Präsident François Hollande hat sich in den letzten Monaten und ganz besonders in diesen Sommertagen auf die Erinnerung und das Gedenken verlegt. Das gelingt ihm derzeit noch am besten, Vergangenheit ist in diesen kontroversen, deprimierten Zeiten ganz offensichtlich ergiebiger als die ungemütliche Gegenwart – von der Zukunft – eher düster – ganz zu schweigen.
D-Day
Die D-Day-Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestags der Landung der Alliierten in der Normandie machten dabei den Auftakt. Sie waren eher gelungen und der Präsident war sichtlich zufrieden – die halbe Welt hatte sich eingefunden, François Hollande hatte gleich drei Auftritte an ein und demselben Tag an der Seite von Barack Obama, die Zeremonie am Strand von Ouistreham konnte sich sehen lassen, die grosse Weltpolitik hatte sich mit der Ukraine–Krise auch noch eingeladen, selbst den griesgrämig-zynischen Putin haben diese Feierlichkeiten ausgehalten und Angela Merkel war diesmal wie selbstverständlich dabei – die Anwesenheit einer deutschen Regierungschefin an den normannischen Landungsstränden kein aussergewöhnliches Ereignis mehr.
Hollandes Berater hatten sich für diesen 70. Jahrestag der Landung der Alliierten sogar noch etwas einfallen lassen, das in der französischen Öffentlichkeit ausgesprochen gut ankam: Nach sieben Jahrzehnten verneigte sich die Republik erstmals offiziell vor den rund 14´000 zivilen Opfern der grössten Militäraktion aller Zeiten - schon in den ersten 24 Stunden nach der Landung am 6. Juni 44 hatten 2´500 Normannen den Beginn der Befreiung Frankreichs mit dem Leben bezahlt. Zwei Generationen hat es gebraucht bis dieses Gedenken möglich wurde und die Alliierten - die damals ganze Städte wie Saint-Lô und am Ende Le Havre dem Erdboden gleich gemacht hatten - sich durch eine solche Zeremonie nicht mehr vor den Kopf gestossen fühlten.
Tour des 1. Weltkriegs
Dem Gedenken an den zweiten Weltkrieg folgt in den nächsten Monaten das ausufernde Erinnern an den Beginn des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren.
Selbst die Tour de France steht dieses Jahr ganz im Zeichen der Erinnerung an den ersten Weltkrieg. Start der 5. Etappe war im belgischen Ypern, wo die deutschen Truppen 1917 erstmals das Senfgas eingesetzt hatten.
Die sechste Etappe führte über 30 Kilometer entlang des „Chemin de Dames“, des kleinen Höhenzugs in der nördlichen Champagne, wo 1917 allein auf französischer Seite innerhalb von nur drei Monaten mindestens 200´000 Soldaten ihr Leben gelassen hatten, nach Reims, wo die Krönungskathedrale der französischen Könige im September vor 100 Jahren zwar von fast 300 Bomben getroffen wurde, doch trotzdem stehen blieb. Natürlich hatte Präsident Hollande diese und nicht, wie sonst üblich, eine der grossen Bergetappen gewählt, um ins offene rote Auto der Tourdirektion zu steigen und sich dem Fernsehpublikum zu zeigen.
Perfekte Inszenierung
Auf der nächsten Etappe, die die monumentale Nekropole Douaumont mit den Gebeinen von rund 130´000 Opfern und Verdun auf dem Programm hatte, überliessen die deutschen Sprinterstars Greipel und Knittel erstmals den Etappensieg einem Italiener. Ausserdem war, wie schon am Tag zuvor, die schillernd-kitschige, grässlich laute Werbekarawane, die dem Peloton vorausfährt und für viele von den Hunderttausenden am Strassenrand der Hauptgrund dafür ist, überhaupt noch zur Tour zu strömen, gehalten, die Schnauze zu halten und das Werfen mit Werbeartikeln gefälligst bleiben zu lassen - stattdessen wurden hunderttausende blauer Kornblumen verteilt - das französische Symbol der Erinnerung an die Soldaten des 1. Weltkriegs.
Auch die perfekte Inszenierung am Vortag des 14. Juli dürfte dem französischen Präsidenten gefallen haben - auf einer bislang einmaligen Vogesenetappe vorbei an zahlreichen Orten, an denen sich vor 100 Jahren Deutsche und Franzosen jahrelang sinnlos beharkt hatten, fuhr ein Franzose - pünktlich zum Nationalfeiertag - ins gelbe Trikot, während - schon wieder - ein Deutscher die Etappe gewann - beide Fahrer tragen den Vornamen Tony.
14. Juli
Selbstredend wurde auch an diesem Nationalfeiertag wieder gedacht und zwar an den ersten Weltkrieg. Vertreter aus 80 Nationen, die damals auf der einen oder der anderen Seite gekämpft und sich also auch bekämpft hatten, defilierten mit ihren Landesfarben vor der Präsidententribüne Seite an Seite, bevor das französische Waffenarsenal präsentiert wurde und knapp 4´000 Soldaten auf der Prachtavenue marschierten. Dass bei dieser Gelegenheit notgedrungen auch die algerische Flagge die Champs Elysee hinunter getragen wurde - immerhin haben vor 100 Jahren auch gut 400´000 Soldaten aus den damaligen französischen Kolonien in den Schützengräben gekämpft - sorgte im Vorfeld prompt wieder für eine kurze, dämliche Polemik - und zwar auf beiden Seiten des Mittelmeers.
