Die Unterzeichner waren nicht nur Hamas und die PLO, sondern ingesamt dreizehn verschiedene palästinensische Gruppen. Die meisten der dreizehn wurden bisher von der Aussenwelt als "Extremisten" eingestuft. Um sie auch in den Einheitsplan einzubinden, wurde ihnen zugestanden, dass alle Vorbehalte, die sie vor der Unterschrift vorgebracht hatten, "berücksichtigt werden sollen".
Der volle Text des Übereinkommens wurde noch nicht veröffentlicht. Doch einige seiner Grundzüge sind bereits bekannt. Zunächst soll eine Übergangsregierung aus Technokraten gebildet werden, die als Hauptaufgabe hat, palästinensische Wahlen innert Jahresfrist vorzubereiten. In dieser Übergangszeit sollen Hamas in Ghaza und die PLO im Westjordangebiet weiterhin die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen.
Freilassung "einiger" Gefangener
Ausschliesslich die PLO soll die Friedensverhandlungen mit Israel und den äusseren vermittelnden Staaten, etwa dem "Quartett" weiterführen - sofern es überhaupt zu weiteren Friedensverhandlungen kommen sollte. Auch die geplante Kampagne zur Anerkennung eines palästinensischen Staates vor der UNO wird die PLO einleiten. Es bestehe keine Notwendigkeit für Hamas, Israel anzuerkennen, so wurde erklärt, da Hamas bis zu den Wahlen nicht an der Regierung sein werde. Allerdings ist zu erwarten, dass Hamas bei der Ernennung der Technokraten für die Übergangsregierung ihr Wort mitsprechen wird.
Der Vertrag sieht weiter vor, dass ein Hoher Sicherheitsrat gebildet wird, der über die zukünftige Zusammenschliessung der Sicherheitsorganismen von Hamas und der PLO zu einer einzigen Sicherheitsbehörde beraten und entscheiden soll. Auch ein Hohes Wahltribunal für die vorgesehenen Wahlen soll eingerichtet werden. "Einige" Gefangene auf beiden Seiten seien frei zu lassen.
Entscheidende Rolle der ägyptischen Vermittlung
Das Abkommen ist ein erster Erfolg des neuen ägyptischen Aussenministers Nabil Arabi und seiner Mitarbeiter. Unter Mubarak wäre es vermutlich nicht zustande gekommen. Jedenfalls wurde zu Mubaraks Zeiten Monate lang ohne Resultate verhandelt. Heute wird in Ägypten die Meinung umgeäussert, Mubarak habe wohl das Zustandekommen einer palästinensischen Übereinkunft absichtlich verhindert.
DenEinwand des israelischen Ministerpräsidenten, dass man nicht Frieden schliessen könne mit einem Staat, der einen nicht anerkenne, wird jeder Araber mit dem Hinweis beantworten, man mache Frieden mit seinen Feinden, nicht mit in all ihren Ansprüchen bereits anerkannten Freunden. Seine Aussage, die Palästinenser hätten zu wählen zwischen Frieden mit Israel und Zusammenarbeit mit Hamas, klingt in arabischen Ohren wie zynischer Spott, weil der Frieden mit Israel nicht zustande gekommen ist und nicht zustande kommen kann, solange Israel ihn dadurch boykottiert, dass es mit seiner Besiedlung der besetzten Westjordanlandes unter dem Schutz und mit aktiver Hilfe der israelischen Streitkräfte unbeirrbar fortfährt. Die Araber würden entgegnen: "Man will uns zwingen, zwischen dem Zusammenschluss aller Palästinenser und einem Frieden zu wählen, der schon lange gestorben ist, weil die israelische Regierung ihn systematisch erstickt."
Beide Regime standen vor einem Nichts
Die neue Dynamik, die es nach mehr als vier Jahren der Spaltung erlaubt hat, einen Zusammenschluss – so schwierig er noch zu werden verspricht – ins Auge zu fassen und zu beginnen, geht letzten Endes auf die Erkenntnis zurück,dass die die beiden entgegengesetzten Wege in die Zukunft, welche die PLO einerseits und Hamas auf der Gegenseite vorgeschlagen hatten, beide ihr Ziel nicht erreichten und nicht zu erreichen vermögen: Die PLO ist auf dem Verhandlungsweg seit nun fast achtzehn Jahren nicht zu einem palästinensischen Staat gekommen und muss sich eingestehen, dass sie auch nie dazu kommen wird, solange Israel gestützt auf Amerika dies zu verhindern sucht.
Hamas wiederum ist nie über seine prekäre Herrschaft über den von Israel umzingelten und weitgehend ausgehungerten Gazastreifen hinausgelangt und musste zugleich die Zerschlagung der Gebäude vieler Ghazioten sowie die Tötung von wohl über 1000 von ihnen durch die israelischen Streitkräfte in Kauf nehmen, ohne sich wirklich zur Wehr setzen zu können. Beide Faktionen gelangten unter zunehmenden Druck durch die palästinensische Bevölkerung seit dem Beginn der "arabischen Revolution" in den Nachbarstaaten, weil die dortigen Demonstrationen die Palästinenser dazu anregten, ihrerseits für ihr Hauptanliegen auf die Strassen zu gehen : die Wiedervereinigung des palästinensischen Volkes.
Die Fernziele eines vereinten Palästinas
Ob dieses wiedervereinigte Volk – falls die Versöhnung gelingen sollte – dann auch eine Chance haben wird, sein von Israel teils besetztes teils umzingeltes und in allen Fällen militärisch dominiertes Land zurückzuerlangen, ist natürlich höchst ungewiss. Die möglicherweise in Zukunft wiedervereinigte palästinensische Regierung wird neue Wege suchen müssen, um dies zu erreichen. Zur Diskussion steht heute eine Art von gewaltlosem Widerstand gegen die Besetzung gepaart mit dem Versuch, genügend Sympathie in der Aussenwelt bei allen Staaten der Uno zu finden, so dass diese Druck auf Israel ausüben. Ein Teil dieser sich abzeichnenden Strategie ist der Plan, im kommenden September die Anerkennung der Uno für einen palästinensischen Staat ausserhalb der „grünen Linie“ des Waffenstillstandes von 1949 zu erklären und die Anerkennung für diesen von Israel besetzten oder, im Falle von Gaza umzingelten, Staat bei möglichst vielen Uno-Mitgliedern anzustreben.
Das Vorbild des Freiheitskampfes von Südafrika (1949 bis 1990) ist massgebend für derartige Pläne, ungeachtet der vielen Unterschiede, die zwischen der damaligen Lage in Südafrika und der heutigen in den Besetzten Gebieten bestehen. Der wichtigste dieser Unterschiede dürfte sein, dass in Südafrika das Verhältnis von Schwarzen zu Weissen etwa 10 zu 1 war, während es im Falle der Palästinenser und Israeli nahe bei 1 zu 1 liegt, sogar wenn man alle jene speziellen Gruppiernungen von Palästinensern einbezieht, die durch die israelische Politik entstanden sind. Es gibt nämlich die Palästinenser in Israel, jene in Ostjerusalem, jene in den besetzten transjordanischen Gebieten, die in Gaza und schliesslich noch vier Millionen gewaltsam Vertriebene, meist staatenlose Palästinenser mit ihren Nachfahren in aller Welt.