Ein hochkarätiges Barock-Ensemble auf der Bühne und im Orchester spielt Giovanni Battista Pergolesis «Olympiade». Im Hintergrund auf der Leinwand sind alte Menschen zu sehen. Der Regisseur David Marton spricht von einem musikalisch-filmischen Oratorium.
Was wird denn das nun, frage ich David Marton. Eine Operninszenierung? Eine Performance? Ein Jungfilmer-Experiment? Oder gar ein Sport-Event? Der Anlass nennt sich schliesslich «Olimpiade», und sowas fand doch gerade in Peking statt. David Marton lacht und sagt: «Ich würde es als ‘musikalisch-filmisches Oratorium’ bezeichnen.»
David Marton ist Regisseur. Kein eigentlicher Opernregisseur, sondern einer, der sich mit Musiktheater beschäftigt, wie er selbst erklärt. In Opernhäusern war er tätig, in Schauspielhäusern, «aber immer mit Musik», so Marton. Wir treffen uns im Zürcher Opernhaus. David Marton kann hier endlich eine Regie-Arbeit zu Ende bringen, die er vor rund zwei Jahren begonnen hat und die wegen Corona diverse Verschiebungen erfahren hat.
Lockdown als Quelle der Inspiration
Diese «Olympiade», die Marton nun auf die Bühne bringt, gilt als Meisterwerk des neapolitanischen Barocks. Die Musik stammt von Giovanni Battista Pergolesi. Als Marton mit der Arbeit angefangen hatte, ahnte er nicht, wie sehr sich alles verändern würde. Dann kam der Lockdown. Das Opernhaus wurde geschlossen, die Premiere gestrichen.
David Marton kehrte nach Berlin zurück und zerbrach sich den Kopf, wie es nun weitergehen sollte. «Die Brüchigkeit jener Zeit vor anderthalb Jahren war etwas Besonderes. Es war zugleich negativ und positiv. Es wirkte sich sehr negativ auf das Gewohnte aus, gleichzeitig öffnete es Freiräume. Und diese Freiräume, sowohl gedanklich als auch zeitlich, waren sehr wertvoll. Man sah plötzlich, wie man ohne weiteres technische und künstlerische Tabugrenzen überwinden kann. Daraus sind ganz neue Formen entstanden. In diesem Sinne habe ich diese Zeit als wertvoll und inspirierend empfunden.»
Neuer Blick aufs Alter
Pergolesis früher Tod – er starb schon mit 26 Jahren – gab Marton den Anstoss. «Pergolesi hat in den wenigen Jahren Unglaubliches geschaffen, ein Werk von tiefer musikalischer Vielfalt und Lebenskraft. Ich hatte das Gefühl, es könnte interessant sein, alten Menschen diese Musik zu präsentieren. Ich dachte, wenn man diese Musik mit filmischen Aufnahmen kombiniert, könnte es unsere Wahrnehmung von alten Menschen verändern. Ich wollte zeigen, dass alte Menschen gealterte junge Menschen sind. Und ich möchte zeigen, welche Kraft, welche Lebenskraft, in dieser Musik steckt und wie sie uns hilft, einen anderen Blick auf das Thema Alter zu bekommen.»
«Ich wollte zeigen, dass alte Menschen gealterte junge Menschen sind.»
Seine Mitwirkenden hat David Marton in einem Altenheim in Rümlang gefunden. Rümlang? «Ja, der Sänger Christian J. Jenny, ein alter Freund, mit dem ich in Berlin Musik studiert habe, kennt den Leiter des Heims, der sofort interessiert war.» Interessiert waren zwar nicht alle, aber doch etliche Bewohner und sie erwiesen sich als durchaus experimentierfreudig. Mit seiner Kamerafrau machte David Marton die Aufnahmen und schnitt sie zu einem Film zusammen, der nun im Opernhaus gezeigt wird, zusammen mit der Musik, die selbstverständlich live und unter der Leitung des Barockspezialisten Ottavio Dantone gespielt wird, und den Arien, die auf der Bühne gesungen werden.
