Nicht zufällig residierten die antiken Götter einst auf dem Olymp (2918 m ü. M.), die Moralische Aufrüstung in Caux oberhalb von Montreux (1050 m), die Maharishis mit ihrer Transzendentalen Meditation in Seelisberg (800 m) und die Visionäre und Avantgardisten zu Beginn des letzten Jahrhunderts immerhin auf dem Monte Verità bei Ascona (321 m).
Auch heuer versammeln sich wiederum 2500 Spitzenkräfte aus Politik und Wirtschaft zum World Economic Forum (WEF) in Davos (1560 m). Drei- bis viermal so viele Soldaten, Polizisten und private Wachmänner bewahren sie dabei vor möglicherweise unerfreulichen Begegnungen mit der realen Welt. Nur wer zum Kreis der Auserwählten gehört, ist zugelassen. Während des WEF ins Davoser Kongresszentrum vorzudringen ist genauso unmöglich, wie auf dem Olymp vorsprechen zu wollen – oder auch bei Annemarie Buchholz-Kaiser, der Vordenkerin des Vereins zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis VPM, im Hinterthurgau.
Bodyguards und Uniformpolizei allenthalben verstärken den Eindruck, es handle sich hier um ein Treffen von Auserwählten, wofür sich Angehörige einer Sekte wesensmässig immer und überall halten. Tatsächlich haben sich die Damen und Herren, die sich alljährlich in Davos treffen, in den Statuten ihrer Stiftung explizit der Weltverbesserung verschrieben, was man, betrachtet man die Resultate ihres Wirkens gerade im vergangenen Jahr – grassierender Neoliberalismus, drohender Klimakollaps und zunehmende Polarisierung zwischen Arm und Superreich –, kaum ahnen möchte.
Mit Blackberry und "Wachtturm"
Jeder Zirkel hat so seine Rituale, und die wirken auch beim Weltwirtschaftsforum stilbildend. Treten die Mitglieder der Gemeinschaft der Hare Krishna stets in orangen Saris auf, so die Leute vom WEF im dunklen Anzug mit Krawatte. Gehen die Sannyasins nie ohne ihre Mala, so unsere Freunde in Davos garantiert nie ohne umgehängten Zutrittsbadge. Und halten die Zeugen Jehovas alleweil einen „Wachtturm“ in der Hand, so die WEF-Leute bestimmt ihren Blackberry. Alle lassen sie sich in fabrikneuen Audis oder Mercedes vom Airport Zürich oder Genf ins Bündnerland chauffieren – nicht weniger erhaben als einst Bhagwan Shree Rajneesh im Rolls-Royce durch Poona.
Wenn es gilt, den Ruhm einer Sache zu fördern – am besten schön koordiniert mit dem eigenen –, sind die Stars und Sternchen nie weit. Während Hollywood-Schauspieler Tom Cruise gerne für Scientology wirbt und sein Kollege Richard Gere für den Buddhismus und den Dalai-Lama, sind die Alt-Rocker Bono und Peter Gabriel am WEF stets verlässlich zur Stelle, auch wenn sie inzwischen kaum jemand mehr kennt. Und dieses Jahr wird wohl Saif al-Islam al-Ghadhafi, der Sohn des libyschen Diktators, für einen besonders attraktiven Showblock sorgen.
Für Agnostiker sind die Zeichen tiefer Frömmigkeit in Davos augenfällig. Permanent beten die Gläubigen das Mantra vom freien Markt herunter, in den der Staat sich gefälligst nicht einzumischen hat – es sei denn, er müsse gerade dringend die grössten Banken des Landes vor dem Zusammenbruch retten. Dieses Jahr wird das Gebet lauter und inbrünstiger tönen als auch schon, weil sich die Zahl der Ungläubigen seit dem letzten WEF global vervielfacht hat.
Seelenfänger hinter dem Werbetisch
Umso plakativer werden diesmal das kollektive Händeschütteln und das obligate optimistische Lächeln ausfallen: Die Präsidentin begrüsst den Minister, der Rabbi den Kardinal, Gelbe schütteln Schwarzen die Hand, Asiaten Arabern und Schweizer Deutschen – lauter Menschen guten Willens, die sich selbstlos gegen die Unbill der Zeit stemmen, nicht anders als damals die Exponenten der Moralischen Aufrüstung, die sich einst der «inneren Erneuerung des Menschen auf christlicher Grundlage» verschrieben hatte, dann ihren Namen in «Initiatives of Change» änderte und uns seither leider ohne verbindliche Nachrichten über ihre weiteren Fortschritte bei der Welterrettung lässt.
So wird der vermeintliche Unterschied, dass Scientology sich selber für eine Kirche hält, das WEF sich hingegen für eine Vereinigung der Besten und Tüchtigsten, marginal. Wirkte André Schneider, der scheidende smarte WEF-Geschäftsführer, mit seinem öligen Charme nicht stets exakt wie ein Seelenfänger hinter einem Werbetisch mit L. Ron Hubbards Bestseller «Dianetik»? Und gleicht WEF-Gründer Klaus Schwab, der wie jedes Jahr unermüdlich von Empfang zu Symposium, von Businesslunch zu Galadiner eilt und dazwischen für die Fotografen marionettenhaft den Kopf neigt und nachdenklich die Hand ans Kinn legt, nicht geradezu verzweifelt einem Guru?