Vor zehn Tagen sorgte ausgerechnet die mutmasslich konservativste der vier grossen französischen Wochenzeitungen, «Le Point», ein erstes Mal für Ärger und Sorgenfalten bei der französischen Rechten und im Dunstkreis von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy.
Parteigelder für Freunde
Eine Veröffentlichung, drei Wochen vor den Gemeinderatswahlen, traf Sarkozy nur indirekt und nahm vor allem den ohnehin umstrittenen und unter denkwürdigen Umständen gewählten Parteichef der konservativen UMP, Jean Francois Copé, aufs Korn.
Der Mann mit den langen Zähnen, spitzen Ellenbogen und einer überdimensionalen Machtbesessenheit, soll als Parteichef der UMP einem Kommunikationsunternehmen, das zweien seiner engsten und langjährigen politischen Weggefährten aus der zweiten Reihe gehört, Millionenaufträge zugeschanzt haben, ohne jemals andere Kostenvoranschläge eingeholt zu haben. Vor allem soll die finanziell ohnehin ausgeblutete UMP der Firma von Copés Busenfreunden, «Bygmalion», die völlig überhöhten Kosten für die Organisation von Nicolas Sarkozys Wahlkampfveranstaltungen im Frühjahr 2012 bezahlt haben, ohne mit der Wimper zu zucken – die Rede ist von 8 Millionen Euro, das doppelte dessen, was üblich gewesen wäre.
Besonders bitter für die Anhänger der UMP: Die Wahlkampfausgaben Nicolas Sarkozys aus dem Jahr 2012 waren von der zuständigen Kontrollinstanz nicht akzeptiert worden, was bedeutete, dass der Staat die Rückerstattung der Kosten nicht übernahm und ein weiteres Loch von 11 Millionen Euro in den Kassen der konservativen Partei klaffte. Nach einer grossangelegten Spendenaktion hatten die Mitglieder und Sympathisanten der konservativen Partei dieses Loch gestopft. Das Basismitglied der UMP, das einen 100-Euro-Scheck an die Partei geschickt hatte, durfte sich freuen.
Schon wieder Katar
Ausserdem soll laut der Wochenzeitung «Le Point» ein Dritter aus Copés Umfeld, Manager eines in Katar angesiedelten Investmentfonds, die Finger im Spiel gehabt und reichlich Provisionen kassiert haben, als der französische Staat 2002 begonnen hatte, seine Luxusimmobilien zu verscherbeln, um Geld in die leeren Staatskassen zu holen.
Die zwei grössten Objekte im Gesamtwert von 700 Millionen Euro, darunter das Internationale Konferenzzentrum in der Pariser Avenue Kléber, wurden dann ausgerechnet von katarischen Investoren gekauft – just zu einer Zeit, als ein gewisser Jean Francois Copé Budgetminister war und derartige Veräusserungen von staatlichem Eigentum zwangsläufig über seinen Schreibtisch gehen mussten.
Peinlich pathetischer Parteichef
Zu seiner Verteidigung setzte der UMP-Chef für letzten Montag eine Pressekonferenz an, für die er offiziell «eine feierliche Erklärung» angekündigt hatte. Das klang so schief, dass so mancher dachte, er würde seinen Rücktritt bekanntgeben. Doch da kennt man den ehrgeizigen Fünfzigjährigen schlecht.
Er legte ein Plädoyer zu seiner Verteidigung hin, in dem von einem Komplott gegen ihn und einer Hexenjagd die Rede war, von einer Art Verschwörung gar. Seine Antwort: er werde alle Konten seiner Partei offenlegen, die totale Transparenz möge herrschen, wenn – ja, wenn die anderen Parteien und vor allem die Presseorgane, die ihm derart zugesetzt hätten, zu demselben Schritt bereit wären.
Es war schlicht pathetisch und ein Schuss, der derartig nach hinten losging, dass selbst seine Parteifreunde nur betreten auf ihre Schuhspitzen blicken konnten. Denn in seiner «feierlichen Erklärung» hatte der Parteichef der Konservativen Massnahmen vorgeschlagen, die bereits seit Jahren oder Jahrzehnten existieren und dabei auch noch vergessen, dass er selbst noch vor wenigen Monaten wie ein Wilder geblökt hatte, als im Parlament ein Gesetz über die Transparenz im politischen Leben Frankreichs verabschiedet wurde – und er natürlich mit seiner gesamten Fraktion dagegen gestimmt hatte. Jeder, der will, kann schon heute die Konten der Parteien einsehen und über staatliche Zuwendungen an die Presse und die Kapitalverhältnisse der einzelnen Zeitungen kann man sich ebenfalls frei informieren.
