Die katholischen Bischöfe haben erst eine unabhängige Kommission die jahrelangen sexuellen Missbräuche von Kindern in der Kirche untersuchen lassen. Mitte Februar legte die Kommission ihren schockierenden Bericht vor. Nun aber tut sich die Kirche schwer damit, konsequent zu handeln. Sie wird Geister, die sie mit heraufbeschworen hat, nicht los – und setzt nach Ansicht von Kritikern ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Unbehagen hier, Empörung da. In Portugal mag sich eine klare Mehrheit der Bevölkerung mehr oder weniger katholisch fühlen. Mit ihrer Reaktion auf einen umfangreichen Bericht über sexuelle Missbräuche in der Kirche in den Jahren 1950–2022 hat die Bischofskonferenz aber auch Katholiken und Figuren aus dem bürgerlichen Lager, die sich gern katholisch geben, vor den Kopf gestossen oder regelrecht schockiert. Es geht um die Mitte Februar veröffentlichten Befunde einer unabhängigen Kommission, zu deren Einsetzung sich die Bischofskonferenz selbst – trotz manchen internen Widerständen – im November 2021 entschlossen hatte.
Opfer brachen ihr Schweigen
«Dar voz ao silêncio» – «Der Stille eine Stimme geben» – lautet der Titel des 486 Seiten langen Abschlussberichtes der sechsköpfigen Kommission, der je drei Männer und drei Frauen angehörten und deren Arbeit der Arzt und Pädopsychiater Pedro Strecht koordinierte. Zur Equipe gehörten auch ein weiterer Psychiater, ein früherer Richter am Obersten Gericht des Landes, eine Soziologin, eine Familientherapeutin und eine Filmemacherin. Nach gut einjähriger Arbeit kam die Kommission zum Schluss, dass seit 1950 mindestens 4.815 Kinder und Jugendliche von Angehörigen der Kirche, grösstenteils Priestern, sexuell irgendwie missbraucht worden seien, wobei das, wie sie einräumte, womöglich nur die Spitze eines Eisbergs sei.
Die Kommission stützte sich unter anderem auf Daten aus kirchlichen Archiven und Aussagen von 512 Zeuginnen und Zeugen, die in kodifizierter Form auflistet, stets mit «T» für «testemunha» (Zeuge/Zeugin), dann eine Nummer, gefolgt von M/F/O für das Geschlecht (maskulin, feminin, sonstige oder keine Angabe) und das Geburtsjahr. So kamen etwa ein Zeuge T325, M, 1933, eine Zeugin T263, F, 2009 und ein Zeuge T429, M, 2013 zu Wort. Zu Missbräuchen kam es an so unterschiedlichen Orten wie in Seminaren, in Kirchen, Pfarrhäusern, Schulen, Lagern, Autos und Privatwohnungen. Beim ersten Missbrauch waren die Opfer im Schnitt 11,2 Jahre alt. Auffällig ist der im Vergleich mit anderen Ländern relativ hohe Anteil von Mädchen und jungen Frauen, nämlich von immerhin 42,2 Prozent.
Lob aus dem Nachbarland – und dann Enttäuschung
Als die Kommission ihren Bericht vorlegte, kam aus dem benachbarten Spanien zunächst Lob für die katholische Kirche und den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Dom José Ornelas, Bischof von Leiria-Fátima. «El coraje de la Iglesia portuguesa» – der Mut der portugiesischen Kirche – überschrieb die Tageszeitung «El País» einen Kommentar. Sie sah ein Beispiel der Transparenz, das die spanischen Bischöfe inspirieren sollte, denn diese zeigten, im Vergleich zu anderen Ländern mit katholischer Tradition, Widerwillen gegen die Schaffung von Transparenz. Es gelte nun, die Reaktionen der Kirche abzuwarten, namentlich in Bezug auf die Wiedergutmachung und auf die Entfernung von belasteten und noch aktiven Klerikern.
Am letzten Freitag reagierte die katholische Bischofskonferenz, die eine Medienkonferenz gab und damit für verbreitete Enttäuschung sorgte. In einem Communiqué bittet die Kirche die Opfer um Entschuldigung für ein «irreparables Leid», und sie bietet ihnen spirituelle, psychologische und psychiatrische Unterstützung an. Zum Weltjugendtag, den der Vatikan für August dieses Jahres nach Lissabon einberufen hat, soll sogar ein Denkmal für die Missbrauchsopfer eingeweiht werden.
Keine Abfindungen, keine Suspendierungen von Pfarrern
An die Zahlung von Abfindungen aber denkt die Bischofskonferenz nicht, da es, so das Argument, um individuelle Delikte gehe. Hier bleibt den Opfern nur der zivilrechtliche Weg – der bekanntlich langwierig und teuer ist. Geplant ist nicht einmal, unter Verdacht stehende Geistliche, die noch im Dienst der Kirche stehen, zu suspendieren, obwohl die Kirche hier nicht mit einer Stimme spricht. Über allfällige vorsorgliche Suspendierungen könne nur der Vatikan entscheiden, meinte der Kardinal-Patriarch von Lissabon, Dom Manuel Clemente. Anderer Meinung war der Weihbischof von Braga im hohen Norden des Landes, , Dom Nuno Almeida, der präventive administrative Massnahmen befürwortete. «Wir sind alle Sünder» fand hingegen der Bischof von Beja in der Südregion Alentejo, Dom João Marcos. Er fand, die Kirche solle verdächtigen Pfarrern vergeben, sofern sie Reue zeigten. In zwei Bistümern wurden derweil insgesamt drei Pfarrer suspendiert – zwei in Angra do Heroísmo, auf den Azoren, und einer im südportugiesischen Beja.
«Die Kirche hat sich nicht an die Seite der Opfer gestellt», urteilte der Psychiater Daniel Sampaio, Mitglied der Untersuchungskommission, nachdem die Bischofskonferenz ihre Position verkündet hatte. Er verwies unter anderem auf mögliche dauerhafte Folgen von Missbräuchen, unter anderem auf posttraumatischen Stress, auf Angstzustände und auf Depressionen. Quer durch praktisch alle Parteien, von ganz links bis ganz rechts, meldeten sich, natürlich mit unterschiedlichen Nuancen, kritische Stimmen zu Wort. In einem TV-Interview fand ein Kirchenexperte schlicht, dass die Kirche die Glaubwürdigkeit verloren habe.