich in El Salvador und Nicaragua immer mal wieder von Reportern kontaktiert, die aus Europa geschickt wurden, um den Bürgerkrieg zu covern. Manche kamen in kugelsicherer Weste am Flughafen an und fragten nach dem kürzesten Weg zu den Frontlinien. Bei Pizza und Bier musste man ihnen erst mal in Ruhe erklären, dass es in dieser Art von Guerrilla-Aufständen keine Front gab, und dass keine Gefechte zu filmen waren – es sei denn man spielte ein wenig Theater.