Die Medienmanager behaupten heute, das Internet habe die Krise des Journalismus verursacht. Diese These greift zu kurz. Die ersten Einbrüche erlitt der Journalismus lange vor dem Siegeszug des Internets. In den USA zum Beispiel begann der Zerfallsprozess, als ehemalige Verlage im Familienbesitz an die Börse gingen. Die Profiterwartungen der Aktionäre und nicht mehr die Interessen der Leser standen jetzt im Vordergrund.
Der Journalismus verlor an Glaubwürdigkeit, weil die Verleger Redaktionen und Korrespondentennetze zusammenzustreichen begannen, als die Zeitungen noch hohe Gewinne abwarfen. Die gleiche Entwicklung - mit einigen Jahren Verspätung – lässt sich auch in Europa und der Schweiz beobachten. Im Mai 2009 entliess der Tages Anzeiger einen Viertel der Redaktoren. Gleichzeitig setzt die an der Börse kotierte Tamedia mit 15 bis 20 Prozent Rendite deutlich höhere Ertragsziele als andere Medienunternehmen in der Schweiz.
Der Journalismus benötigt Zeit
Das Internet hat die Möglichkeiten der Kommunikation und den öffentlichen Raum vergrössert, den die demokratische Gesellschaft braucht. Das Internet ist ein hervorragendes Instrument für einen neuen kreativen Journalismus. In Wirklichkeit hat das gleiche Instrument den Journalismus aber auch instrumentalisiert. Die neue Technologie unterwirft den Journalismus dem gleichen Diktat der Kurzfristigkeit wie der Turbokapitalismus, dessen zerstörende Wirkung wir erfahren haben. „Instant-news“ ist das Ende der Information und Nachricht. „Content –Provider“, denen die Zeit und das Gedächtnis für Kontext fehlen, werden leicht das Opfer von Spin-Doctors und populistischen Schreihälsen.
Die Informationsflut im Netz wächst täglich. Der Cyber-Space ist unbegrenzt, die Cyber-Zeit, die Fähigkeit des Menschen Informationen aus dem Cyber-Space zu verarbeiten, ist es aber nicht. Die vom Internet diktierte Ökonomie hat bereits massive Veränderungen der Arbeitswelt (Fragmentierung der Arbeit) verursacht. Wie kein anderer Beruf ist der Journalist vom physischen und psychischen Druck des Internets betroffen. Der französische Philosoph Paul Virilio hat ein Plaidoyer gegen die Diktatur der Geschwindigkeit und für eine Entschleunigung geschrieben. Er fordert eine „demokratische Geschwindigkeit“, in der zu einer Politik zurückgefunden werden kann, die Zeit braucht. Journalismus, der im demokratischen Prozess eine zentrale Rolle spielen sollte, braucht Zeit. Eine Entschleunigung ist notwendig.
Das demonstrierte in den vergangenen Wochen die Website Wikileaks. Es genügte nicht, die ihr zugespielten geheimen Dokumente einfach als „Rohmaterial“ ins Netz zu stellen. Erst durch die wochenlange Recherche und Aufarbeitung der Redaktionen von „alten“ Medien („New York Times“, „Guardian“ „Spiegel“) entstanden daraus für die Öffentlichkeit verständliche Hintergrundinformationen.
Information - aber nicht nur für die Elite
Die sinkenden Werbeeinnahmen zwingen die Medien, sich noch mehr dem Markt anzupassen. Die regelmässig erscheinenden „Luxus-Beilagen“ in der Tages- und Wochenpresse sind nur ein Symptom dafür, wie sich die gedruckten Medien mehr an der Leserschaft mit höherer Kaufkraft orientieren. Das formuliert der CEO der NZZ, Albert P. Stäheli so: „Unser Ziel ist Klasse. Wir müssen uns durch unsere publizistische Leistung abgrenzen, wir müssen den Mut haben, auch zu definieren, wen wir nicht erreichen wollen .“ (www.persoenlich.com 26.01.2010).
Dieses exklusive Geschäftsmodell kann man zur Kenntnis nehmen. Es drängen sich aber auch Fragen auf. Zum Beispiel: Wie geht die NZZ mit Informationen um, die sie erhält, weil sie eine auf die Elite ausgerichtete „Klasse“–Zeitung ist? Während der Finanzkrise, so berichtet der Chefredaktor der NZZ, habe seine Zeitung von der UBS vertrauliche Informationen erhalten , welche die Redaktion in kritischen Momenten „aus Verantwortungsgefühl und um den direkten Draht nicht zu kappen, auch mal unter dem Deckel halte“. (www.Medienheft. 9.01.2009). Hier findet ein Katastrophenmanagement ausschliesslich im Interesse einer Elite statt, die sich gegenseitig schützt und stützt. Opfer sind die Glaubwürdigkeit des Journalismus und die Demokratie .
