Eine Zeremonie jagt die andere – und das seit Monaten und mit zunehmender Dauer verstärkt sich das Gefühl, Frankreichs Präsident könne davon einfach nicht genug bekommen.
100 Jahre erster Weltkrieg, 70 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus und Ende des ersten Weltkriegs - François Hollande hat keine, aber wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, sich aus dem schnöden politischen Alltagsgeschäft in die Aura eines heroischen Frankreichs der Vergangenheit zu flüchten.
Gedenken
Mit ernstem Gesicht, streng schwarz gefärbten und gekämmten Haaren, bewegt sich das Staatsoberhaupt fast wöchentlich leicht behäbig und ungelenk vor pompösen Kulissen mit Fahnen und stramm stehende Militärs, assistiert von dutzenden, katzbuckelnden Höflingen – der ach so normale Präsident macht seit gut einem Jahr auf staatstragendes Erinnern mit inflationärem Charakter.
Beim Beschwören der Beispielhaftigkeit und Heldenhaftigkeit der französischen Widerstandskämpfer kommt er dann auch schon mal ins Straucheln. Am 8. Mai, dem Tag des Endes des 2. Weltkriegs in Europa, hatte er neben den offiziellen Zeremonien in Paris und kurz vor einer Auslandsreisen, noch Jugendliche im Elysée empfangen, die bei einem Wettbewerb über die Geschichte des Widerstands ausgezeichnet worden waren. Dabei rief er ihnen zu, sie sollten sich engagieren und kämpfen, wie die Jugend es damals getan habe. Leichtes Erstaunen unter Beobachtern und Kommentatoren. Kämpfen gegen wen? Etwa gegen die Radikalislamisten?
Mitgefühl
Und wenn es nichts zu Gedenken gibt, dann macht der Präsident seit Monaten bei Attentaten, Geiselnahmen, gewissen Gewaltverbrechen oder schweren Unglücken ohne Unterlass auf Mitgefühl, so als müsse er unbedingt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Schrecken, Schmerz, Empörung oder Anteilnahme einer ganzen Nation verkörpern. Warum muss François Hollande, so fragte jüngst selbst Mitterrands ehemaliger Berater, Jacques Attali, bei jeder einzelnen französischen Geisel, die irgendwo auf der Welt befreit wurde und ins Land zurück kommt, höchstpersönlich am Flughafen stehen, manchmal mitten in der Nacht?
Geschieht ein Unglück im Land oder mit Franzosen im Ausland, stürzt sich der Präsident darauf, wo auch immer er sich gerade aufhält. Ständig begleiten ihn auf seinen präsidialen Ausflügen im Inland und bei Reisen im Ausland ein Rednerpult, eine französische und eine europäische Fahne, ein TV-kompatibler, blauer Hintergrund und ein Mikrophon, vor das sich François Hollande dann umgehend stellt und so schnell wie möglich ein paar nichtssagende Worte stammelt. Er ist sich nicht zu schade, dabei regelmässig in eine Rolle zu schlüpfen, die eigentlich dem Pressesprecher irgendeiner französischen Unterpräfektur zukommen würde.
Die Franzosen sehen ihr Staatsoberhaupt, das bei diesen Gelegenheiten ein paar technische Details herbetet und dabei ein wenig linkisch den Mitfühlenden spielt. Auftritte dieser Art erwecken mittlerweile den Eindruck, der Präsident sei nur noch eine Aufziehpuppe in den Händen seiner Kommunikationsstrategen. Ein Beispiel: Als im Juli 2014 eine Air Algérie-Maschine im Norden Malis abgestürzt war, stürzte der Präsident gleich vier Mal an einem Tag vor Kameras und Mikrophone, ohne wirklich etwas zu sagen zu haben - es sei denn, die Zahl der französischen Opfer vom einen zum anderen Mal zu korrigieren.
Inflation
Es ist fast, als blieben dem französischen Präsidenten, der trotz seiner Machtfülle auf die harte Realität im Land immer weniger Einfluss nehmen kann, nur noch die Inflation von Gedenkzeremonien und Beileidsbekundungen, um zu existieren bzw. die Existenz seiner Funktion zu rechtfertigen.
Zwischenzeitlich hatten seine Kommunikationsstrategen gar gedacht, aus dem so genannten "Geist des 11. Januar" - dem Tag als vier Millionen Franzosen gegen den islamistischen Terror auf die Strasse gegangen waren - liesse sich anhaltendes, politisches Kapital schlagen, drängten den Präsidenten und den Premierminister, diesen Geist bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu beschwören. Vier Wochen später mussten sie resigniert feststellen, dass die Masche schon nicht mehr funktionierte - die Umfragewerte des Präsidenten waren wieder genauso schlecht, wie vor den Attentaten.
