Robert Frank ist gebürtiger Schweizer, und sein Weg als Fotograf begann äusserst solide und konventionell. In den Jahren 1941 bis 1946 liess er sich bei verschiedenen Fotografen gründlich ausbilden und nahm eine Anstellung an.
Zwischenspiel bei Harper’s Bazaar
Aber in der Schweiz fühlte er sich nicht mehr wohl. Das hing auch mit seinen Erfahrungen in den Kriegsjahren zusammen, denn als Juden wurde ihm und seiner Familie die Schweizer Staatsbürgerschaft längere Zeit verwehrt. Und zunehmend erschien ihm die Schweiz als zu eng. So fuhr er 1947 auf einem Frachtschiff nach New York. Im Reisegepäck hatte er ein sorgfältig zusammengestelltes Portfolio mit 40 Fotos aus den Jahren seiner Ausbildung.
Damit sprach er bei Alexey Brodovitch, dem Art Director von Harper’s Bazaar, vor. Brodovitch war beeindruckt, liess Robert Frank ein paar Probeaufnahmen machen und stellte ihn sogleich als Fotografen in seinem Modestudio ein. Auf diesen furiosen Start folgte aber alsbald eine tiefe Ernüchterung. Denn so ein Studio ist auch eine Art Haifischbecken. Jeder Fotograf kämpft um ein Maximum an Beachtung. Einer der Kollegen von Robert Frank war der berühmte Richard Avedon. Der machte von den Models die Starfotos, so dass für Robert Frank nur noch Sachaufnahmen von Schuhen und anderen Accessoires übrig blieben. In der Fotostiftung ist eine entsprechende Doppelseite von Harper’s Bazaar zu sehen.
Dieser Konkurrenzkampf und überhaupt das absolut kommerzielle Denken in diesem Umfeld brachten Robert Frank dazu, seinen Job schon nach wenigen Monaten hinzuschmeissen. Aber als Mentor stand ihm Alexey Brodovitch weiterhin zur Seite. Martin Gasser, der die Ausstellung kuratiert hat und ein ausgewiesener Kenner Robert Franks ist, berichtet, dass Brodovitch ihm einen entscheidenden Anstoss gab:
Aus der Schweiz hatte Robert Frank seine Rolleiflex mitgebracht. Diese zweiäugige Kamera, die Fotos im Format 6 x 6 cm aufnimmt, ist der Inbegriff des Soliden, geradezu Statischen. Brodovitch legte Frank nun nahe, sich mit der weitaus dynamischeren Leica mit ihrem Kleinbildformat anzufreunden. Damit eröffnete sich für Robert Frank eine völlig neue Welt des Fotografierens, und er machte eine ausgedehnte Reise nach Peru und Bolivien. Dabei entwickelte er seinen eigenen intuitiven Stil und warf nach und nach viele Konventionen der Bildgestaltung über den Haufen.
Brodovitch war von seinen Fotos beeindruckt, aber die passten nicht zum Konzept von Harper’s Bazaar. Robert Frank bemühte sich nun, seine Bilder in Magazinen wie Life unterzubringen, hatte damit aber nur wenig Erfolg. Für seine Art der Fotografie gab es damals noch keinen Markt.
Thema verfehlt
Eine weitere Enttäuschung sollte folgen. Im Jahr 1949 fuhr Robert Frank in die Schweiz zurück und fotografierte eine Versammlung – Landsgemeinde – in Hundwil im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Sein subjektiver Blick aber fand bei den potentiellen Abnehmern keinen Anklang, obwohl Robert Frank für den Vertrieb dieser Bilder die renommierte Fotoagentur Magnum bemühte. In Winterthur sind Bilder dieser Reportage zu sehen, und man erkennt leicht, dass aus der Perspektive einer Bildredaktion zu wenig „Landsgemeinde“ abgebildet ist. Es fehlen also Bilder, die man von einer derartigen Versammlung in der Schweiz erwarten würde.
Schon hier zeigt sich eine weitere Eigenart Robert Franks, die seinen Erfolg bei der Vermarktung seiner Bilder stark einschränkte. Zunehmend weigerte er sich, Bildgeschichten mit einem Anfang und einem Ende zu erzählen. Er suchte einen eigenen Erzählstil, der eben nicht linear ist. Diese anspruchsvolle künstlerische Herangehensweise lässt sich aber kommerziellen Presseorganen und Magazinen kaum vermitteln.
