Die Belgierin Marie José passte nicht ins konservative, teils faschistische Italien. Nur 40 Tage lang war sie Königin, dann wurde die Monarchie abgeschafft. Mit ihrem Mann, dem König, war sie «nie glücklich».
Die schöne Prinzessin aus Belgien war etwas rebellisch, liebte ihre Unabhängigkeit, hatte Humor und lehnte die rigiden Formalitäten am Königshof ab. Im Gegensatz zum König hasste sie die Deutschen und die Faschisten.
Eine neue, fast 800 Seiten dicke Biografie gibt einen detaillierten Einblick in das Leben der Belgierin. Autor des Werks ist der Journalist Luciano Regolo. *) Er schrieb mehrere Bücher und arbeitet unter anderem für die katholische Famiglia Cristiana, aber auch für die linksliberale «La Repubblica».
«Perfekte Schönheit»
Marie José wurde am 4. August 1906 im belgischen Ostende geboren. Sie war die einzige Tochter des belgischen Königs Albert I. Als Neunjährige, so erzählt es der Autor, wurde sie einmal gefragt, was sie werden möchte. «Ich möchte eine perfekte Schönheit werden», lautete die Antwort.
Mit 11 Jahren wurde sie in die Klosterschule «Santissima Annunziata di Poggio Imperiale» (heute ein Unesco-Kulturerbe) nach Florenz geschickt. Dort wurde sie – mitten im Ersten Weltkrieg – in die italienische Königsfamilie eingeführt.
«Prinzessin von Piemont»
Schnell freundete sie sich mit dem zwei Jahre älteren Kronprinzen Umberto an. Er sei «objektiv schön» gewesen, sagte sie später: schwarzes Haar, dunkle Augen, grosse, schlanke Statur. Da Marie José noch nicht volljährig war, trafen sich die beiden immer wieder heimlich.
Am 25. Oktober 1929 gab das Paar in Brüssel seine Verlobung bekannt. Am 8. Januar 1930 heirateten sie in Rom. Jetzt war Marie José Kronprinzessin mit dem Titel «Prinzessin von Piemont».
Nachwuchs für das Haus Savoyen
Sie war erzogen worden, einen Mann «zu lieben», schreibt der 1966 geborene Biograf, der Marie José in ihren späten Jahren persönlich kennengelernt hatte. Umberto hingegen habe eine weniger «sentimentale und poetische» Erziehung genossen. Ziel des Hauses Savoyen war es, die fast tausendjährige Dynastie mit Nachwuchs am Leben zu erhalten.
Umberto brauchte unbedingt eine adlige Katholikin zur Frau, doch diese waren in Europa dünn gesät. Und die wenigen, die in Frage gekommen wären, wollten nicht ins faschistische Italien hineinheiraten.
Ein Meter achtzig gross
Vielen im konservativen Königshaus war Marie José ein Dorn im Auge. Ihre freizügige, weltoffene Art gefiel nicht allen. Nicht einmal ihr Name, Marie José, war genehm. Umberto bat sie, die Heiratsurkunde statt mit «Marie José» mit «Maria Giuseppina» zu unterschreiben. Sie weigerte sich. Der Kronprinz fügte sich. Immerhin wurde aus «Marie» jetzt «Maria».
Der Biograf beschreibt Maria José als «grosse Schönheit mit lockigem blondem Haar, grossen Augen, ein Meter achtzig gross».
Das crèmefarbige Hochzeitskleid mit Spitzen aus Bruges (Brügge) hatte Umberto selbst entworfen. Zur Hochzeitsfeier erschien auch Mussolini, den alle mit dem römischen (faschistischen) Gruss willkommen hiessen.
Maria José und Umberto waren ein seltsames Paar. Sie war lebensfreudig, ein «Schmetterling», wie sie genannt wurde. Sie liebte den Sport, Autorennen, die Musik, Konzerte, Festivals und die Gesellschaft.
Er, Umberto, zwar nicht ganz unromantisch, war eher spröde, militärisch streng erzogen, engstirnig, ein klassischer Vertreter des Savoyer Adels: ein Langweiler. Er störte sich an ihrer Frisur und ihren «schrecklichen Hüten».
«Wir waren nie glücklich»
Maria José unterzog sich eher widerwillig den höfischen Gepflogenheiten. «Wir waren nie glücklich», sagte sie später in einem Interview.
Vier Jahre lang kriegte sie keine Kinder. Schliesslich gebar sie drei Mädchen und einen Knaben. Noch heute wird spekuliert, ob der Vater ein anderer als Umberto war – oder ob die Schwangerschaften Folge einer damals fast unbekannten künstlichen Befruchtung waren.
Hass auf Deutschland
Am 25. August 1938 besuchte sie in Triebschen bei Luzern ein Gala-Konzert, das vom italienischen Stardirigenten Arturo Toscanini dirigiert wurde. Das kam im faschistischen Italien gar nicht gut an, denn Toscanini war ein harter Kritiker des Faschismus und hatte 1937 Italien Richtung USA verlassen. Sogar Mussolini kritisierte Maria Josés Besuch in der Schweiz.