Diplomatie und Superlative
Und wenn sich gerade keine Gedenkzeremonien anbieten und keine Unglücke geschehen, dann lässt sich zumindest noch Staat machen mit gross angekündigten und medial aufgeblasenen Auslandsreisen.
Anfang Mai, drei Tage in der Golfregion, und man liess verkünden, Frankreich habe doch noch grosses, aussenpolitisches Gewicht. Als erster westlicher Staatschef hat sich der Präsident zu einem Gipfel des Rates der Golfstaaten nach Saudi-Arabien einladen und dabei durchblicken lassen, die Ölstaaten im Golf würden sich stärker auf Frankreich stützen wollen angesichts der US-Aussenpolitik Obamas, die den Iran privilegiere. Kurz vorher ein Stopp in Katar, um sich in der Erfolgsmeldung zu sonnen, dass der Wüstenstaat endlich 16 der Rafale-Kampfflugzeuge Marke Dassault für 6,5 Milliarden Euro gekauft hat, die ausser der französischen Armee seit 20 Jahren niemand haben wollte. Ein Erfolgscommuniqué nach dem anderen wurde herausgelassen.
Antillen
Nur wenige Tage später ging es mit grossem Medientross auf die französischen Antillen und nach Kuba: Fast fünf Tage lang hat sich der Präsident dort selbst beweihräuchert, ungelenk und penetrant für sich selbst geworben.
Zunächst in Guadeloupe tönen lassen, dass er gekommen sei, um die weltweit grösste Gedenkstätte für die Sklaverei einzuweihen. Drei Räume waren mühsam fertiggestellt worden, dreissig andere noch eine Baustelle. Frankreich hat sich nicht lumpen lassen: Zwischen 80 und 130 Millionen Euro – niemand weiss es genau – wird der Bau kosten, den man ins Viertel der Drogenhändler und der Prostitution der Hauptstadt Point-à-Pitre gestellt hat, wo einst eine Zuckerfabrik stand. 300‘000 Besucher sollen hier jährlich defilieren, dabei hat die ganze Insel gerade mal 400‘000 Einwohner. Selbst wenn man das Publikum der Karibik-Kreuzfahrer dort, wie angekündigt, durchschleust, wird man nie auf diese Zahl kommen. Grössenwahnsinn à la française. Und gleichzeitig wirkt dieses Bauwerk wie eine Botschaft, die da lautet: Jetzt habt ihr ein so tolles Museum, das muss reichen und mit dem ständigen Gerede über die koloniale Vergangenheit Frankreichs möge man es in Zukunft doch bitte etwas diskreter halten.
Auf Martinique hat der Präsident dann wieder mal einen seiner immer häufigeren Appelle zur Rettung des Klimas lanciert - schliesslich organisiert Frankreich doch im Dezember den Weltklimagipfel. Dieser Appell wirkte, als müsse François Hollande begründen, warum er ausgerechnet die Umweltministerin mit auf diese Karibik-Reise genommen hatte - keine andere als seine einstige Lebensgefährtin und Mutter seiner vier Kinder, Ségolène Royal. Die Gazetten jedenfalls interessierten sich nicht im geringsten für seinen Klimaappell, sondern strickten umgehend wieder neue Geschichten über François Hollande und seine Frauen.
Cuba si
Und dann war Kuba an der Reihe, ein Besuch, der von den meisten Medien brav als Husarenstück des Präsidenten gepriesen wurde, mit dem er Barack Obama zuvorgekommen sei.
Gleich ein halbes dutzend Mal hat François Hollande in Kuba vor den Kameras wiederholt, dass er der erste französische Präsident überhaupt ist, der das Land besucht, dass die Visite deswegen historisch, ja wahrlich historisch ist - und ganz besonders natürlich der Coup, dass ihm der greise Leader Maximo, in kariertem Hemd und in der blauen Sportjacke, mit der er nun seit Jahren kostenlose Werbung für einen Sportartikelhersteller aus dem bayrischen Herzogenaurach macht, eine Audienz gewährt hat. So what. Verblichener konnte ein Glanz schwer sein, in dem sich Frankreichs Präsident da sonnen wollte.
Alltag
Und derweil zu Hause? Tristesse as usual: permanenter Horror an der Arbeitslosenfront, Wirtschaftswachstum auf Dauer unter 1%, nicht die Spur von Anzeichen, dass die Desindustrialisierung des Landes zu stoppen sei – selbst die hochheilige Atomindustrie, mit der sich Frankreich an der Weltspitze wähnte, steckt in einer wohl historisch zu nennenden Krise, die in den letzten Wochen offen ausgebrochen ist.