Aktuelle Bezüge zu Corona oder dem inzwischen ausgebrochenen Krieg um die Ukraine hat Marton nicht eingebaut. «Ich finde es nicht angebracht, auf Anhieb in der Kunst auf solche dramatischen Ereignisse zu verweisen, weil ich denke, dass die Zeit erst einmal nach Vernunft ruft und nach dem Versuch, einen klaren Blick zu behalten», sagt er.
Die unverhofft zu Laiendarstellern avancierten Heimbewohner haben den Film inzwischen noch vor der Premiere gesehen. «Ich glaube, sie waren sehr angetan», sagt Marton. «Aber natürlich ist es gar nicht so einfach, sich selbst auf der Leinwand zu sehen und zu hören. Trotz allem aber fühlten sie sich nicht vorgeführt, nicht für irgendetwas instrumentalisiert. Und das ist mir sehr wichtig.»
David Marton, der als Sohn eines Malers und einer Literatur-Übersetzerin in Budapest geboren wurde, lebt in Berlin. Er liess sich als Pianist ausbilden und studierte Regie. Erste praktische Theater-Erfahrungen machte er bei Christoph Marthaler an der Berliner Volksbühne. «Da war ich vor langer Zeit bei ihm Pianist», erzählt er, «und ich war auf der Suche nach Möglichkeiten, die Rolle der Musik im Theater anders zu definieren, also nicht nur als Begleitung oder um eine bestimmte Atmosphäre herzustellen. Musik sollte formgebend sein. Ich kannte damals Marthalers Stil noch nicht, aber es war wirklich ein Aha-Effekt für mich. Wie er das Visuelle aus der Musik schöpft oder wie er es musikalisiert, das ist einzigartig. Er und seine gesamte Truppe in Berlin hatten so eine besondere Dynamik, eine besondere Art miteinander umzugehen und so einen besonderen Humor. Es war toll, plötzlich da hinein zu geraten.»
Akut soziales Thema
Seither war Marton mehrmals in der Schweiz. «Mein allererstes Gastspiel war 2005 am Theaterspektakel in der Roten Fabrik, später unter anderem mit Christoph Homberger und einer Rheingold-Produktion des Schauspielhauses Dresden, oder mit Don Giovanni in der Gessneralle. Also, in den letzten Jahren war ich oft hier.»
Und nun also mit Pergolesis «Olimpiade» im Opernhaus. «Ich glaube, die Zeit der Dreharbeiten mit den alten Menschen, wird eine der schönsten in meinem Beruf bleiben», sagt er rückblickend. Die Pandemie habe ja viele Livestreams und filmische Opernannäherungen hervorgebracht, was er durchaus spannend finde, sagt er. Aber dass sich das Opernhaus Zürich für ein Projekt entschieden habe, bei dem es sich um ein sehr akutes, soziales Thema handelt und es nicht darum geht, Stars in den Vordergrund zu stellen, das findet er aussergewöhnlich.
«Die Gesangsstars lassen den Gesichtern dieser absolut nicht bekannten Menschen den Vortritt.»
«Selbstverständlich stehen bei uns Gesangsstars der Barockszene auf der Bühne», betont er, «aber sie lassen den Gesichtern dieser absolut nicht bekannten alten Menschen den Vortritt. Ich finde es grossartig, dass es möglich ist, sich mit einem Opernhaus im Rücken wirklich unverfälscht mit der Jetzt-Zeit zu beschäftigen. Das fühlt sich ganz anders an, als darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln man einen alten Stoff aktualisieren kann.»
Opernhaus Zürich: Giovanni Battista Pergolesi, «L’Olimpiade»
Premiere: 12. März 2022
Foto David Marton: © Opéra de Lyon