Der erste Schock liegt schon über eine Woche zurück. Die Maschine der Malaysian Airlines von Amsterdam nach Kuala Lumpur war mutmasslich von russischen Seperatisten in der Ostukraine abgeschossen worden. In der Sonderberichterstattung der französischen Medien tauchte zwischen Korrespondentenberichten und Mutmassungen verschiedenster Experten, Strategen, Politologen und Kremlspezialisten plötztlich auch die Stimme des französischen Staatspräsidenten auf.
Der war aber gerade in der Elfenbeinküste und in einigen anderen Staaten unterwegs, um Probleme im so genannten "französischen Hinterhof" Afrikas zu regeln und französischen Konzernchefs bei der Wiedereroberung oder Konsolidierung der afrikanischen Märkte zu helfen. Vor allem aber, um eine Neuorganisation der französischen Truppen zwischen Tschad, Mali, Niger und Burkina Faso einzuleiten und die Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelzone auf neue Beine zu stellen .
"Stellen sie sich die Ängste vieler Familien vor", so der Präsident aus Abidjan, "Familien aus zahlreichen Nationen. In den letzten Stunden konnte ich nicht mal bestätigen, dass es keine Franzosen an Bord gab, weil es noch einen Fall gab, der nicht klar war. Letztlich kennen wir jetzt die Nachricht: 298 Opfer, keine Franzosen, aber 298 Opfer."
Erste Peinlichkeit
Was um Himmels willen hat einen Präsidenten der französischen Republik, zumal noch auf Auslandsreise, dazu bewogen, sich vor Kameras und Mikrophone zu stürzen, um derartige Platitüden von sich zu geben und quasi als Erfolg zu vermelden, dass keine Franzosen an Bord der abgeschossenen Maschine waren? Hat wirklich auch nur irgend jemand von ihm, dem Staatspräsidenten, erwartet, dass er bestätigen oder nicht bestätigen kann, ob französische Passagiere in diesem Flugzeug sassen? Gibt es dafür keinen Aussen-, Transport- oder Innenminister oder deren Sprecher? Und war das wirklich die Frage in einem Augenblick, da die internationale Öffentlichkeit sich bewusst werden musste, dass ein nicht erklärter Krieg auf europäischem Boden derartige Konsequenzen haben kann?
Schon da rieb man sich die Augen und hatte die Kommunikationsstrategen im Verdacht, im Elyséepalast jetzt doch wieder die Macht übernommen zu haben, den Präsidenten angesichts seiner immensen Unpopularität jetzt so weit weich gekocht zu haben, dass er endlich tut, was sie von ihm verlangen, ihre Marionette wird und brav die Rollen spielt, die sie ihm auftragen und vorgeben. Doch das war nur ein Hors d'Oeuvre, denn es sollte noch viel unappetitlicher kommen.
Zweiter Absturz
Es war der Donnerstag und am frühen Morgen war die Air Algérie-Maschine auf dem Weg von Ouagadougo nach Algier von den Radarschirmen verschwunden. Am späten Nachmittag stand Präsident Hollande schon wieder vor den Fernsehkameras. Eigentlich sollte er im Flugzeug sitzen zu einem Besuch in den französischen Départements im indischen Ozean - La Réunion, Mayotte und Comores. Doch die Kommunikationsstrategen hatten anders entschieden. Also setzte der Präsident eine betretene Miene auf, gab seiner Stimme einen zitternden, weinerlichen Unterton und verkündete:
Verbatim
"Das Flugzeug ist sehr früh heute morgen von den Radarschirmen verschwunden. 51 unserer Landsleute waren an Bord, auf dem Weg zu ihren Angehörigen in Frankreich mit Anschlussflügen ab Algier. Ich habe also beschlossen, seit diese Information bekannt ist, alle Mittel, alle militärischen Mittel, die wir vor Ort in Mali haben, zu mobilisieren, denn alles deutet darauf hin, dass das Flugzeug in Mali abgestürzt ist. Auch alle zivilen Mittel, über die wir vor Ort verfügen können und alle Mittel der nahe benachbarten Autoritäten, ich denke an Algeiren, Mali und Burkina Faso. Die Suche wird die Zeit in Anspruch nehmen, die nötig ist. Noch heute Nacht muss alles getan werden, um dieses Flugzeug zu finden. Ich denke an die Familien, die in Angst leben und in den verschiedenen Flughäfen gewartet haben. Ich möchte ihnen meine ganze Solidarität zum Ausdruck bringen und die der Nation. Ich habe die Regierung beauftragt, die Familien zusammen zu holen und ihnen alle Informationen zu geben, über die wir verfügen in den kommenden Minuten. Da sind auch die Anstrengungen, die man machen muss, immer und immer wieder, um alle Mittel zu mobilisieren. Ich werde hier in Paris bleiben, so lange wie nötig. Ich habe also beschlossen, meine Reise nach La Réunion, Mayotte und auf die Comoren abzusagen. Jeder wird das verstehen. Es ist ein Augenblick des Ernstes und des Schmerzes. Weil es sich um 118 Passagiere handelt, um viele Familien, um 51 Landsleute. Es handelt sich um eine Serie, aber es gibt keine Serie, jede Realität ist anders. Wir können die Ursachen nicht nennen, für das, was geschehen ist. Man wird das machen müssen. Wir wissen, dass die Besatzung gemeldet hat - es war 1 Uhr 48 -, dass sie die Richtung änderte, auf Grund besonders schwieriger meteorologischer Verhältnisse. Es liegt uns aber am Herzen, die ganze Wahrheit aufzudecken. Bis dahin werden alle Mittel mobilisiert, um dieses Flugzeug zu finden und um den Familien alle Informationen zu liefern, die sie verlangen und ihnen unsere Solidarität und die des ganzen Landes zu geben."
