Emanuele Filiberto, der verhinderte Thronfolger, singt am Schlagerfestival von Sanremo die Schnulze „Italia mio amore“. Seine Frau tanzt in den Crazy horses von Paris. Und dem Vater von Filiberto, dem 74jährigen Vittorio Emanuele, wird die Ausbeutung von Prostituierten vorgeworfen. Einmal schoss er auf einen deutschen Studenten.
Vittorio Emanuele, der in Vésenaz bei Genf lebt, ist der Enkel des letzten italienischen Königs. Hätte Italien 1946 die Monarchie nicht abgeschafft, wäre er jetzt König Italiens. „Doch lieber Berlusconi“, witzeln einige Italiener.
Der Schlagersänger und sein Vater – ein ehemaliges Mitglied der Geheimloge P2 - sind Nachfahren eines der legendären europäischen Königshäuser.
Die zersplitterte Halbinsel
Blenden wir zurück: Das „Haus Savoyen“ herrscht damals über ein riesiges, aber wenig homogenes Territorium. Das Königreich nennt sich „Piemont-Sardinien“. Dazu gehören die beiden heutigen französischen Departemente Hoch-Savoyen und Savoyen, ferner das Aosta-Tal, das Piemont und Sardinien. Nicht genug: Auch Nizza ist savoyardisch. Das Territorium mit den wichtigen Alpenübergängen Grand St-Bernard, Petit St-Bernard und Mont Cenis hat grosse strategische Bedeutung.
Das „Königreich Piemont-Sardinien“ ist Mitte des 19. Jahrhunderts eines der wichtigen Bollwerke auf der zersplitterten Apenninen-Halbinsel. Daneben herrschen in der Lombardei und in Venetien die Habsburger. In Zentralitalien regiert der Papst seinen Kirchenstaat und im Süden dominieren die Bourbonen. Doch Italien soll italienisch werden und von fremden Mächten befreit. Eine revolutionäre Bewegung, die dieses Ziel anstrebt, gewinnt immer mehr an Boden. Intellektuelle fordern den Abzug der Bourbonen und Habsburger. Vom Papst verlangen sie, als weltlicher Herrscher abzutreten. Überall entstehen Partisanenverbände, die gegen die fremden Herren und für ein vereintes Italien kämpfen.
Unfähiger König, unfähiger Königssohn
Carlo Alberto ist damals König im „Königreich Piemont-Sardinien“. Er weiss nicht, was er tun soll. Die Bevölkerung nötigt ihn regelrecht, den Habsburgern den Krieg zu erklären. Er tut es, doch trotz gewonnener Schlachten ist er unfähig, den Krieg zu gewinnen. Er kapituliert. Jetzt rächt er sich an den Freiheitskämpfern, die die piemontesischen Truppen unterstützt haben. Tausende lässt er niedermetzeln.
Doch die Massen drängen ihn, den Österreichern ein zweites Mal den Krieg zu erklären. Wieder verliert er. Der österreichische Feldmarschall Radetzky fügt den Piemontesen bei Novara eine schwere Niederlage bei. Carlo Alberto flüchtet nach Portugal.
Jetzt kommt sein Sohn Vittorio Emanuele II. an die Macht. Er ist ebenso unfähig wie sein Vater. Auch er lässt seine Truppen kapitulieren. Vor allem fürchtet er den wachsenden Einfluss der Freiheitskämpfer, die im Süden immer stärker werden und nach Norden vordringen. Diese Kämpfer orientieren sich am Geist der Französischen Revolution. Sie wollen eine Republik, ein Parlament – und keine Monarchie mit einem König aus dem Haus Savoyen.
Brillanter Tauschhandel
Vittorio Emanuele spricht sich zunächst gegen eine Vereinigung Italiens aus. Denn er fürchtet – zu Recht -, dass ein vereintes Italien ihn nicht mehr braucht. Doch der König hat Glück. Er verfügt über einen geschickt agierenden, intelligenten Ministerpräsidenten: Graf Camillo Benso di Cavour, einem reichen Adligen. Ohne Cavour wäre Vittorio Emanuele wohl untergegangen.
Cavour fädelt mit Napoleon III. einen brillanten Tauschhandel ein. Napoleon hilft Cavour und Vittorio Emanuele beim Rauswurf der Habsburger aus der Lombardei. 200‘000 französische Soldaten unterstützen die Piemontesen bei der Vertreibung der Habsburger. Im Gegenzug tritt das Haus Savoyen sein einstiges Stammland an die Franzosen ab: nämlich die beiden französischen Departemente Savoie und Haute-Savoie mit den Städtchen Chamonix, Megève, Evian, Annecy und Chambéry. Frankreich wird auf Anhieb um 10 000 Quadratkilometer grösser. Auch Nizza wird französisch. Aus Nizza wird Nice.
Doch von Süden her drängt Giuseppe Garibaldi mit seinen Truppen nach Norden. Garibaldi, der populäre Freiheitsheld, will Italien einigen – aber als Republik und ohne König. Doch der König stellt sich ihm entgegen. Er sieht jetzt die Chance eines grossen vereinten Italiens: ein Italien als Monarchie – ein Italien mit ihm als König. Und Garibaldi gibt nach.