The Americans
Aber er wurde auch beachtet. 1949 präsentierte die internationale Zeitschrift „Camera“ eine Auswahl seiner Fotos. Und die Guggenheim-Foundation gewährte ihm im Oktober 1954 ein gut dotiertes Stipendium. Damit reiste er ab dem Frühjahr 1955 kreuz und quer durch die USA. In dieser Zeit soll er 700 Filme belichtet haben, was mehr als 20’000 Aufnahmen entspricht. Von etwa 1000 Fotos hat er eigenhändig Laborabzüge angefertigt. Der Auswahlprozess zog sich über Monate hin; am Ende blieben 83 Bilder übrig, aus denen er seinen Band „The Americans“ zusammenstellte. Zuerst erschien dieses Werk in einem französischen Verlag und entsprach in seiner Gestaltung nicht den Vorstellungen von Robert Frank. Erst die amerikanische Ausgabe von 1959 stellte ihn zufrieden.
Das Vorwort hat Jack Kerouac geschrieben und damit kongenial die Intentionen von Robert Frank in Worte gefasst. Dieser Band enthält die Essenz des Wirkens von Robert Frank, aber sein Werk erschöpft sich nicht darin. Das gilt in verschiedener Hinsicht. So haben Kenner der Kontaktbögen und der von Frank selbst hergestellten Arbeitskopien immer wieder festgestellt, dass die von Frank aussortierten Bilder ebenfalls eine überragende Qualität aufweisen. Endlich kam im Jahr 2014 ein von Robert Frank noch selbst zusammengestellter Band mit weiteren, bisher unveröffentlichten Fotos von seiner damaligen Reise heraus. Mit Recht ist er von der Fachkritik in höchsten Tönen gelobt worden.
Dieser Band erschien im Göttinger Steidl-Verlag. Die Verbindung zum Verleger Gerhard Steidl kam 2004 zustande. Das war ein Glücksfall für Robert Frank, denn Gerhard Steidl setzt sich mit seiner ganzen Leidenschaft für das Werk von Robert Frank ein. Wiederholt hat er ihn in seiner Kartause in Mabou auf der Cap-Breton Insel in der kanadischen Provinz Nova Scotia besucht und dabei immer wieder etwas ausgegraben, was unbeachtet geblieben war. Und Robert Frank war wiederholt im Verlag in der Düsteren Strasse in Göttingen, um die Qualität der Drucke an der Druckmaschine zu überwachen.
Rolle des Aussenseiters
Robert Frank war nicht nur ein eigenwilliger Fotograf. Ebenso unkonventionell hat er sich mit dem Medium Film beschäftigt. Während der Ausstellung in Winterthur wird etwas davon in einem separaten Raum gezeigt. Dafür sollte man zusätzlich Zeit einplanen. Steidl wiederum hat inzwischen alle Filme von Robert Frank in einer originell gestalteten Holzbox herausgebracht.
Seine Eigenwilligkeit hat Robert Frank die Rolle eines Aussenseiters zugewiesen. Er wäre gerne in die Fotografenagentur Magnum aufgenommen worden, aber wie Martin Gasser erzählt, wurde er abgewiesen. Allzu selten gelang es ihm, seine Bilder in den grossen und gut zahlenden Zeitschriften zu platzieren. Umgekehrt aber wurden seine Bilder in Amerika und anderen Ländern von erstrangigen Museen wieder und wieder gezeigt. So wurde er schon 1953 von Edward Steichen im Rahmen der Ausstellung „Post-War European Photography“ im Museum of Modern Art in New York vorgestellt. Und 1994 widmete ihm die National Gallery of Art in Washington, D. C., unter dem Titel „Moving out“ eine Retrospektive, die im folgenden Jahr im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde. Dazu erschien im Jahr 1995 ein vorzüglicher Band im Scalo Verlag. Er enthält neben Franks Bildern einige Essays, auch einen von Martin Gasser, und eine Liste der Ausstellungen mit Bildern von Robert Frank. Die ist beeindruckend.
Parallel zu der Ausstellung in der Fotostiftung präsentiert das Fotomuseum „Street-Photography aus sieben Jahrzehnten“. Diese Zusammenstellung war vorher in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen, und es gibt dazu einen umfassenden und eindrucksvollen Katalog.
Beide Ausstellungen im Fotozentrum Winterthur (Fotostiftung und Fotomuseum) bis 10. Januar 2021