Die beiden NGOs Public Eye und Trial International haben eine auf 1,8 Millionen Franken lautende Schadenersatzklage der Zuger Ölhandelsfirma Kolmar wegen Persönlichkeitsverletzung am Hals. Der Rohstoffhändler steht mit seinem dubiosen Vorgehen nicht allein.
Wer sind die beiden Beklagten? Public Eye ist eine 1968 unter dem Namen Erklärung von Bern von einer Gruppe reformierter Theologen um den Pfarrer, Wirtschaftswissenschaftler und Ethiker André Biéler gegründete entwicklungspolitische Organisation. Sie macht immer wieder mit fundierten Recherchen auf Missstände aufmerksam, insbesondere bei wirtschaftlichen Missbräuchen, verweigerten Arbeitsrechten oder Umweltschädigungen. Trial International wurde 2002 in Genf gegründet, um die verbreitete Straflosigkeit von Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu bekämpfen.
Worum geht es bei der Klage? Im Jahr 2020 veröffentlichten Public Eye und Trial einen Bericht, in dem Kolmar beschuldigt wird, in den Jahren 2014 und 2015 über ein illegales Handelsnetzwerk Öl aus dem Bürgerkriegsland Libyen geschmuggelt und in Europa verkauft zu haben. Kolmar wurde vor der Publikation zur Stellungnahme aufgefordert, nutzte die Gelegenheit aber nicht. Stattdessen reagierte das Zuger Unternehmen nach Erscheinen des Berichts mit einer Gegendarstellung.
Mit der jetzt erhobenen Klage gegen Public Eye und Trial folgt Kolmar einer Strategie, die von angegriffenen Unternehmen und Personen immer häufiger gegen die ihnen lästigen Public Watchdogs angewandt wird: Man lässt Anwälte auf sie los, und zwar nicht, um in Prozessen oder Vergleichen eigene Rechtsansprüche durchzusetzen, sondern mit dem primären Ziel, die Kritiker zu schädigen, ja, in ihrer Existenz zu gefährden.
Das Prozedere hat einen Namen bekommen: Slapp, ein Akronym für «Strategic Lawsuit Against Public Participation» (Strategische Klage gegen Bürgerbeteiligung). Die prozessualen Aussichten sind bei solchen Slapps für die Kläger völlig nebensächlich. Es geht ihnen darum, mit horrenden Entschädigungen oder anderen Forderungen, welche die Tätigkeit der beklagten NGOs lahmlegen würden, soviel Druck aufzubauen, dass der Gegner kollabiert.
Oft wird der juristische Angriff flankiert von negativen PR-Aktionen, welche darauf abzielen, den Ruf der Angegriffenen und die Spendenbereitschaft ihrer Unterstützer zu zersetzen. Letzteres ist beispielsweise geschehen beim Vorgehen des schwerreichen malaysischen Taib-Clans gegen den Bruno-Manser-Fonds, der dessen angeblich korrupte Tropenholz-Geschäfte öffentlich gemacht hatte.
Slapps haben in den letzten Jahren zugenommen. Ein Dutzend schweizerische NGOs haben deswegen eine Allianz gebildet, um sich gemeinsam gegen solche Aktionen zu wehren, mit denen sie mundtot gemacht werden sollen. Auch Medienunternehmen sind von solchen Machenschaften betroffen.
Die Europäische Kommission hat den Vorschlag einer EU-Richtlinie entwickelt, der solchen missbräuchlichen Klagen einen Riegel schieben soll. Wird die Richtlinie vom Europäischen Parlament und vom Rat gebilligt, so finden griffige Massnahmen Eingang ins EU-Recht: Die Gerichte können offensichtlich unbegründete Klagen vorzeitig abweisen. Zudem können sie den Klägern nicht nur sämtliche Verfahrenskosten überbürden, sondern sie zudem dazu verknurren, den Beklagten sämtliche entstandenen Kosten zu erstatten. Diese und weitere Massnahmen werden ergänzt durch eine Reihe von Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten, um die Slapp-Seuche einzudämmen.
Dies ist, wie gesagt, noch im Projektstadium. Doch immerhin tut sich etwas in der EU. In der Schweizer Politik hingegen herrscht in der Sache Funkstille. Das scheint geradezu System zu haben. So versenkte das Parlament 2020 einen Vorschlag zum besseren Schutz von Whistleblowern definitiv. Im Mai 2022 wurde die gesetzliche Schwelle für die Durchsetzung vorsorglicher Massnahmen gegen die Veröffentlichung von Informationen gesenkt. Und das Bankgeheimnis ist hierzulande gesetzlich so streng geschützt, dass bei Veröffentlichung von Bankdaten selbst dann hohe Strafen drohen, wenn die Informationen von grösstem öffentlichem Interesse wären. Tamedia musste deswegen im Februar 2022 darauf verzichten, bei einer internationalen Recherche gegen die Credit Suisse mitzuwirken. Im Rückblick ist das nicht ohne Ironie.
Angesichts der notorischen politischen Entscheide gegen Transparenz und Investigation kann es kaum verwundern, dass ein Vorstoss des Waadtländer Grünen Raphaël Mahaim, der ähnliche Massnahmen gegen Slapps wie die in der EU geplanten vorschlug, im Nationalrat keine Zustimmung fand. Der Präsident der nationalrätlichen Rechtskommission, Christian Lüscher (FDP Genf), setzte sich im März 2023 durch mit seiner Behauptung, es gebe in der Sache keinen Handlungsbedarf.
In der Schweiz hält sich zäh ein Syndrom des Nichtwissenwollens. So rühmt man sich zwar gern der angeblich mustergültigen Geldwäscherei-Gesetze, sträubt sich aber bis anhin dagegen, die Schlupflöcher bei der Vermögensverwaltung im Nichtbankenbereich zu stopfen (auch hier kämpft Herr Lüscher an vorderster Front). Die Risiken der neugeschaffenen Monsterbank scheint man so wenig ernst zu nehmen, dass man sogar eine schlingernde Finanzmarkt-Aufsicht in Kauf nimmt. Und zur Rohstoffbranche gibt es nicht einmal verlässliche Zahlen; von einer griffigen Aufsicht über den Hochrisikosektor gar nicht zu reden.
Man schaut nicht hin und will lieber nicht zuviel wissen. Um so wichtiger sind hartnäckige und kompetente NGOs wie zum Beispiel Public Eye. Letztere fordert seit Jahren eine Rohstoffmarkt-Aufsicht für die Schweiz. Mit Recherchen wie derjenigen gegen den Ölhändler Kolmar untermauert sie die Notwendigkeit ihrer Forderung. Es ist wichtig, dass solche Organisationen nicht mit Slapps mundtot gemacht werden können. Man muss hoffen, dies sei auch dem Zuger Kantonsgericht klar, das die Causa Kolmar gegen Public Eye und Trial International zu verhandeln hat.