Anfang und Ende gehen in einem Kreis ineinander über. Da passt es, dass Andreas Homoki den «Ring des Nibelungen» zum ersten Mal inszeniert, um damit seine Direktionszeit in Zürich zu beenden.
Im Opernbetrieb wird langfristig geplant. Da werden Stars schon Jahre vor dem Termin für Rollen engagiert, die sie erst viel später singen werden. So weiss beispielsweise Startenor Klaus Florian Vogt heute schon, dass er am 5. November 2023 als Siegfried in Richard Wagners «Götterdämmerung» auf der Bühne des Zürcher Opernhauses stehen wird. Doch vor diesem fulminanten Abschluss des «Ring des Nibelungen» stehen noch drei weitere Werke auf dem Spielplan. Zunächst einmal der Auftakt: «Rheingold», dann die «Walküre» und «Siegfried». Abschliessend der gesamte Zyklus in der Saison 2024/25.
Mit diesem «Ring» beschliesst Andreas Homoki seine Direktionszeit am Zürcher Opernhaus und erfüllt sich gleichzeitig selbst einen Wunsch. «Es hat mehrere Anläufe dafür gebraucht», sagt Homoki. «Eigentlich hatten wir schon einen Ring-Zyklus geplant, noch bevor ich überhaupt in Zürich angefangen hatte. Das wäre im dritten oder vierten Jahr meiner Intendanz gewesen. Ich habe aber wieder davon Abstand genommen, weil sonst schon zu Beginn meiner Tätigkeit so vieles verplant gewesen wäre.»
Als Homoki sich allerdings entschlossen hatte, 2025 das Opernhaus zu verlassen, sah die Situation anders aus. «Das war so vor fünf oder sechs Jahren und ich dachte, jetzt machen wir für meine letzten beiden Spielzeiten noch einmal einen besonderen Effort. Wir bündeln dafür alle Kräfte. Ein neuer Generalmusikdirektor ist mit Gianandrea Noseda auch im Haus, und wir beide machen den ‘Ring’ zum ersten Mal. Die Nibelungen sind also noch einmal ein schönes Projekt, auf das sich alle freuen. Ausserdem hat es für mich – und das Opernhaus! – den Vorteil, hier zuhause zu sein, wir kennen uns alle und so kann man ein grosses Projekt ganz anders aufbauen, als wenn man an einem fremden Haus als Gast antritt.»
Bis zum Ende der Saison 2023 folgen auf «Rheingold» die «Walküre», «Siegfried» und die «Götterdämmerung». Insgesamt 16 Stunden Musik und Drama. Und für Andreas Homoki stimmen jetzt die Bedingungen. «Ich wollte keinen ‘Ring’, der schon von vornherein kompromissbehaftet ist, denn es geht sowieso – toi toi toi! – immer irgendetwas schief.»
Von Anfang an begeistert vom «Ring»
Der «Ring» begleitet Andreas Homoki also schon längere Zeit. Ob er überhaupt noch wisse, wann er ihn zum ersten Mal gehört hat, frage ich. «Das erste Mal habe ich ihn gar nicht gesehen, sondern gelesen», sagt er spontan. «Ich habe die Partitur gelesen. Es war die erste Oper, die ich nicht durch Opernbesuch zur Kenntnis genommen habe, sondern durch Studieren. Es war schon damals ein toller Eindruck!» Während seiner gesamten Theaterzeit hat Homoki den «Ring» übrigens noch nie als vollständigen Zyklus gesehen. «Allerdings habe ich bei ‘Rheingold’ bereits früher schon einmal assistiert, das war in Köln.»
Dass Homoki nun den «Ring» in Zürich macht, hat auch für ihn einen besonderen Reiz. Denn hier hat Wagner das Werk geschrieben und auch aufgeführt. Hier ist es entstanden. Hier liegen die Wurzeln. Wird dies auch Homokis Inszenierung beeinflussen? «Also konkret wird man es nicht spüren. Statt einer Deutung versuche ich vielmehr, sehr genau auf den Text zurückzugehen, der Struktur zu folgen, die Figuren, die Inhalte und die Situation ernst zu nehmen, ebenso die theatralischen Einfälle und das Spielerische, um daraus die Deutung entstehen zu lassen. Gerade hier im Zürcher Opernhaus, das ein intimes Theater ist, diese grosse Oper in einer Direktheit erlebbar machen, die speziell ist … ich finde, das passt zur Tatsache, dass der ‘Ring’ hier entstanden ist. Die Villa Wesendonck stellen wir hier jedenfalls nicht auf die Bühne …!»
Vom Grundübel der menschlichen Natur
Der Text ist allerdings in einer wagnerschen Sprache geschrieben, die von etlichen Merkwürdigkeiten und archaischen Wörtern geprägt und nicht für jedermann verständlich ist. Nicht-Wagnerianern kann sie geradezu monströs erscheinen.
«Hahaha … ich fand’s gar nicht so schlimm», wehrt Homoki den Einwand ab. «Wagner wollte ein Stück schreiben über das Grundübel der menschlichen Natur und der menschlichen Zivilisation: die Naturzerstörung, das Streben nach Macht, den Materialismus und das Gold, das seine Funktion zum Negativen verändert, wenn man die Liebe aufgibt. Gold an sich ist wertlos, aber es macht Freude, wenn es im Licht glänzt. Erst durch den Liebesschwur entfaltet Gold seine Macht. Für diese Geschichte hat Wagner sich durch die germanische Mythologie inspirieren lassen und dafür musste er eine Sprache erfinden, die diese mittelhochdeutsche Art, also diese Anmutung adaptiert. Das ist schon ein schöner Text und klug.»
Trotzdem sei die Frage erlaubt, ob die Nibelungengeschichte durch Wagners höchst eigenwillige Sprache nicht sogar ungewollt ins Lächerliche gezogen wird. «Bei mir nicht!,» sagt Homoki mit Überzeugung. «Was nicht heisst, dass nicht vieles lustig ist im ‘Rheingold’. Da steckt viel Humor drin. Viele Fans huldigen Wagner und heben den grossen Meister auf einen Sockel.»
Allerdings kommt auch dies nicht ganz von ungefähr, da Wagner selbst auch kräftig für die eigene Publicity sorgte. «Klar, er wusste schon um seine Wichtigkeit», sagt Homoki. «Er war ja auch ein sehr begabter Künstler, aber er war auch lustig und bodenständig und konnte viel Quatsch machen. Er war sicher ein ganz witziger und inspirierender Mann.»
Ein Lebensabschnitt schliesst sich
Nach dem «Ring des Nibelungen» wird Andreas Homoki seinen Intendantenposten also räumen. Weiss er schon, was er vermissen wird, wenn er in Zürich die Tür endgültig hinter sich schliesst? «Die Menschen! Die Menschen, mit denen man arbeitet. Es war eine schöne Aufgabe, aber ich freue mich auch darauf, nicht mehr so viel Verantwortung tragen zu müssen, wie ich sie hier habe. Es ist ein Lebensabschnitt, der dann vorbei ist. Aber er wäre auch vorbei, wenn ich nicht gehen würde. Es war ein Prozess des Aufbauens, den man gemacht hat und es ist gut, wenn es endet, weil dann etwas Neues kommen muss. In der Schweiz fühle ich mich sehr wohl, aber irgendwann werde ich nach Deutschland zurückkehren und dann werde ich die Schweiz auf jeden Fall vermissen. Bestimmt! 13 Jahre, das ist schon ein grosses Stück des Lebens.»
Opernhaus Zürich: «Rheingold» von Richard Wagner
Premiere: 30. April 2022