Kein Zweifel, wer will, hat immer noch die Möglichkeit, sich eingehend zu informieren. Dennoch ist der Trend unverkennbar. Wie im Gesundheits – und Bildungssystem droht sich die Gesellschaft im wichtigsten Service Public, der Information, zu spalten: Die Medien beliefern ihre Zielgruppen je nach Ausbildung und Kaufkraft. Für die niedrigen Bildungsschichten und jüngeren Menschen mit tiefer Kaufkraft, die „Vox populi“, ein billiger Journalismus. An das anspruchsvolle Publikum mit hohem Einkommen wendet sich der „Premium Journalismus“ . Eine Demokratie setzt aber voraus, dass sich eine sehr grosse Zahl von Menschen an ernsthaften politischen Debatten und an der Gestaltung der politischen Agenda beteiligt und nicht allein passiv auf Meinungsumfragen antwortet.
Die Information hat ihren Preis, ist aber nicht einfach eine Ware
Es kam einem Paradigmenwechsel gleich, wurde aber von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Verpackt in einem „Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ einigte sich die UNESCO Generalversammlung im Oktober 2005 auf folgende Feststellungen: Medien sind nicht einfach Handelswaren und der Markt sorgt nicht von selbst für Meinungsfreiheit, Medienvielfalt und unabhängige Information . Erstmals versucht eine internationale Konvention, völkerrechtlich einen Rahmen für die Anerkennung von Kultur und Medien als öffentliche Güter zu schaffen im Kampf gegen die Macht der internationalen Kommunikations- und Unterhaltungsindustrie.
Keine Frage, die UNESCO-Erklärung ist in der multilateralen Medienpolitik eine schwache Stimme. Wie bei anderen UN-Konventionen (etwa den Arbeits- oder Umweltabkommen) haben in einem Konfliktfall die Freihandelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) Vorrang, welche die Interessen der Medienkonzerne bevorzugen. Dennoch sollte das Dokument der UNESCO Medienpolitikern, Journalistenorganisationen und all jenen, die Medien nicht nur als Handelsware verstehen, vermehrt als vertragsrechtliche Referenz dienen.
Die Information darf nicht dem Markt überlassen werden. Aber der Journalismus muss auch finanziert werden. Und wer ist bereit, für das öffentliche Gut, die Information, wie viel zu bezahlen ? Das international anerkannte amerikanische Pew Research Center prognostiziert folgende Trends: „Die Werbeeinnahmen, die den Journalismus im letzten Jahrhundert finanziert haben, werden in diesem Jahrhundert nicht ausreichen.“ Das gleiche gelte auch für die Internet-Newsportale. Sie würden zwar von immer mehr Lesern angeklickt, die Journalisten in den News-Portalen erhielten ihren Lohn aber weiterhin von den „alten“ Medien.
Die Politik muss intervenieren
Gesucht wird ein Geschäftsmodell für online-Journalismus, das auch den Qualitätsjournalismus finanzieren kann. Die Werbung zieht zwar mit dem Publikum ins Internet aber nicht dorthin, wo journalistische Angebote zu finanzieren wären. Zudem zahlt die Werbung in diesem flüchtigen Medium nur einen Bruchteil des Preises , mit dem sie die Print-Medien unterstützt hat. Die Erfahrungen in den USA zeigen, dass das Internet in absehbarerer Zeit oder wahrscheinlich nie so viel Einnahmen generieren kann, um eine ausgebaute Redaktion in der Grösse einer Print-Zeitung zu finanzieren.
Spenden und philanthropische Stiftungen, die in den USA als Lückenbüsser für die Rettung des seriösen Journalismus einspringen, sind keine nachhaltige Lösung. Es braucht Milliarden, um den Ausfall der Werbeeinnahmen wieder wett zu machen. Noch ist nicht klar, wie viel und ob überhaupt der User bereit ist, für on-line Inhalte zu zahlen. Murdochs News Corporation (Wall Street Journal, London Times) aber auch die New York Times und in Europa die Axel Springer AG wollen ihre Inhalte nicht mehr kostenlose anbieten.
