Lassen sich die Rollen des TV-Journalisten und des Polit-Aktivisten voneinander trennen? Auf jeden Fall, behauptet der erfolgreiche US-Fernsehmoderator Sean Hannity.
Barbara F. Walters von der University of California untersucht, was für Bedingungen weltweit zu Bürgerkriegen führen. Vor vier Jahren fokussierte die Politologin auf die Vereinigten Staaten und begann das Buch «How Civil Wars Start» zu schreiben: Wie Bürgerkriege beginnen. Leute, die damals hörten, sie studiere das Szenario eines zweiten amerikanischen Bürgerkriegs, meinten, ihr Werk sei «eine Übung in Panikmache» und «vielleicht sogar unverantwortlich». Autor Stephen Marche indes reagiert auf solche Bedenken wie folgt: «Niemand will, was kommt, und so will niemand sehen, was kommt.»
Walters nimmt an, dass ein Bürgerkrieg im Amerika des 21. Jahrhunderts nichts mehr mit dem Vorläufer der 1860er-Jahre gemeinsam hätte. Ein neuer Konflikt, meint sie, würde im schlimmsten Fall eine Reihe von Gewalttaten beinhalten: Bombenattentate, politische Morde, destabilisierende asymmetrische Attacken, ausgeführt von Gruppen von Extremisten, die sich über soziale Medien zusammenrotten. Die Extremisten wären überzeugt, dass Gewalt und andere aussergesetzliche Mittel der einzige Weg seien, um eine unverbesserliche, nicht-weisse sozialistische Republik zu stürzen.
Die lose assoziierten Bürgerkrieger könnten sich Barbara F. Walters zufolge «accelerationists», d. h. Befürworter einer radikalen Reform des politischen Systems nennen. Der englische Begriff mahnt an den Begriff «fire accelerator»: Brandbeschleuniger. Diese Spezies gibt es in den USA bereits. Zu ihr gehört der konservative Radio- und Fernsehmoderator Sean Hannity. Er moderiert auf dem TV-Sender Fox News abends zur besten Sendezeit die einstündige Sendung «Hannity», eine der meistgesehenen politischen Talkshows im amerikanischen Kabelfernsehen.
Der 61-Jährige ist jüngst zum wiederholten Mal negativ in die Schlagzeilen geraten, da er sich weigert, vor dem Sonderausschuss des US-Repräsentantenhauses auszusagen, der die Vorgänge des 6. Januar 2021 untersucht. Es geht um Textbotschaften, die Hannity vor, während und nach dem Sturm auf das Capitol in Washington DC an Mitarbeiter des Weissen Hauses verschickt hat. Die Texte legen nahe, dass er darüber besorgt war, was an jenem Mittwoch geschehen könnte, und dass er mit Donald Trump darüber sprach.
Dem Ausschuss liegen Unterlagen vor, laut denen Sean Hannity am 31. Dezember 2020 Mark Meadows, den Stabschef des Weisses Hauses, wissen liess, er könne sich nicht vorstellen, dass der 6. Januar so ablaufen werde, wie ihm (Trump) gesagt worden sei: «Nach dem 6. (dem Tag der Beglaubigung des Ergebnisses der Präsidentenwahl 2020, d. Red.) sollte er (Trump) ankündigen, dass er landesweite Bemühungen anführen werde, um die Integrität von Wahlen zu erneuern.» Und noch einen Tag vor dem gewalttätigen Protest in Washington DC schrieb er, er sei «äusserst besorgt bezüglich der nächsten 48 Stunden».
Sean Hannity weigert sich jedoch unter Verweis auf die Pressefreiheit, vor dem Ausschuss des Abgeordnetenhauses zu erscheinen. «Wir sind äusserst beunruhigt, was die verfassungsmässigen Auswirkungen betrifft, insbesondere aber bezüglich des First Amendment», argumentiert Jay Sekulov, ein Trump-Anwalt, der auch Hannity vertritt.
Nach allem, was man weiss, ist der Fernsehmoderator jedoch kein Journalist, sondern ein politischer Aktivist, für den der Schutz des 1. Verfassungszusatzes nicht gilt. «Alle von uns haben politische Meinungen», sagt Floyd Abrams, ein Experte in Sachen Pressefreiheit, «aber als Hannity den Präsidenten über die aktuelle Randale beriet, tat er das nicht als Journalist, sondern eher als Alliierter, Konföderierter oder Teamplayer denn als Schiedsrichter oder Beobachter.»
Sean Hannity hat wiederholt zu verstehen gegeben, dass er sich selbst nicht als Journalist sieht. «Ich bin kein journalistischer Esel. Ich bin ein Gesprächsmoderator», hat er etwa 2016 getwittert. «Die Medien sind bereit, euch, das amerikanische Volk, zu täuschen und anzulügen», sagte er 2017, nachdem Donald Trump begonnen hatte, die amerikanischen Medien als «Volksfeinde» zu beschimpfen. 2018 stand er mit dem Ex-Präsidenten auf der Bühne einer politischen Veranstaltung, was ihm von Fox News nur leisen Tadel eintrug. Kritiker nannten Hannity den «Trump-Flüsterer».
Der Sonderausschuss des Hauses will Sean Hannity befragen, «weil er faktische Informationen zu haben scheint, die für die Vorgänge des 6. Januar und den Angriff auf die Einrichtungen unserer Demokratie relevant sind». Das Gremium lässt durchblicken, es wolle ihn nicht als Fernjournalisten, sondern als politischen Insider anhören, «als einen faktischen Zeugen unserer Untersuchung».
Schliesslich dürfte das Gesetz darüber entscheiden, ob Sean Hannity jener Schutz zukommt, den die amerikanische Verfassung Journalistinnen und Journalisten gewährt und den einheimische Medien in der Vergangenheit wiederholt beansprucht haben. Laut einer Interpretation geht der Schutz des First Amendment jedoch davon aus, dass Medienschaffende im Dienst der Öffentlichkeit Information von allgemeinem Interesse sammeln und teilen, zum Beispiel über die Fehler oder die Delikte einer Regierung. Hannitys Textbotschaften ans Weisse Haus, so der Schluss, würden eine solche Absicht nicht erkennen lassen.
Kommt dazu, dass gemäss einem früheren Regierungsvertreter Donald Trump Sean Hannity wiederholt bei Sitzungen im Weissen Haus zugeschaltet und um Rat gefragt hat, wie etwa ein bestimmter Sachverhalt am besten zu kommunizieren wäre. Stephanie Grisham, eine Pressesprecherin des Ex-Präsidenten, hat in einem Interview verraten, es sei vorgekommen, dass Donald Trump morgens aufgetaucht sei und gesagt habe: «Well, Sean denkt, wir sollten dies oder jenes tun.»
Am 6. Januar 2021 jedoch hörte Donald Trump für einmal nicht auf seinen Berater Sean Hannity. «Er darf die Wahl nicht mehr erwähnen. Nie mehr», schrieb Hannity nach dem Sturm auf das Capitol besorgt an den Stabschef des Weisses Hauses: «Ich hatte heute kein gutes Gespräch mit ihm.» Öffentlich zugeben mag Sean Hannity solche Aussagen heute nicht. Das Geständnis käme bei seinem Millionenpublikum nicht gut an.