Im Grunde ist es erschütternd zu sehen, zu hören und zu spüren, wie eine der wichtigsten sozialistischen Parteien Europas diesen 25. Mai und die Europawahlen ins Auge fasst - nämlich mit einer Mischung aus Angst, Resignation und abgrundtiefem Pessimismus. So als sei Europa eine Last, eine Sorge, ein Ärgernis und die Wahl nicht mehr als ein unangenehmes Rendez-vous, das man nicht absagen kann und möglichst schnell hinter sich bringen möchte.
Die Sozialistische Partei Frankreichs, die Regierung und auch der Präsident ziehen die Schultern ein und machen möglichst wenig Lärm, die Spitzenkandidaten in den acht riesigen Wahlkreisen mühen sich und absolvieren den Wahlkampf, so gut es geht. Doch nach der Schlappe bei den Kommunalwahlen Ende März erscheinen das eigene Parteivolk und die Mitglieder nur tröpfchenweise bei ihren Vernstaltungen - Bonjour Tristesse im Europawahljahr 2014.
Es herrscht eine Stimmung, als sei die Wahl ohnehin schon entschieden und Frankreichs Sozialisten erwecken den Eindruck, als hätten sie sich einfach damit abgefunden, dass Europaskeptiker und Gegner die grossen Sieger sein werden.
Zwar tun die Jungsozialisten, was sie können und halten eine kleine Flamme am Köcheln. Auch Manuel Valls, der neue Premierminister, steigt in die Bütt und verkündet, er weigere sich zu resignieren und geht mit seiner noch relativ grossen Popularität für Europa hausieren, soweit es die Amtsgeschäfte zulassen. Er ist aber fast eine Ausnahme.
Präsident Hollande jedenfalls schweigt beharrlich. Das Schweigen des Staatschefs zum Thema Europa und den Wahlen ist geradezu schreiend laut, Europa in seinen Augen offensichtlich eine Art Minenfeld, auf dem man ohnehin nur Prügel beziehen und Splitter abbekommen kann. Der Staatspräsident hat bis heute die Schlappe beim französischen EU-Referendum 2005 nicht verdaut - als nicht nur eine klare Mehrheit der Franzosen Nein sagte zur EU-Verfassung, sondern sich sogar Hollandes sozialistische Partei in zwei Lager gespalten hatte - er war das Aushängeschild der Befürworter, der heutige Aussenminister Fabius das der sozialistischen Gegner der EU-Verfassung.
Jahrelang hat François Hollande als Generalsekretär danach daran gearbeitet, die Partei so gut wie möglich wieder zusammenzuflicken und so etwas wie ein unstabiles Gleichgewicht herzustellen. Europa aber ist für ihn seitdem fast so etwas, wie ein rotes Tuch. Kein Wunder, dass vom französischen Präsidenten in seiner zweijährigen Amtszeit nicht die geringste Intiative ausgegangen ist, um Europa, etwa in Richtung Föderalismus, ein Stück weiter voranzubringen.
Die Proeuropäer in Frankreich scheinen in diesen Wochen schlicht und ergreifend auf Tauchstation zu sein und diese Wahlen von vorneherein einfach abgeschrieben zu haben – auf jeden Fall dringen sie in der Öffentlichkeit kaum mehr durch.
Man kann in diesem Frühjahr 2014 in Frankreich sogar den Eindruck haben, dass die wirklich überzeugten, enthusiastischen Anhänger der Europäischen Union hierzulande so gut wie ausgestorben sind - Visionen, Perspektiven oder Projekte für Europa - Fehlanzeige. Die Regierung hat doch zum Beispiel einen Europastaatssekretär, den frisch entlassenen Parteichef der Sozialisten, Harlem Desir. Auch von ihm hat man in diesem Wahlkampf so gut wie gar nichts zu hören bekommen. So als würde er sich schämen, auf diesen Posten in der Regierung weggelobt worden zu sein, nachdem er seine Unfähigkeit, die Sozialistische Partei zu führen, unter Beweis gestellt hatte.
Auch auf der Rechten
Doch auch im Lager der traditionellen Konservativen, bei der UMP, sieht es nicht wirklich besser aus. Unfähige und unkompetente Spitzenkandidaten hat man ernannt, klassische, erbärmliche Versorgungsfälle, die man dann halt nach Brüssel und Strassburg abschiebt.
Niemand kann eine Antwort darauf geben, warum eine gründlich kompromittierte Michèle Alliot-Marie, eine Ex-Ministerin, die mit Tunesiens Ben Ali und seiner Entourage auf bestem Fuss stand, sich von ihnen Flüge und Ferien bezahlen liess und Geschäfte machte und deswegen dann doch, selbst in Frankreich, zurücktreten musste, nun im reifen Pensionsalter unbedingt Spitzenkandidatin der UMP im Südwesten des Landes sein muss. Dasselbe gilt für Nadine Morano im Nordosten. Die frühere, permanent Stiefel leckende Dreckschleuder von Nicolas Sarkozy, die in ihrer kurzen politischen Karriere mit Europa noch nie etwas am Hut und davon mit Sicherheit nicht die geringste Ahnung hat.