Der König flüchtet nach Genf
Am 17. März 1861 wird das „Königreich Italien“ ausgerufen. Bis zum Zweiten Weltkrieg stellt das Haus Savoyen vier Könige: Vittorio Emanuele stirbt 1878; ihm folgen Umberto I. (1900 von einem Anarchisten in Monza ermordet), Vittorio Emanuele III. (von Mussolini an die Wand gespielt, im Amt bis 9. Mai 1946) und sein Sohn Umberto II. (der nur noch 33 Tage amtiert).
Am 2. Juni 1946 sprechen sich die Italiener für die Abschaffung der Monarchie aus. Italien wird eine parlamentarische Republik. Der König muss das Land verlassen. Er flüchtet nach Genf. Sein Sohn heisst wieder Vittorio Emanuele. Monarchisten nennen ihn Vittorio Emanuele IV. Doch Monarchisten gibt es in Italien kaum mehr.
Den Mitgliedern des ehemaligen Könighauses wird es zunächst verboten, italienisches Territorium zu betreten. 2002 wird die Verfassung geändert und Vittorio Emanuele, sein Sohn Filiberto und ihre Angehörigen besuchen erstmals wieder Italien.
Ausbeutung von Prostituierten
Die Nachfahren von Vittorio Emanuele II. können den Untergang des Königreichs noch immer nicht verdauen. Sie haben den italienischen Staat auf Schadenersatz verklagt. Sie fordern 260 Millionen Euro als Wiedergutmachung für begangenes Unrecht. Ferner verlangen sie die Rückgabe aller beschlagnahmten Güter. Italien lacht nur über solche Forderungen. Der Staat weist darauf hin, dass es eigentlich an Italien wäre, das Haus Savoyen einzuklagen – wegen seiner unrühmlichen Rolle während des Faschismus.
Der bei Genf lebende Vittorio Emanuele wird im Sommer 2006 festgenommen. Neben Ausbeutung von Prostituierten werden ihm schmutzige Spielbankgeschäfte und Geldwäscherei vorgeworfen. In Varenna am Comersee wird er „wie ein Bandit verhaftet“ (so sein Sohn). Mit einem Fiat Punto wird der Blaublütige durch ganz Italien ins Gefängnis ins südliche Potenza gebracht. Ein Fiat Punto für den Sohn des letzten italienischen Königs.
Spielbank-Grössen und Mafia-Angehörige
Filiberto ist in Genf an einem internationalen Jetset-Restaurant beteiligt: Sein Name „Il Quirinale“. Er, der italienisch-schweizerische Doppelbürger, wird weiterhin den Boulevard mit Anekdoten beliefern. Er tritt in Werbespots und Tanz-Shows auf. Schon in jungen Jahren hat er seine Memoiren geschrieben: „Sognando l’Italia“. Bei den letzten italienischen Parlamentswahlen tritt er als Spitzenkandidat seiner neugegründeten Partei „Valori e futuro“ (Werte und Zukunft) an. Auf seiner Liste befinden sich auch Spielcasino-Grössen und Mafia-Angehörige. Alle scheitern. Auch bei den Europa-Wahlen kandidiert Emanuele Filiberto - vergebens.
Und dann also auch der Auftritt am Schlagerfestival von Sanremo, das von Millionen von Zuschauern verfolgt wird. Den Text und die Musik seines Stücks habe er selbst geschrieben, sagt er.
Der Text geht so: „Ich glaube immer an die Zukunft, die Justiz, die Arbeit. Ich glaube an die Traditionen. Ich glaube an ein Volk, das nicht aufgibt und leidet, dass es solche gibt, die wenig oder nichts besitzen. Ich glaube an meine Kultur und meine Religion, deshalb habe ich keine Angst meine Meinung auszudrücken. Heute Abend bin ich hier, um Gott und der Welt zu sagen: Italia amore mio.“
Es ist nicht nur die Lega Nord, die an der 150 Jahr-Feier am 17. März nicht teilnehmen will. Viele Italiener sagen sich: Sollen wir feiern, dass dieses dekadente und korrupte Königshaus vor 150 Jahren an die Macht kam?
Das Haus Savoyen
Carlo Alberto, König des Königreichs Piemont-Sardinien. (1798-1849)
Vittorio Emanuele II., Sohn von Carlo Alberto, König von Piemont-Sardinien, ab 17. März 1861 erster König des vereinten „Königreichs Italien“. (1820-1878)
Umberto I., Sohn von Vittorio Emanuele II., ermordet in Monza. (1844-1900)
Vittorio Emanuele III., Sohn von Umberto I., König während der Mussolini-Zeit. (1869 – 1947)
Umberto II., Sohn von Vittorio Emanuele III., letzter König von Italien, herrscht nur 33 Tage bis zur Abschaffung der Monarchie. Er geht nach Genf ins Exil, wo er stirbt. (1904 – 1983)
Vittorio Emanuele, Sohn von Vittorio Emanuele III., geboren 1937, lebt in Genf im Exil.
Filiberto, Sohn von Vittorio Emanuele, geboren 1972.
Siehe auch: Berlusconis Freund, ein linker Revolutionär http://www.journal21.ch/berlusconis-freund-ein-linker-revolution%C3%A4r
Ein hochpolitischer Liebesroman http://www.journal21.ch/ein-hochpolitischer-liebesroman