Für Regierungschef Ayrault kommt es in diesen Wochen faustdick. Kaum ein Tag vergeht, da er nicht sich oder einen aus dem Ruder laufenden Minister korrigieren, zurückrudern oder etwas dementieren muss. Zuletzt musste er sich sogar selbst dementieren. In einem Gespräch mit Lesern der Tageszeitung „ Le Parisien“ hatte er auf die Frage, ob man bei der Suche nach Lösungen der Krise nicht auch wieder an die 39 Stunden Woche denken könnte, geantwortet: „Warum nicht. Für mich gibt es keine Tabus, ich bin kein Dogmatiker.“
Weg von der 35-Stunden-Woche - ein Sakrileg?
Die Druckerschwärze der Zeitung war noch nicht trocken, das Blatt noch kaum in den Zeitungsläden und fast von niemandem gelesen, da brach schon der Sturm los und der Premierminister musste sich persönlich in aller Frühe per Telephon im Info-Radio „ France Info“ zu Wort melden, um klarzustellen, dass in der Regierung niemand daran denke, die 35 Stundenwoche als Regelarbeitszeit in Frage zu stellen.
Ein unvorsichtig formulierte Satz und die zusätzliche Anmerkung in der Interviewpassage, dass die 35 Stunden Woche für klein- und mittelständische Unternehmen durchaus Probleme gebracht habe, und schon unterstellte man dem sozialistischen Premierminister, er wolle ein Symbol der französischen Linken zum Einstürzen bringen, die 35-Stunden Woche in Frage stellen. Am selben Tag hat sich Ayrault noch mindestens fünfmal zu diesem Thema geäussert.
Eine Art Hysterie
Frankreichs Medien verbrachten die folgenden 48 Stunden damit, den Hergang dieser „Panne“ bis ins letzte Detail aufzuarbeiten, zu erläutern, wie es möglich war, dass das gegengelesene Interview trotz der umstrittenen Passage erscheinen konnte. Es wurde auf Doppelseiten berichtet, wie an besagtem Tag in aller Frühe die Drähte in den Presseabteilungen der Ministerien heissliefen und die Berater den Ministern, die morgendliche Interview-Termine in Radios und Fernsehen hatten, Sprachregelungen mit auf den Weg gaben - ja, wie der Präsident angeblich höchst persönlich den Premierminister aufgefordert hat, die Sache umgehend wieder ins Lot zu bringen.
Dies ist nur ein Beispiel des derzeitigen französischen Politikalltag – eine Art Hysterie im Verhältnis zwischen Medien und der Politik, das permanente Suchen nach der geringsten Angriffsfläche im Regierungslager. Da wird Kapitel lang die Frage breit getreten, welche Minister sich nun gegen den Premierminister verbündet haben, ob der Innenminister – der Sarkozy-Verschnitt Manuel Valls – nicht schon bald Jean Marc Ayrault beerben wird, ob die Minister den Premierminister nicht umgehen, wichtige Themen direkt mit dem Elyseepalast und dem Präsidenten abklären.
Das Paar Hollande - Ayrault
Und dann sind da vor allem die geradezu epischen Erörterungen über das Zusammenspiel von Präsident und Premierminister. Wir haben Krise, aber man ergötzt sich endlos an offensichtlich unerlässlichen Themen wie der Frage, ob Präsident Hollande zu sehr oder zu wenig in vorderster Linie ist, ob Frankreichs Politik nicht doch letztlich im Elysee gemacht wird, welchen Spielraum der Premierminister nun eigentlich hat und ob es ihm nicht vor allem an Autorität mangele.
Diese Art von Betrachtungen, diese Art von politischem Journalismus , dieses Sich–Suhlen im Brei kommen einem vor wie eine ganz harte Droge, von der das Land seit Jahrzehnten nicht loskommt. Kaum einem ist es während dieser nun schon wochenlangen Erörterungen in den Sinn gekommen, dieses Zwitterdasein an der Spitze des Staates aufs Korn zu nehmen oder gar in Frage zu stellen - dieses definitiv hinfällige, überfällige, ja sinnlose Gebilde aus Präsident und Premier.
Präsident und Premierminister - kann das funktionieren?
Ein gewählter Präsident, der einen Premierminister ernennt, der dann im Prinzip die Regierung bildet, de facto dies aber nicht ohne Zustimmung des Präsidenten tun kann, sich dabei gleich zu Anfang seiner Amtszeit kräftig hineinreden lassen muss. Der Premierminister und seine Regierung sind dann vor dem Parlament verantwortlich, der Präsident vor niemandem, dafür kann er aber, wenn ihm das behagt, den Premierminister auch wieder entlassen und sogar das Parlament auflösen.
Anstatt sich seiten– und tagelang darüber auszulassen, ob sich die Herren Ayrault und Hollande zu ähnlich sind, ob sie wirklich zueinander passen, ob sie zu gut befreundet sind, und es vielleicht deswegen ganz oben im Getriebe des Staates knirscht und die Rollen zwischen beiden vielleicht doch nicht richtig verteilt seien - hätte doch irgendjemand ein Wort über die Sinnlosigkeit dieser Konstellation an sich verlieren können. Doch nichts war.
