Hans Abich, der ehemalige Programmdirektor der ARD, war Mitglied der NSDAP und hat im Propagandaministerium mitgewirkt. Erst nach seinem Tod wurde das bekannt. Jetzt blasen die Moraltrompeten seinen Abgesang. Eine Schande für die Moraltrompeten.
Es ist ja richtig: Hans Abich hat sich über seine Zeit unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in Schweigen gehüllt. Und erst nach seinem Tod kam heraus, dass er in dieses Herrschaftssystem verwickelt war. Grund genug, jetzt offiziell von Seiten der ARD zu befinden: «Als Galionsfigur oder Vorbild taugt Hans Abich nicht mehr.»
Keinerlei Entschuldigung
Wenn die Welt doch nur so einfach wäre! In jüngster Vergangenheit sind zwei weitere publizistische Leuchttürme im Untergrund der deutschen Nazi-Vergangenheit versunken: Der Gründer der Zeitschrift STERN, Henri Nannen, und der erste Intendant vom ZDF, Hans Holzamer. Beide Herren waren tief in die Nazi-Propaganda verstrickt. Und beide haben Herausragendes für die Demokratie geleistet.
Man könnte diese Liste beliebig verlängern. Zum Beispiel mit Werner Höfer. Der hatte für die ARD die bis heute beste Journalistendiskussion an jedem Sonntagmittag erfunden und geleitet. Dann kamen seine Verstrickungen mit den Nazis ans Licht. Auch weil er sich in dieser Konfrontation ungeschickt benahm, wurde er mit Schimpf und Schande aus seinem ARD-Studio gejagt. Moralische Richter dieser Vergehen sind stets auf der sicheren Seite: Der Nationalsozialismus hat zu Verbrechen geführt, für die es bis heute keinerlei Entschuldigung gibt. Punkt.
Wer immer in diese Verbrechen verstrickt war, trägt diese Last. Als Deutschland aus den Trümmern der vernichteten Städte und seiner Moral wieder aufgebaut werden musste, konnten die Alliierten, allen voran die Amerikaner, gerade mit Hilfe der vor dem Nationalsozialismus geflohenen Regimegegner in ihren Reihen ein relativ strenges Regime der Bewertung früheren Verhaltens der Nachkriegsdeutschen etablieren.
Karriere nach der Karriere
Das war gut und richtig, aber damit wurde das Problem des neu zu errichtenden Staates in Deutschland nicht gelöst. Denn ohne diejenigen, die ihre Jugendjahre unter dem Zeichen des Nationalsozialismus verbracht hatten, war kein neuer Staat zu schaffen. Und Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler der neuen Bundesrepublik und vormals von den Nationalsozialisten übel verfolgt, scheute sich nicht, einen der schlimmsten Propagandisten des nationalsozialistischen Judenmords zu seinem Kanzleramtsminister zu machen: Hans Globke.
Das hat damals mit Recht für Empörung gesorgt, aber es gab noch eine zweite Schiene: Ganz im Stillen begriff man, dass gute Leute nicht vom Himmel fielen. Und so konnte die deutsche Publizistik – und nicht nur sie – von Leuten aufgebaut werden, von denen man nicht wissen wollte, was sie in den buchstäblich beschissenen Jahren zwischen 1933 und 1945 gemacht haben. Sie traten unbehelligt auf und starteten publizistische Karrieren, die das Bild der aufstrebenden Bundesrepublik Deutschland mit ihren erfolgreichen Printmedien und dem Fernsehen im besten Sinne des Wortes prägen sollten.
Leichen im Keller
Aber heute schlagen die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten und in den betroffenen Medienhäusern die Hände über dem Kopf zusammen. Sie wollen nicht wissen, dass ihre wunderbare materielle und moralische Welt nicht von einer Jungfrau geboren wurde. Statt dessen war viel Schmutz. Aber keiner wollte ihn sehen – bis heute nicht.
Der Philosoph Hermann Lübbe hat sich in der Nachkriegszeit mit seiner These vom «kommunikativen Beschweigen» der unsäglichen Verstrickungen der neuen Eliten mit dem Nazi-Regime viele Feinde gemacht. Dabei hat er nur schlicht und einfach konstatiert, dass man damals die Bundesrepublik mit ihren kulturellen und politischen Vorteilen nur aufbauen konnte, indem man die dunklen Vergangenheiten ihrer politischen und publizistischen Protagonisten unter den Teppich kehrte. Am besten sprach man nicht darüber. Man redete viel, aber indem man viel redete, verdeckte man «kommunikativ» die Leichen im Keller.
Lübbes Kritiker sahen darin den Versuch der Verharmlosung des Nationalsozialismus. Aber sie verwechselten den nüchternen Blick eines liberalen Philosophen mit ihrem moralischen Furor. In der Praxis war es doch so: Niemand hatte ein grosses Bestreben, die damaligen Stars auf den Bühnen der Publizistik nach ihrer Vergangenheit zu befragen. Das hätte nahe gelegen, aber war zugleich fern. «Sagen Sie einmal, Herr Abich, wie verlief Ihre Karriere in den 1930er und 1940er Jahren, welche Mitgliedschaften hatten Sie und welche politischen Positionen haben Sie damals propagiert?»
Die Selbstgerechten
Niemand hat Herrn Abich diese Fragen gestellt. Das hing auch mit seiner Liebenswürdigkeit, seinem Geist und Witz zusammen. Niemand, der ihm begegnet ist, konnte sich diesem Charme entziehen. Nun wird ihm vorgeworfen, dass er nicht von sich aus darauf gekommen ist, sich als einstigen Nazi-Mitläufer und zudem als durchaus brauchbare propagandistische Stimme erkennen zu geben. Aber: Hätte er sich selbst ins moralische Abseits stellen und sich in den Zeiten der aufstrebenden Bundesrepublik Deutschland damit aus dem Spiel nehmen sollen? Es gehört zur unbequemen Wahrheit, dass manche von denen, die unter den früheren Umständen dem Nationalsozialismus ihre Fähigkeiten zur Verfügung gestellt haben, es mangels einer Wahlfreiheit getan haben. Das ist eine Entschuldigung, aber keine Absolution.
Hans Abich war in den Nationalsozialismus verstrickt, er hat mitgemacht und seine überragenden Fähigkeiten in den Dienst eines Regimes gestellt, das alle moralischen Massstäbe hinter sich gelassen hat. Aber diejenigen, die heute über ihn urteilen, sind selbst nie unter vergleichbaren Umständen in Versuchung geführt worden. Sie verurteilen einen Missetäter ohne mildernde Umstände. Und sie sehen nicht, wie grossartig sich dieser Mensch nach seiner Verfehlung verhalten hat. Mit Recht wurde er nicht nur hoch anerkannt, sondern auch geliebt. Dass er jetzt «nicht mehr als Vorbild» tauge, ist ein Urteil, von dem man nur hoffen kann, dass es in seiner Härte und Unerbittlichkeit nicht eines Tages auf die Selbstgerechten zurückfällt.