«Man könnte vor Lachen sterben», kommentierte der Direktor der Wochenzeitung «Le Point», den Copé als denjenigen geortet hatte, der alles darauf anlege, ihm seine politische Karriere zu vermasseln. Er meinte, es wäre vielleicht an der Zeit, dass sich die Politiker – und vor allem Herr Copé – daran gewöhnten, dass es in diesem Land eben doch noch so etwas wie einen unabhängigen Journalismus gebe.
Immer wieder Sarkozy
Bei seinen pathetischen Einlassungen vergass der gebeutelte UMP Parteichef nicht, den Namen Sarkozy möglichst oft zu nennen, um nebenbei denjenigen mit in die Affäre zu ziehen, um den es ja letztlich ging.
Schliesslich war es Sarkozys Wahlkampf, der 2012 so teuer bezahlt wurde. Dass der Ex-Präsident überhaupt keine Ahnung davon hatte, welche Agentur da für ihn arbeitete, und dass er nicht wusste, wer sich hinter der Firma «Bygmalion» versteckt, ist kaum vorstellbar.
Zufällig war der grosse Organisator von Sarkozys Wahlkampfauftritten dann auch noch ein gewisser Jerome Lavrilleux. Er ist seit Jahren der Schatten von UMP-Chef Copé, seine permanente rechte Hand, einer, der vom Aussehen und seinem Verhalten her an einen russischen Politkommissar mit Nickelbrille aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erinnert. Sarkozy soll zu Beginn vergangener Woche die Vorhänge hochgeklettert sein aus Wut darüber, dass dieser Copé mit seinem, Sarkozy's Namen, ständiges Name-dropping betrieb.
Affäre Nummer zwei
Doch da wusste der Ex-Präsident noch nicht, was ab Mitte der Woche auf ihn zukommen sollte. Plötzlich war in seinem Zusammenhang die Rede von einem «Watergate» und von «Sarkozy-Leaks». Es war bekannt geworden, dass sein jahrelanger inoffizieller politischer Berater, Patrick Buisson, hunderte Stunden von internen strategischen Gesprächen mit ihm und anderen Beratern per Diktaphon aufgezeichnet hatte.
Die Bänder des Diktiergeräts seien von Untersuchungsbehörden bei einer Hausdurchsuchung in Buissons Büro beschlagnahmt worden, hatte es zunächst geheissen. Doch die Untersuchungsbehörden winkten ab. Also muss jemand aus der Umgebung des eher zwielichtigen, ja dunklen Beraters von Sarkzoy die Aufzeichnungen der Presse zugespielt haben – dem satirischen und stets gut informierten Wochenblatt «Le Canard Enchaîné» und dem eher rechts stehenden Internetportal «Atlantico».
Heikle Dossiers
Premierminister Fillon durch Jean-Louis Borloo zu ersetzen, sei grotesk. So hört man Nicolas Sarkozy am 27. Februar 2011auf einem der Tondokumente reden, gedämpft durch den Stoff des Jacketts von Patrick Buisson: «Wenn überhaupt jemand, dann käme Alain Juppé in Frage.»
Dies ist nur eine von Dutzenden pikanter Aussagen aus der zweistündigen Unterhaltung, die Sarkozys Sonderberater an jenem Tag, wie an unzähligen anderen, mit dem Diktiergerät in der Westentasche aufgezeichnet hat. Man erlebt einen Sarkozy als gnadenlosen, zynischen Machtmenschen. Es gibt Passagen, da macht sich die erlauchte Runde in nicht sehr feiner Wortwahl über die Unfähigkeit einiger Minister, wie etwa Michèle Alliot-Marie, lustig oder man hört, dass der ehemalige Generalsekretär des Elysée und künftige Innenminister, Claude Guéant, sich bislang sehr effektiv bei der Justiz eingeschaltet habe, wenn es um sogenannte heikle Dossiers ging.
Die Reaktionen im ohnehin schwer gebeutelten konservativen Lager Frankreichs schwankten zwischen Fassungslosigkeit und Wut. Ex-Premierminister Raffarin: «Das haut einen vom Stuhl. Ich war Premierminister und hab da einiges gesehen, aber sowas nie. Jemanden ohne sein Wissen aufzuzeichnen, das ist extrem heftig. Das heisst auch, es gibt kein Vertrauensverhältnis mehr, man versucht etwas hinter dem Rücken zu machen, das ist inakzeptabel, für jeden in seinem Privatleben, hier aber, im Elysée, den Präsidenten der Republik, wenn man einer seiner ersten Berater ist – man könnte an der menschlichen Natur verzweifeln.»