Im Fall Algeriens reicht ein halbes Jahrhundert eben immer noch nicht, um sich emotionslos der gemeinsamen Geschichte zu stellen. Zum Ende des Truppenaufmarschs hatte man diesmal ein Symbol des Friedens choreographiert: 250 schwarz-weiss gekleidete Jugendliche aus den 80 Ländern, deren Vertreter zum Defilé geladen waren, liefen, tanzten und bewegten sich zu Mozarts Klarinetten-Konzert und schickten am Ende weisse Tauben in den wolkigen Pariser Himmel.
Pfiffe für den Präsidenten
Das war eine versöhnliche Geste zum Ende dieser martialischen, reichlich anachronistisch wirkenden Militärparade. Spätestens seit vor einigen Jahren unter Präsident Sarkozy dabei ein gewisser Bachar al Assad auf der Ehrentribüne sass, wünscht man sich diese verschleierte Waffenexportmesse endgültig zum Teufel.
Schon im Vorfeld beschäftigte die Umgebung des Staatspräsidenten diesmal ohnehin nur eine Frage: Wird François Hollande im offenen Militärfahrzeug die Champs Elysees hinunterrollend vor Beginn der Militärparade von den Zaungästen ausgepfiffen werden oder nicht? Seit dies am letzten 11 November - Feiertag zum Ende des 1. Weltkriegs - erstmals einigen Mitgliedern rechtsextremer Gruppen gelungen war, herrschte Alarmstimmung im Beraterstab. Doch es nutzte alles nichts: Das Getrampel der Pferdehufe der Republikanischen Garde auf den Pflastersteinen der Champs Elysees, das den Präsidenten vom Triumphbogen zum Platz der Concorde begleitete, konnte auch an diesem 14. Juli Pfiffe und Buhrufe aus der Menschenmenge nicht übertönen - ein bislang einmaliges Ereignis am Tag, an dem man schliesslich die Einheit der Nation feiert. Die Gegenwart hatte Präsident Hollande wieder eingeholt und zwar brutal und lautstark. Frankreichs Presse verschwieg das weitgehend.
Das obligatorische Interview
Der normale Präsident, der einst Wandel und Veränderungen versprochen hatte, hat am Zeremoniell des 14. Juli auf jeden Fall so gut wie gar nichts geändert. Selbst auf das obligatorische Präsidenteninterview zur Mittagszeit mit dem Garten des Elyseepalastes als Kulisse hat er auch diesmal nicht verzichtet. Dabei hatte er den Franzosen im Grunde überhaupt nichts zu sagen, schon gar nicht etwas wirklich Neues – fast alles hatten sie 2012 und 2013 schon einmal gehört. Und da François Hollande zudem seit Monaten schon in der unangenehmen Lage ist, dass, was er auch sagen mag, von den Franzosen einfach nicht mehr gehört wird und in der Luft verpufft, wirkte sein Auftritt diesmal nahezu pathetisch.
Der Staatspräsident wurde zum unfreiwilligen Kommentator der komplizierten Situation seines Landes, der er machtlos und hilflos gegenüber zu stehen scheint. Fast schon verzweifelt appellierte er an seine Landsleute, sich möchten doch endlich Vertrauen haben in ihre Zukunft. Doch auch nach 2 ½ Jahren gelingt es ihm immer noch nicht, den Eindruck zu vermitteln, dass er den Weg kennt und seiner Bevölkerung auch nur ungefähr sagen könnte, wo es denn langgehen soll.
Die neuen Augengläser
Wenigstens hat er bis zum Jahresende noch zahlreiche Erinnerungszeremonien auf dem Programm – Anfang August schon steht der deutsche Bundespräsident ins Haus und man wird gemeinsam der ersten Marneschlacht gedenken. Am 15. August ist wieder an den 2. Weltkrieg und an die Landung der Alliierten in den Provence zu erinnern. Auf diese Art könnte der lädierte Präsident der Republik einigermassen über den Sommer kommen, bevor ihm im September dann der ungemütliche Alltag und die Sorgen des Jahres 2014 erneut auf den Leib rücken werden.
Zuvor wird man sich Anfang August wieder sorgen, wo und mit wem François Hollande denn die paar wenigen Tage Urlaub, die er sich zugesteht, verbringen wird. Wahrscheinlich wird es wieder so kindisch zugehen, wie im letzten Jahr, als der Präsident persönlich mehr oder weniger zu verstehen gegeben hatte, Urlaub sei für Politiker im Grunde etwas absolut Verbotenes. Dass auch ein Minister einmal zwei oder drei Wochen ausspannt, erschien plötzlich so gut wie ausgeschlossen und so schlimm, als würde ein Kapitän sein sinkendes Schiff verlassen. Vielleicht wird man im bevorstehenden Sommerloch aber auch immer noch nichts Wichtigeres zu tun haben, als über das neue Brillenmodell des Präsidenten zu polemisieren und weiter ausloten, zu wie viel Prozent die präsidialen Augengläser denn nun ein französisches Produkt sind oder nicht. Was das neue Gestell mit den dunklen Rändern aus Dänemark auf jeden Fall schon mal bewirkt hat und wahrscheinlich auch bewirken sollte: Frankreichs Präsident schaut plötzlich sehr ernst aus, mindestens so ernst, wie die Lage in Frankreich.