Ich, ich, ich
Nichts, aber auch wahrlich nichts von dem, was der Präsident da umständlich und langatmig verkündete, war dem durchschnittlichen Radiohörer und Fernsehzuschauer in diesem Augenblick unbekannt. Der Präsident hatte keine wirklichen Informationen, im Grunde nichts zu sagen, aber er warf sich in Pose, beraumte von da an eine tägliche, sorgsam inszenierte Krisensitzung im Elysée an, wie man das sonst nur aus den Zeiten des Irakkriegs in Erinnerung hatte. Ein Verkehrsunfall wurde zur Chefsache erklärt, der Präsident - umgeben von zahlreichen Ministern, Generälen und Experten - schlüpfte in die Rolle des obersten Krisenmanagers. Geradezu schamlos und dazu nicht besonders geschickt surft François Hollande auf einer Welle der Tränen und des Mitleids. Dafür wurden sogar die Familien der Unfallopfer gnadenlos in die Kommunikationsstrategie des Elyséepalastes eingespannt.
Sollte es etwa ein Zufall gewesen sein, dass ihr Empfang durch den Staatspräsidenten am Samstag just um 15 Uhr angesetzt wurde, zu einem Zeitpunkt, als die nächste verbotene Pro Palästina-Demonstration auf dem Pariser Platz der Republik begann? Und als dort erneut Steine flogen und Tränengasschwaden über den Platz zogen, da ergriff der Staatspräsident am 3. Tag hintereinander das Wort, stellte sich in den Garten des Elysée und legte Bericht ab über die tägliche Krisensitzung und den Empfang der Opferfamilien - die drei permanenten Info-TVs hatten plötzlich eine Stunde lang kein anderes Thema. Dabei sagte der Präsident vor allem eines, nämlich "ich". Ich habe beschlossen, ich habe angeordnet, ich, ich, ich .... Etwa, dass die Fahnen an offiziellen Gebäuden drei Tage auf Halbmast gesetzt werden oder dass die sterblichen Überreste aller Opfer nach Frankreich gebracht werden sollten.
Spätestens da hatte der Präsident über das Ziel hinaus geschossen und sich sogar diplomatischen Ärger eingehandelt. Was sollen die Autoritäten in Algerien, in Burkina Faso oder in Libanon davon denken, dass da ein französischer Präsident einfach so beschliesst, dass alle, aber auch wirklich alle - wie er wörtlich sagte - sterblichen Überreste nach Frankreich gebracht werden. Algerische Regierungskreise haben schon deutlich Unmut geäussert, ganz abgesehen davon, dass das Versprechen nicht zu halten ist. Denn von den Körpern der 118 Opfer ist schlicht so gut wie nichts übrig geblieben.
Zelebriertes Mitleid
Es stinkt Kilometer weit gegen den Wind, dass die Kommunikationsstrategen des Präsidenten diese Tage lang dauernden Mitleidszeremonien inszeniert haben in der Hoffnung, François Hollande könnte dadurch wieder ein paar Prozentpunkte an fast völlig abhanden gekommener Popularität hinzugewinnen. Ausserdem, so argumentieren sie, wenn der Präsident nichts tun würde, würde man ihm das auch verübeln. Doch leider hat der Präsident das Mass verloren, spielt die ihm zugedachte Rolle eher schlecht und ist alles andere als glaubwürdig. Zudem setzt er sich, für jeden sichtbar, dem Verdacht aus, die Tragödie eines Flugzeugabsturzes und die Trauer um die Opfer auszunutzen, um von den eigentlich wichtigen, aber unangenehmen Themen, den sozialen Spannungen und den wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken. Und das hat etwas Unappetitliches.