Rechtsextreme Geister gerufen
Patrick Buisson ist der Historiker und Politologe aus dem rechtsextremen Milieu – jahrelang Chefredakteur der rechtsextremen Wochenzeitung «Minute», der Ideologie des ultranationalistischen Schriftsellers Charles Maurras vom Beginn des 20. Jahrhunderts verschrieben – , der für den kräftigen Rechtsruck von Nicolas Sarkozy und die Übernahme von zahlreichen Thematiken der Nationalen Front in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit verantwortlich gemacht worden war. Buisson ist eine publikumsscheue verschwörerische Person.
Nicolas Sarkozy hatte sich diese reichlich zwielichtige Gestalt als Berater in den Elysée geholt, weil Buisson 2004, als die Zustimmung der Franzosen zur EU-Verfassung in Umfragen noch bei 60 Prozent lag, vorausgesagt hatte, dass das Nein am Ende mit 55 Prozent siegen werde – was dann auch tatsächlich eingetreten ist. Über fünf Jahre hinweg hat der Mann mit Glatze und feiner Nickelbrille, Anhänger eines verlorenen, ewigen Frankreichs der weissen Hautfarbe und der Kirchtürme, den Staatspräsidenten bearbeitet und davon überzeugt, dass sein Heil nicht in der politischen Mitte, sondern weit rechts aussen liegt.
Heute läuft gegen den Ex-Berater und gegen den Elysée ein Ermittlungsverfahren, weil sich Buisson in seinen fünf Jahren der inoffiziellen Beratertätigkeit auch noch eine vom Rechnungshof kritisierte goldenene Nase verdient hatte. Er hatte sich und seiner Firma, ohne Ausschreibungen und Konkurrenz, im Elysée Aufträge für Meinungsumfragen im Wert von 3,5 Millionen Euro verschafft zu Themen und Fragen, die er auch noch mehr oder weniger selbst bestimmen konnte. Den Elysée als Selbstbedienungsladen betrachten und gleichzeitig die Gespräche mit dem Brotgeber und Hausherren heimlich aufzeichnen – etwas viel Unverfrorenheit auf einmal.
Zeitbombe
Nicolas Sarkozy soll laut seiner Umgebung stundenlang getobt haben. Unter anderem, weil wohl niemand weiss, was von den mehrere hundert Stunden dauernden Tonaufzeichnungen noch an die Öffentlichkeit gelangen wird, wer sie überhaupt besitzt und ob unter den Aufzeichnungen nicht auch echte Staatsgeheimnisse sind, die nun einfach so irgendwo an ungewissen Orten liegen.
Wer weiss schon, über was alles Sarkozy mit seinem engsten Umkreis aus offiziellen und inoffiziellen Beratern noch so gesprochen hat? Es könnte, so sagte man sich, eine Zeitbombe werden, die sehr lange tickt.
Affäre Nummer drei
Doch zwei Tage später explodierte erst mal eine andere Bombe: «Le Monde» wusste zu berichten, dass der ehemalige Präsident, seine zwei ehemaligen Innenminister und sein mit ihm vielbeschäftigter Anwalt von der Justiz seit einem knappen Jahr abgehört wurden. Dies im Rahmen einer gerichtlichen Voruntersuchung in der sogenannten Gaddafi-Affäre, in der ermittelt wird, ob der früher libysche Machthaber Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2007 mit Millionensummen unterstützt hat.
In dieser Angelegenheit waren die abgehörten Telefongespräche anscheinend nicht sehr ergiebig, doch die Ermittler stiessen auf andere interessante Details. Sarkozy und sein Anwalt haben offensichtlich versucht, einen befreundeten Richter am höchsten französischen Gericht, dem Kassationsgericht, dazu zu bewegen, ihnen interne Informationen zu liefern über ein laufendes Verfahren im Zusammenhang mit der Bettencourt-Affäre.
In dieser Affäre ist das Verfahren gegen Sarkozy zwar eingestellt worden, doch der Ex-Präsident zog vor das Kassationsgericht, um die dabei von den Ermittlern beschlagnahmten Terminkalender aus seiner Amtszeit als Präsident zurück zu bekommen. Damit wären die darin enthaltenen Informationen in Zukunft vor Gericht nichtig.