Aufmüpfige Rhetorik, konservatives Land
Seit 10 Jahren, seit die Amtsperiode des Präsidenten von 7 auf 5 Jahre verkürzt wurde und Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gleichzeitig stattfinden, ist eigentlich für jeden offensichtlich, dass einer der beiden, der Präsident oder der Premierminister, an der Spitze des Staates definitiv überflüssig ist. Alle paar Jahre köchelt die Diskussion für kurze Zeit hoch, ob man die aus einer extremen Krisensituation (Algerienkrieg) heraus entstandene 5. Republik, diese republikanische Monarchie mit bonapartistischem Anstrich, nicht doch endlich gegen eine 6. Republik eintauschen sollte. Doch spätestens nach zwei Wochen verschwindet die Debatte dann wieder erneut für mehrere Jahre von der Bildfläche.
Dies ist so ein Thema, bei dem man den wenigen in Land rechtgeben möchte, die in regelmässigen Abständen darauf hinweisen, dass dieses Frankreich mit dem aufrührerischen Anschein und der aufmüpfigen Rhetorik bei genauerem Hinsehen im Grunde doch ein sehr, sehr konservatives Land ist.
Massives Hollande- und Ayrault-Bashing
Das Pariser Establishement pinselt sich wieder mal den Bauch und suhlt sich in reichlich arroganter Selbstzufriedenheit. Das typische Pariser Elite-Gewitter bricht schonungslos über Jean Marc Ayrault herein. Es herrscht ganz stark der Eindruck: dieses Establishment aus Politik, Wirtschaft, Medien und sonstigen einflussreichen Pariser Zirkeln gibt dem Premierminister mit aller Wucht und reichlich Süffisanz zu verstehen, dass er nicht dazu gehört zum Establishment. Fast despektierlich heftet man ihm zum Beispiel die Berufsbezeichnung „ehemaliger Deutschlehrer“ an , als sei dieses Herkommen einfach zu mittelmässig, um das Amt des Regierungschefs ausüben zu können.
Der letzte Premierminister, dem das Pariser Establishment – zu dem in diesem Fall auch die hoch geschätzte satirische Wochenzeitung „Canard Enchainé“ gehörte - den Prozess der Mittelmässigkeit gemacht hat, hiess Pierre Bereguevoy – ein ehemaliger Eisenbahner, Sohn ukrainischer Einwanderer. Bereguevoy hat sich damals 1993, an einem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, das Leben genommen.
Wetteifende Wochenblätter
Frankreichs Presse, und nicht nur die konservative, hat sich in fast schwindelerregender Geschwindigkeit auf die regierenden Sozialisten eingeschossen. Nach der Sommerpause war jede Schonzeit definitiv beendet und es kam Schlag auf Schlag. Rund 5 Wochen lang traf es – vor allem auf den Titelseiten der vier grossen Wochenzeitungen – Präsident Hollande. Die Wochenblätter wetteiferten mit Titeln wie : „Warum er es nicht schafft“, „Hatte Sarkozy doch recht?„ oder „Sie fühlen sich von ihm verraten“ . Anschliessend war der Premierminister an der Reihe, dem man sein mangelndes Charisma ankreidet und seine angebliche Amateurhaftigkeit.
Genosse Schröder lässt grüssen
Wie sagte doch der deutsche Ex-Kanzler, der mit der Zigarre, der Genosse der Bosse, der heute bei Gazprom im Brot stehende Gerhard Schröder einst? „ Zum Regieren brauche ich die Bildzeitung und die Glotze.“ Dieser Tage hat er - bei einer sicherlich teuer dotierten Tagung der Berggrün–Stiftung in Berlin - den französischen Genossen eiskalt die Leviten gelesen, ja mehr noch. Es klang fast so, als habe er ein Vergnügen dabei, mit seinen Aussagen die Aufmerksamkeit der Finanzmärkte wieder ein Stück mehr auf Frankreich und den Zustand seiner Wirtschaft zu lenken, indem er sich laut die Frage stellte, ob nicht letztlich Frankreich das wirklich grosse Problem in Europa sei, der grosse kranke Mann des Kontinents. Über diese Art von Schützenhilfe wird sich Präsident Hollande gewiss gefreut haben.
Unternehmer und Opposition machen Front
Gegen ihn und seine Regierung machen inzwischen auch Frankreichs Unternehmer in ungewohnter Form Front. Eine Reihe von Start-up-Unternehmer hat es geschafft, mit einer frechen Internetkampagne eine Steuererhöhung innerhalb weniger Tage zu Fall zu bringen. Eine Woche später kamen einhundert Chefs von französischen Grossunternehmen und veröffentlichten ein Manifest, in dem sie vom Präsidenten Abgabenentlastungen in der Höhe von 30 Milliarden Euro forderten. Und natürlich ist die konservative Opposition – die gerade nach ihrem neuen Parteivorsitzenden und wahrscheinlichem Präsidentschaftskandidaten für 2017 sucht – mit Volldampf auf diesen Zug aufgesprungen, spricht von einer Revolte der Unternehmer und ruft sogar zu Demonstrationen auf gegen „eine Politik, die Frankreich herabstuft“.
Und jetzt hat sich auch die katholische Kirche zu Wort gemeldet, sich mit der Opposition und der Ultrarechten verbündet, gegen die Homo-Ehe. Ein dahingehender Gesetzesvorschlag wird diesen Mittwoch im Ministerrat präsentiert - eines der Wahlversprechen des Präsidenten. Und wieder ein Thema, bei dem man die ganze Unbeweglichkeit der französischen Gesellschaft und ihrer politischen Kaste wird goutieren können.