Dann ist da auch noch Präsident Sarkozys ehemaliger Redenschreiber, Henri Guaino, der öffentlich verkündet, er werde keinenfalls den Kandidaten seiner UMP-Partei in der Region Ile de France wählen - Alain Lamassoure, einer der wenigen echten und überzeugten Europäer bei Frankreichs Konservativen, für Guaino aber zu föderalistisch.
Sarkozy
Wahrscheinlich wagt nicht mal Nicolas Sarkozy den Mund vor dieser Europawahl aufzumachen. Ein Interview oder einen Gastbeitrag in einer grossen Zeitung wünschten sich die Strategen der französischen Konservativen, in der Hoffnung, dies könnte bei der Wahl einen oder zwei Prozentpunkte mehr bringen.
Zwingt sich der Ex-Präsident aber ein Plädoyer für Europa ab und liegt am Ende dann aber doch die Nationale Front Marine Le Pens vor der UMP, macht das nicht gerade einen schlanken Fuss für den Mann, der sich nach der Wahlniederlage 2012 offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, de facto aber für die Präsidentschaftswahlen 2017 schon wieder in den Startlöchern scharrt.
Franko-französisch
Am kommenden Wochenende wird hierzulande kein europäischer, sondern erneut und noch stärker als früher ein zutiefst franko- französischer Wahlkampf zu Ende gehen, bei dem es z.B. UMP-Parteichef Copé nur darum geht, Präsident Hollande eine möglichst hohe und eine weitere Niederlage zuzufügen. Es ist ein Wahlkampf, bei dem alle nur noch verängstigt und gebannt auf die Umfragezahlen für Marine Le Pen starren und jetzt schon von einem politischen Erdbeben reden – für den Fall, dass die rechtsextremen Listen am Ende wirklich die meisten Stimmen auf sich vereint haben.
Dabei wäre das eigentlich nicht überraschend. Immerhin hatte Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2012 knapp 18% erreicht, fast 6,5 Millionen Franzosen hatten ihr damals ihre Stimme gegeben. Sollte Marine Le Pen in einer Woche jetzt auf 22 oder 23% kommen, wäre das im Kontext einer Europawahl, bei der sich die Franzosen traditionel austoben und abstrafen, nicht wirklich verwunderlich. Und mit Sicherheit werden, angesichts der zu erwartenden erbärmlich niedrigen Wahlbeteilung, keine 6,5 Millionen für die marineblauen Kandidaten stimmen – das Symbol, bei einer Wahl erstmals erste Partei Frankreichs zu sein, würde allerdings bleiben.
Wenn die Sozialisten diesmal auf 16% kommen, wird man von einer grossen Niederlage für François Hollande sprechen - gewiss. Doch vor fünf Jahren, bei den letzten Europawahlen, hatten sie eben diese Prozentzahl erreicht und lagen nur knapp vor den Grünen mit Spitzenkandidat Cohn-Bendit. Anfang der 90-er Jahre führte einst Michel Rocard die Liste der Sozialisten für die Europawahlen an und erreichte 14,5%. 1999 kamen die Konservativen gerade mal auf 12,8% unter einem Spitzenkandidat mit Namen … Nicolas Sarkzoy. Mit anderen Worten: die Ergebnisse von Europawahlen haben in Frankreich für die weiteren innenpolitischen Entwicklungen noch nie sonderlich grosse Auswirkungen gehabt.
Der europäische 21. April
Die Schlagzeilen für den Tag nach der Europawahl, den 26. Mai 2014, scheinen in Frankreich jedenfalls schon so gut wie geschrieben. “Un 21 avril européen“ wird man lesen können oder Ähnliches. Will heissen: die Sozialisten werden, wie einst am 21. April 2002 ein gewisser Lionel Jospin, so gut wie sicher nur auf dem 3. Platz landen - hinter den Konservativen der UMP, was nicht weiter erstaunlich ist, aber auch hinter der Nationalen Front, die jetzt schon seit Monaten verkündet, sie werde bei diesen Wahlen sogar die erste und stärkste Partei Frankreichs sein – statt bislang drei zwischen15 und 20 Abgeordnete nach Brüssel entsenden. Und die marineblaue Frau mit den blonden Haaren weiss, dass das gar nicht so unwahrscheinlich ist. Vielleicht auch deswegen, weil kaum 40% der Franzosen überhaupt zu dieser Wahl gehen werden, die Stammwähler der Nationalen Front aber sehr wohl.