Manchmal ist es merkwürdig nach Wahlen – vor allem nach reichlich komplizierten Wahlen mit einem ebenso komplizierten Wahlmodus und einem Wahlergebnis, das erst spät in der Nacht oder am nächsten Morgen wirklich Konturen annimmt - dann, wenn alle Schlagzeilen schon gedruckt und Kommentare schon geschrieben, gesprochen und gesendet sind.
Falscher Jubel
Nach diesen Departementswahlen am letzten Wochenende in knapp 2000 Wahlkreisen, verteilt auf 98 Departements, lautete der Tenor in sämtlichen französischen Medien: Nicolas Sarkozy und seine rechtsbürgerliche UMP Partei sind die grossen Gewinner dieses Urnengangs. Dazu kam die Unterzeile, die von allen, im In– und Ausland, brav nachgebetet wurde und die da hiess: Die rechtsextreme Nationale Front hat ihr Ziel verfehlt, erneut stärkste Partei Frankreichs zu werden. Titel und Untertitel sind aber im besten Fall halbwahr, im Grunde eigentlich falsch.
In der Nacht nach der Wahl konnte man noch denken: Wegen der Hektik und der mangelnden Distanz war es unmöglich, das Wahlergebnis in Ruhe zu analysieren. Doch wenn selbst am Ende des Tags nach der Wahl es aus allen Röhren immer noch so tönt, und wenn selbst die honorige Abendzeitung Le Monde nichts anderes schreibt, wird es langsam suspekt.
Bürgerliches Bündnis, keine Partei
Denn, auch wenn es einem leid tut, die rechtsextreme Front war auch in diesem ersten Durchgang der Departementswahlen landesweit die stärkste Partei. Die Betonung liegt auf Partei.
Denn die rechtsbürgerliche Formation von Ex Präsident Sarkozy, die UMP, ist nicht als Partei, nicht alleine, wie die Nationale Front, sondern als Parteienbündnis angetreten - in 80% der Wahlkreise hat sie sich mit der zentrumseliberalen UDI und der Mitte-Rechts Partei «Modem» von François Bayrou auf gemeinsame Listen geeinigt und auf diese Art 29,2% erreicht. Die Nationale Front alleine kam auf 25,2%.
UDI und Modem wiegen aber mit Sicherheit mehr als die 4% Differenz im Endergebnis zwischen Nationaler Front auf der einen und der Allianz UMP – UDI – Modem auf der anderen Seite.
Kein Zugewinn der Bürgerlichen
Nichts liegt einem ferner, als Frankreichs rechtsextremer Partei unter die Arme zu greifen. Aber wenn nun allerorts fälschlicherweise geschrieben, gesagt und gesendet wird, sie sei bei dieser Wahl nicht die stärkste Partei im Land geworden, und gleichzeitig das frisch geschaffene, bürgerliche Wahlbündnis als einzelne Partei hingestellt wird, heisst das doch schlicht, dass alle davon abgeleiteten Kommentare und Analysen am Tag danach auf einer falschen Grundlage zustande gekommen sind.
Dazu kommt: Das gesamte bürgerlich-konservative Lager hat mit rund 37% gegenüber denselben Wahlen vor vier Jahren nichts dazugewonnen und liegt mit dem linken Lager, das satte 12% eingebüsst hat, gleichauf. Mehr aber nicht. Wirklich ein grosser Sieg für Nicolas Sarkozy?
Ganz abgesehen davon, dass es völlig in den Sternen steht, ob das Wahlbündniss mit den beiden Zentrumsparteien von Dauer sein kann. Frankreichs Zentrum wird nicht lange bei der Stange bleiben, wenn der Ex- Präsident weitermacht, womit er schon wieder begonnen hat: dem hemmungslosen Wildern im Themenwald der extremen Rechten.
Keine Niederlage
Und noch ein zweiter Aspekt bei der allgemeinen Einschätzung des Wahlergebnisses der Nationalen Front ist abwegig und führt in die Irre: Weil Meinungsumfragen wochenlang der Partei von Marine Le Pen zwischen 29 und 32% vorhergesagt hatten, wird das tatsächliche Resultat des Front National von über 25% am letzten Sonntag plötzlich wie eine Niederlage kommentiert – die Dynamik für den Front National sei gestoppt, das Eregbnis kein Triumph – so und ähnlich lauteten die Kommentare.
Dabei haben die rechtsextremen Kandidaten mit landesweit 25,2% das Ergebnis der Europawahlen vom Mai 2014 noch einmal leicht verbessert, insgesamt 5,1 Millionen Wählerstimmen auf sich vereint – 400´000 mehr als bei den Europawahlen im Mai 2014 - und dies, obwohl in den beiden Grosstädten Paris und Lyon diesmal nicht gewählt wurde. Und dies sogar bei Departementswahlen, bei denen die Nationale Front in der Vergangenheit so gut wie nie eine Rolle gespielt hatte, jetzt aber fast überall mit völlig unbekannten und unerfahrenen Kandidaten angetreten war und trotzdem ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen konnte. Eine Niederlage sieht anders aus.
Verlust der Hochburgen
Zu einer Niederlage passt auch nicht, dass der Front National in 43 von 98 Departements nach dem ersten Durchgang an erster Stelle liegt, in der Mehrheit davon über 30% erzielt hat. Die Grossregion Paris ist plötzlich im Norden und Osten bis fast zur Landesgrenze und im Südosten fast nur noch von Departements umringt, in denen die Nationale Front stärkste politische Kraft geworden ist. Und das auch in Jahrzehnte alten Hochburgen der Linken, wie etwa im Departement Nord, mit der weltoffenen Metropole Lille, wo Mitterrands Premierminister Mauroy seine Hausmacht hatte und diese vor 10 Jahren an die PS-Spitzenpolitikerin, Martine Aubry weitergereicht hatte. Oder aber im Departement Nièvre, das seit der Nachkriegszeit von den Sozialisten dominiert wurde, Jahzehnte über die politische Wahlheimat von François Mitterrand war und später von seinem Premierminister Bereguevoy. Und das soll kein Erfolg sein für die Nationale Front?
Zumal auch noch die Strategie von Parteichefin Marine Le Pen, den Front National in Frankreich lokal und möglichst flächendeckend zu verankern, bei dieser Wahl perfekt aufgegangen ist. Die Partei hat in Landstrichen, wo sie bisher bestenfalls einstellige Ergebnisse verbuchen konnte, reihenweise plötzlich 20% und mehr Stimmen bekommen. Die Partei wird in Zunkunft in rund der Hälfte der Departementsräte Frankreichs Abgeordnete haben – bisher hatte sie landesweit nur einen einzigen! Diese Verankerung vor Ort ist in den Augen von Marine Le Pen eine unerlässliche Voraussetzung für den Weg an die Macht, und sie hat diese Voraussetzung geschaffen.
An ihrem Erfolg am letzten Sonntag gibt es leider nichts zu rütteln oder klein zu reden – auch wenn das Gros der französischen Kommentatoren das nicht wirklich wahrhaben wollte.