Eigentlich war es keine Überraschung. Die Meinungsumfragen hatten es seit Wochen geblasen und Marine Le Pens Nationaler Front bei den Europawahlen 22, 23 oder gar 24% vorhergesagt. Und doch ist Frankreich am Montagmorgen mit einem Schock erwacht: 24,85% für die Kandidaten der europafeindlichen, rechtsextremen Nationalen Font, die damit nicht etwa mehr oder weniger gleichauf mit der konservativen UMP, sondern mit fast 5% Vorsprung eindeutig ganz vorn liegen und die regierenden Sozialisten gar mit über 10% hinter sich lassen - 13,98% ist das schlechteste Ergebnis, das die Nachfolgepartei der einst von Jean Jaurès gegründeten Sozialistischen Partei Frankreichs je bei einer Europawahl eingefahren hat.
Stärkste Partei
Seitdem tönen Frankreichs marineblaue Rechtsausleger vor jedem Mikrophon und jeder Kamera: Wir sind die stärkste Partei Frankreichs - «le premier parti de France».
Angesichts einer Wahlbeteiligung von nur knapp über 40% und der Besonderheit von Europawahlen mag dies ein wenig übertrieben sein. 4,5 Millionen Stimmen haben die Kandidaten der extremen Rechten bei der EU–Wahl an diesem Sonntag in Frankreich bekommen - bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren, mit hoher Wahlbeteiligung, hatte Marine Le Pen jedoch bereits 6,5 Millionen Stimmen auf sich vereinen können.
Das Symbol jedoch wird bleiben, ebenso wie das Datum 25. Mai 2014 - ein Tag, an dem in der französischen Politik eine Schwelle überschritten wurde.
Von einem Tag auf den anderen stellt Frankreichs europafeindliche extreme Rechte plötzlich fast ein Drittel der 74 Abgeordneten im EU-Parlament aus einem Land, das immerhin einer der Mitbegründer der Europäischen Gemeinschaft war - nämlich insgesamt 24 Abgeordnete, während die regierenden Sozialisten gerade noch 13 nach Brüssel entsenden dürfen – eine echte Ohrfeige, eine weitere Schwächung des Staatspräsidenten, aber auch der Rolle Frankreichs in Europa.
Welches Gewicht kann ein derartig angeschlagener französischer Präsident heute in Brüssel überhaupt noch haben, fragen die Kommentatoren gleich reihenweise.
Beeindruckende Details
Die Wahlergebnisse werden um so grausamer, je näher man in die Details geht und etwa feststellen muss, dass der Front National bei dieser Wahl in 70% der französischen Departements an erster Stelle liegt, in über zwei Dutzend davon sogar die 30%-Marke überschritten hat - im 100 Kilometer nordöstlich von Paris gelegenen Departement Aisne sogar die 40%! Selbst in Regionen, die bislang vor der Le-Pen-Partei gefeit waren, wie der Südwesten Frankreichs rund um die Grosstadt Toulouse oder die Bretagne, liegen Marine Le Pens Kandidaten diesmal in zahlreichen Departements vorne.
Das flache Land, die tiefe Provinz Frankreichs haben bei dieser EU-Wahl gar zu einem guten Drittel für Marine Le Pen gestimmt. Letztlich haben die 12 Millionen Wähler aus der Region rund um Paris und eine Reihe von Grosstädten dafür gesorgt, dass es landesweit «nur» 25% wurden. Und gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass inzwischen gerade unter den 18- bis 35-jährigen Franzosen der Anteil derjenigen, die die extreme Rechte wählen, eklatant grösser geworden ist.
Präsident ratlos
Frankreichs neuer Premierminister nahm angesichts dessen noch am Wahlabend kein Blatt vor den Mund, sprach von einem sehr, sehr ernsten Moment, den Frankreich durchlebe, das Ergebnis sei mehr als nur eine neue Warnung an die amtierende Mehrheit, es sei ein Schock und ein Erdbeben, von dem sich alle politisch Verantwortlichen betroffen fühlen müssten.
Staatspräsident Hollande dagegen schwieg am Tag nach dem katatsrophalen Wahlergebniss beharrlich, machte wieder einmal seinen Hollande und zögerte bei der Frage, ob er zum Volk sprechen solle oder nicht. Letztlich tat er es dann, obwohl er dem Volk im Grunde nichts zu sagen hatte, ausser pathetisch wirkende Worte über Frankreichs Grösse und seine ewigen Werte sowie den seit 2 Jahren immer wieder vorgetragenen Anspruch, Europa auf mehr Wachstum und Arbeitsplätze neu ausrichten zu wollen - diesen Anspruch werde er beim ersten EU-Rat nach den Wahlen in Brüssel erneut vertreten. Die EU habe die Eurokrise überwunden, allerdings um den Preis einer rigiden Sparpolitik, die die Völker am Ende entmutigt habe.
Eine kurze Ansprache, mit der François Hollande aber nicht den Eindruck zerstreuen konnte, dass an der Spitze des französischen Staates eine gewisse Ratlosigkeit herrscht und der Präsident nach zwei Wahlschlappen und angesichts einer historisch niedrigen Wählerbasis nicht mehr über ausreichende Handlungsfähigkeit verfügt.
Frankreich, so sagte der alt gediente Aussenpolitiker und UMP Abgeordnete, Pierre Lellouche, ist seit Jahren wirtschaftlich abgefallen vor allem gegenüber Deutschland, nun fällt es auch noch politisch ab – die wahre Chefin Europas heisse nach dieser Wahl Angela Merkel, Präsident Hollande finde leider überhaupt kein Gehör mehr.
Regimekrise ?
Vereinzelt fiel nach dem Wahlergebnis vom Sonntag in Frankreich bereits das Wort von der «Regimekrise». In der Tat hat Staatspräsident Hollande so gut wie keine Möglichkeit mehr, auf diese erneute und deutliche Ablehnung durch die französischen Wähler zu reagieren. Es macht sich eine gewisse Hilflosigkeit breit – zumal François Hollande mit der Ernennung eines neuen Premierminister nach den verlorenen Kommunalwahlen vor 8 Wochen seine letzte Munition verschossen hat und Regierungschef Valls klarstellte, dass an eine Auflösung des Parlaments oder gar an den Rücktritt des Präsidenten nicht zu denken sei. Der Präsident, so Manuel Valls, habe ein Mandat für 5 Jahre, in der Nationalversammlung habe man eine Mehrheit und man verfüge über einen Fahrplan, einen Kurs, von dem man nicht abweichen werde.
2017
Währenddessen richten Marine Le Pen und ihre Partei, die seit gestern bei jeder Gelegenheit wiederholen, dass man nun die erste Partei des Landes sei, ihren Blick bereits auf die Präsidentschaftswahlen 2017. Nicht zufällig feierte der Front National in der Nacht nach seinem Wahlsieg in einem Pariser Lokal unweit des Präsidentenpalastes, das den Namen «Elysee Lounges» trägt.