Als Hitler im Juni 1940 Belgien überfiel, reagierte Maria José mit Abscheu und begann alles Deutsche zu hassen. Das belastete die Beziehung zu ihrem Mussolini-hörigen Ehemann weiter. Während des Krieges war sie politisch keineswegs untätig und streckte die Fühler nach den USA und Grossbritannien aus. Ihr Versuch, zwischen dem deutsch-italienischen Lager und den Alliierten zu vermitteln, scheiterte jedoch schon früh. Als ihr Schwiegervater, König Vittorio Emanuele III., von den Bemühungen seiner Schwiegertochter erfuhr, verbannte er sie ins Aostatal, damit sie sich aus der Politik heraushalte.
Mussolini-höriger König
Vittorio Emanuele III., Umbertos Vater, war vor Mussolini in die Knie gegangen und hatte seine faschistische, rassistische, antisemitische Politik jahrzehntelang gutgeheissen und machte sich zum Komplizen des Diktators.
1943 dann, die Alliierten standen schon vor Rom, wechselte Vittorio Emanuele seine Weste und wirkte am Sturz Mussolinis mit. Am 29. Juli 1943 entliess er Mussolini und versuchte so zu retten, was noch zu retten war. Doch es war nichts mehr zu retten. Am 3. September 1943 kapitulierte die italienische Armee und Italien schloss mit den Westalliierten einen Waffenstillstand. (Siehe auch: Journal21: Rambazamba bei Mussolini)
«Mai-Königin»
Maria José ging nun mit ihren Kindern in die Schweiz und lieferte den Partisanen, die im Norden Italiens noch immer gegen die Deutschen kämpften, Waffen. Im Februar 1945 kehrte sie nach Italien zurück. Auf Skiern hatte sie einen Übergang beim Matterhorn überquert. Fotos zeugen davon.
Am 9. Mai 1946 dankte König Vittorio Emanuele III. ab und machte seinem Sohn Umberto Platz. Maria José war nun Königin – für 44 Tage nur. Da ihre Amtszeit vor allem in den Monat Mai fiel, wird sie «Mai-Königin» genannt.
Ende der Monarchie
Am 2. Juni sprachen sich die Italiener und Italienerinnen in einer Volksabstimmung für die Abschaffung der Monarchie aus. Maria José selbst hat bei der Abstimmung leer eingelegt. Sie empfand es als «wenig elegant», für sich selbst zu stimmen.
Italien war jetzt eine Republik.
Neue Heimat: Genf
Umberto und Maria José zogen nach Portugal, nach Cascais. Doch schon bald trennte sich das Paar. Der letzte italienische König blieb in Portugal – und die letzte italienische Königin zog via Mexiko ins Schloss Merlinge bei Genf, einem 50 Hektar grossen Anwesen, das sich im Besitz des italienischen Königshauses befand.
Die neue republikanische Verfassung verbot es den männlichen Mitgliedern des Hauses Savoyen, italienischen Boden zu betreten. Doch noch lange hoffte Umberto, dass Italien wieder eine Monarchie werden würde. Er starb 1983 in Genf. Auch sein heute in Genf lebender Sohn Vittorio Emanuele gebärdet sich – ziemlich peinlich – noch immer als italienischer König. Seine monarchistischen Anhänger nennen ihn «König Vittorio Emanuele IV.». Er war Mitglied der Geheimloge P2 von Licio Gelli und sass wegen Korruption, Fälschung und Ausbeutung von Prostituierten im Casino Campione in Haft. (Siehe auch: Journal21: Aufstieg und Fall eines Königreichs)
«Farfalla in trappola»
Maria José starb am 27. Januar 2001 in Genf. Am 2. Februar des gleichen Jahres wurde sie an der Seite von Umberto II. in der Abtei von Hautecombe in Savoyen bestattet. Viel blaues Blut war an der Beerdigung dabei: 200 Gäste. Maria Josés Nachkommen fordern nun, dass sie – wie der Staatsgründer Vittorio Emmanuele II. und Umberto I. – im Römer Pantheon ihre letzte Ruhe findet.
Sie hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie, die von Unabhängigkeit träumte, wurde immer mehr zu einer «Farfalla in trappola», wie der Biograf schreibt: einem Schmetterling in der Falle.
Die vier italienischen Könige
- Vittorio Emanuele II., geboren 1822. Zusammen mit Camillo Benso de Cavour gilt er als Vater des Vereinigten Italiens. Er ist der erste «König von Italien». Gestorben 1878 in Rom. Beigesetzt ist er im Römer Pantheon.
- Umberto I., Sohn von Vittorio Emanuele II., geboren 1844. Der zweite «König von Italien». In Monza wird er 1900 von einem Anarchisten ermordet. Beigesetzt ist er an der Seite seines Vaters im Römer Pantheon.
- Vittorio Emanuele III. Sohn von Umberto I. Der dritte «König von Italien», «Kaiser von Abessinien», «Kaiser von Albanien». Er unterwarf sich Mussolini und trat 1946 zurück. Er starb 1947 in seinem Exil im ägyptischen Alexandria. Eine Beisetzung im Pantheon konnte wegen seiner Mussolini-hörigen Vergangenheit verhindert werden.
- Umberto II., Sohn von Vittorio Emanuele III, geboren 1904, letzter «König von Italien», Ehemann von Maria José. Er stirbt 1983 in Genf. Beigesetzt ist er im französischen Hautecombe am Lac de Bourget.
*) Luciano Regolo: Maria José. Regina indomita
Ares Mailand, 2022, 776 Seiten
(auf Italienisch)