Wie ernst die Krise ist, zeigt die Tatsache, dass sich in den USA inzwischen zwei wichtige Regierungsorgane (Federal Trade Commission und die Federal Communications Commission) mit der Krise des Journalismus befassen. Zwar ist die Skepsis gegenüber staatlichen Interventionen nach wie vor gross. Doch auch in den USA wächst die Überzeugung, dass eine aufgeklärte und gezielt politische Aktion zugunsten des Journalismus keinesfalls mit einer staatlichen Kontrolle über den Journalismus gleichgesetzt werden muss.
In der Schweiz hat ein „aggressiver Kommerzjournalismus“ (NZZ 11.7.2009) zu einer nie geahnten Medienkonzentration geführt. Ganze Regionen werden nur noch von einem einzigen Multimedienhaus informiert. Und es ist absehbar, dass der einstige „Bannwald der Demokratie“ bald gerade noch von zwei bis drei Medienunternehmen beherrscht sein wird. Ueber alle Parteigrenzen ist man sich einig, dass im Interesse der Demokratie und der föderativ geprägten Schweiz „neue Rahmenbedingungen“ notwendig sind. Aber wann ist in der Schweiz etwas so notwendig, dass auch etwas geschieht ?
Unbequeme Fragen an den Journalismus
Wasser, Boden, Klima sind in der Öffentlichkeit als Herausforderungen unserer Gesellschaft erkannt . Warum ist der Journalismus, warum ist die Information, der „Sauerstoff“, ohne den die Demokratie nicht überleben kann, noch kein öffentliches Thema? Immerhin haben kürzlich in Basel Tausende von besorgten Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem Aufruf „Rettet Basel.ch“ gegen die intransparenten Vorgänge um das Monopolblatt Basler Zeitung protestiert. Die Journalisten selber müssen sich heute aber auch die Frage stellen, warum die Zeitung nicht als öffentliches Gut wahrgenommen wird, das „nicht nur dem Verleger sondern auch der Gesellschaft gehört“ (Marc Lamunière)? Oder anders formuliert: Wenn der Journalismus eine Zukunft haben soll, dann muss er sich einmal selbst so kritisch betrachten wie den Rest der Gesellschaft. Was hat der Journalismus falsch gemacht? Warum gelingt es nicht mehr, relevante und wichtige Fragen „unter das Volk“ zu bringen. Oder, sieht der Journalismus die „relevanten“ Fakten einfach nicht mehr ?
Tatsache ist, wie bereits erwähnt, die grosse Mehrheit der Medien in den USA und in Europa hat die marktradikale Politik mitgetragen, die den Kapitalismus an den Rand des Abgrunds geführt hat. Verhindert hat den Absturz die „öffentliche Hand“ mit Stützungsmassnahmen , die eine Verschuldung des Staates von historischem Ausmass zur Folge haben. Bezahlen müssen über Budgetkürzungen die politisch schwach organisierten und schlecht informierten Schichten der Gesellschaft. Die „Postdemokratie“ nähert sich mit Riesenschritten.
Von eigentlich „vor-demokratischen“ Zuständen kann man in der Schweizer Medienbranche sprechen. Seit sechs Jahren gibt es in dem staatspolitisch so wichtigen „Gewerbe“ keinen Gesamtarbeitsvertrag mehr . Die Verleger in der deutschen und italienischen Schweiz weigern sich, mit den Journalistenverbänden an einen Tisch zu sitzen. Der vertragslose Zustand ist ein wichtiger Grund, warum sich die Arbeitsbedingungen und Löhne der Journalisten verschlechtert haben.
Ohne garantierte Information keine Meinungsfreiheit
„Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist,“ meinte Hannah Arendt (Wahrheit und Lüge in der Politik). Schon Ende der 60er Jahre stellte die Philosophin und Politologin fest, wegen der Komplexität der weltpolitischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der Unmasse an Informationsanbietern seien Bürger und Parlamentarier immer weniger imstande , sich eine auf der Kenntnis der Tatsachen basierende Meinung zu bilden. Das gilt heute noch mehr. Mächtige in Politik und Wirtschaft haben ein noch leichteres Spiel, Meinungen als Tatsachen auszugeben und unliebsame Tatsachen als Meinungen darzustellen und als solche wegzudiskutieren.
Ohne garantierte Informationen gibt es keine Meinungsfreiheit, ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie. Arendt macht hier auf die politische Schlüsselrolle des Journalismus aufmerksam. Wer garantiert 2030 noch „garantierte Informationen über Tatsachen“, wer hat dann noch Zugang zu „garantierten Informationen“ und wer nicht mehr ? Die Antworten auf diese Fragen beantworten die Frage nach dem politischen System.
Dazu nochmals Colin Crouch:„Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind, entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vor- demokratische Zeiten. Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu in der Folge ist das egalitäre Projekt zunehmend mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert.“