Und eben dies wäre für Sarkozy in einer weiteren, in der Tapie-Affäre, von allergrösster Bedeutung, zeigen die Aufzeichnungen doch, dass der neu gewählte Präsident ab 2007 dem windigen Geschäftsmann, Ex-Politiker und Ex-Fussballpräsidenten Bernard Tapie überdimensional viele Rendez-vous gewährt hatte. Und zwar just zu einer Zeit, bevor ein privates Schiedsgericht Tapie eine Entschädigungssumme von 400 Millionen Euro zugesprochen hatte, wegen einem umstrittenen Verkauf von Adidas in den neunziger Jahren durch die damalige Staatsbank Credit Lyonnais, von der sich der Adidas-Verkäufer Tapie übers Ohr gehauen fühlte.
Bestechliche Justiz?
Der hohe Richter am Kassationsgericht, der Sarkozy und seinen Anwalt über das Vorangehen ihres Verfahrens informiert haben soll – das Urteil wird an diesem Dienstag gesprochen – steht kurz vor der Pensionierung und soll im Gegenzug Sarkozys Anwalt gefragt haben, ob der Ex-Präsident nicht etwas für ihn tun könne. Er würde doch sehr gerne seine letzten Jahre als hoher französischer Beamter in Monaco verbringen. Dort sei die Stelle eines Staatsrates frei, und Sarkozy könnte ja da für ihn ein gutes Wort einlegen.
Zufällig oder nicht traf es sich, dass der französische Ex-Präsident vor kurzem eine Woche lang en famille eine Thermalkur im Hotel de Paris in Monaco absolvierte und sein Anwalt in dieser Zeit dort ebenfalls einen Tag lang zu Gast war. Alles Unsinn, ungeheuerlich, Verschwörung des angeschlagenen Francois Hollande, tönt es aus Sarkozys Ecke. Staatsaffäre, sagen die Sozialisten.
Eines ist bei all dem sicher: Nach diesen drei Affären innerhalb von nur einer Woche darf sich in Frankreich im Grunde nur eine die Hände reiben, sich zurücklehnen und den kommenden Kommunal- und Europawahlen voller Optimismus entgegenblicken: die extreme Rechte und Marine Le Pen. Jeder Skandal dieser Art, so die Kommentatoren, bringt ihr mindestens ein Prozent zusätzlich.
Wes Geistes Kind
Nicolas Sarkozy, der nun seit Monaten einen reichlich unerträglichen, geradezu unappetitlichen Zirkus um seine mögliche Rückkehr in die Politik veranstaltet, der sich im Schatten der Tournee seiner Frau Carla feiern lässt wie bei Wahlkampfauftritten, hier und da in für ihn zu grosse De Gaullesche Kleider schlüpft und sich als potentieller Retter ins Spiel bringt, auf den das Land zurückgreifen könne, um den endgültigen Niedergang zu vermeiden – nur um in der Woche darauf zu sagen, er habe sich für immer aus der Politik zurückgezogen.
Sarkozy steckt nach dieser vergangenen Woche doch gewaltig in der Bredouille. Zu deutlich haben die Tonbandaufzeichnungen der vertraulichen strategischen Gespräche im Elysée oder im präsidialen Wochenendsitz «La Laterne» neben dem Versailler Schloss und die abgehörten Telephongespräche gezeigt, wes Geistes Kind dieser ehemalige französische Präsident ist: Er ist einer, der es liebt, dass man ihm die Stiefel leckt, der von sich selbst eingenommen, ja besessen ist, der redet und redet, von seinem Hofstaat Beifall heischend, der vor allem über sich selbst redet mit grenzenloser Verachtung für andere und deren angebliche Unfähigkeit – und nebenbei immer wieder vor allem über Geld und Reichtum.
Rückkehr an die Macht?
Das Schlimmste aber ist: trotz dieses Sittenbildes und trotz aller Affären – insgesamt ein halbes Dutzend, in denen sein Namen auftaucht und mit denen sich die Justiz beschäftigt – kann heute niemand eine erfolgreiche Rückkehr Sarkozys in die Politik und eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt 2017 wirklich ausschliessen. Angesichts des katastrophalen Zustands seiner eigenen UMP-Partei könnte er in den Augen der rechten Sympathisanten immer noch als der grosse Macher und Zampano erscheinen. Und angesichts der Erfolglosigkeit und Unbeliebtheit Präsident Hollandes und der regierenden Sozialisten hätte er durchaus seine Chancen.
48,5 Prozent der Stimmen konnte Sarkozy 2012 in der Stichwahl auf sich vereinen. Die Franzosen haben ihn damals nicht wirklich mit Schimpf und Schande davongejagt. Und die Franzosen haben auch kein sonderlich langes Gedächtnis.