Der Atomkonzern Areva, noch vor kurzem Aushängeschild des französischen Know-hows, kann nur noch mit staatlicher Hilfe oder der des Elektrizitätsgiganten EDF gerettet werden. Fast über Nacht scheint auf der ganzen Welt so gut wie niemand mehr Frankreichs Atomtechnologie haben zu wollen.
Schulreform
Und, ach ja, eine Reform der Mittelschule, an die kaum jemand glauben will, hat der Präsident per Dekret jüngst durchboxen lassen, als wolle er sich beweisen, dass er doch noch handlungsfähig ist. Das Dekret erschien am Tag, nachdem ein Drittel der Mittelschullehrer gegen diese Reform gestreikt hatte. Ganz nebenbei wird dabei einer der wenigen Züge, der im desolaten öffentlichen Schulsystem Frankreichs noch relativ gut funktionierte, wegreformiert: die sogenannten zweisprachigen Klassen, wo von der ersten Klasse der Sekundarstufe an zwei Fremdsprachen - meist Englisch und Deutsch - parallel gelernt wurden.
Die Abschaffung dieses Modells ist ein ganz besonders harter Schlag für den Deutschunterricht in Frankreich. Das Goethe-Institut, ja selbst die deutsche Botschafterin in Paris und Frankreichs Deutschlehrer stiegen auf die Barrikaden, auch der Germanist und Ex-Premierminister Ayrault, sowie der ehemalige sozialistische Kulturminister, Jack Lang, protestierten lautstark. Genutzt hat es nichts - die Besonderheit des deutsch-französischen Verhältnisses war für François Hollande kein Argument, auch nicht die Tatsache, dass dieser Schritt in Deutschland schlicht als Affront empfunden wird. Seine Bildungsministerin hatte dekretiert, diese zweisprachigen Züge seien elitär und gehörten deswegen abgeschafft.
Entre ici...
Aber Gott sei Dank steht für Präsident Hollande diese Woche ja schon wieder ein Gedenktermin an. Am 27. Mai wird das lange vorbereitete Ritual über die Bühne gehen, in dem sich bislang noch jeder französische Präsident sonnen wollte - mindestens einmal pro Amtszeit.
Im Rahmen einer pompösen Feier wird auch der normale Präsident François Hollande die sterblichen Überreste grosser Männer und diesmal auch Frauen der französischen Nation ins Pariser Panthéon überführen lassen: die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer: Geneviève De Gaulle-Anthonioz und Germaine Tillion sowie Jean Zay und Pierre Brossolette. Die Redenschreiber des Präsidenten schwitzen Blut und Wasser bis zu letzten Minute. Schliesslich müssen sie sich mit keinem geringeren als dem Schriftsteller und Kulturminister De Gaulles, André Malraux, messen. Unvergessen und unerreicht bleibt dessen vibrierende und pathetische Hommage 1965 an den Chef des französischen Widerstands, Jean Moulin. Eine Rede, die als eine Art Kunstwerk in die Geschichte eingegangen ist.
Ein halbes Dutzend Fernsehsender werden diese Woche die Zeremonie mit Licht- und Tonspektakel am Panthéon, dem Tempel der Republik und einer gewiss eher konventionellen Rede live übertragen. Ein paar Stunden lang darf man sich dann wieder mal in der Illusion einer geeinten Nation wähnen - bis zur nächsten Zeremonie - dazwischen überlebt man im rüden Alltag.
Wahlkampf
Diesem Alltag zu entkommen hat François Hollande letzte Woche eine dritte Variante hinzugefügt, nach dem Motto: Warum sollte ich es anders machen, als Nicolas Sarkozy das vor fünf Jahren auch schon gemacht hat. Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl sind es zwar noch zwei Jahre, aber fangen wir doch trotzdem schon mal an mit dem, was wir eigentlich am liebsten tun und auch besser können als regieren: Wahlkampf machen.
Die zahlreichen Tagesausflüge des Präsidenten in die französische Provinz bieten dafür beste Gelegenheiten. Mir nichts, dir nichts hat der normale Präsident letzte Woche eine dieser Gelegenheiten genützt. Im südfranzösischen Carcassonne zog er in einer längeren Rede eine beschönigende Bilanz seiner ersten drei Jahre im Elysée und machte deutlich: Nur 20% Zustimmung hin oder her, ich will es 2017 noch einmal wissen.