Reichlich ungewöhnlich die Depesche des Elysée-Palastes vom Montagabend. Die wöchentliche Kabinettsitzung von Präsident und Regierung werde aus persönlichen Gründen Macrons auf Dienstag vorverlegt. Bei genauerem Hinsehen wurde schnell klar: Der Präsident hatte seinen offiziellen Terminkalender leergeräumt und sich 5 Tage Ruhe verordnet.
«Ich bin groggy», soll er letztes Wochenende gegenüber einem Berater geäussert haben. Eineinhalb Jahre an der Macht und in der Tretmühle des Elysée-Palastes reichen aus, damit auch ein 40-Jähriger in Bestform von der Realität eingeholt wird. Selbst für einen Jupiter war der Rhythmus der letzten 18 Monate einfach zu viel.
Drei Stunden Schlaf
Dabei hatte Macrons Kommunikationsabteilung bislang in schöner Regelmässigkeit und fast genüsslich die Arbeitswut des Präsidenten und seinen geringen Schlafbedarf in den Vordergrund gerückt. Bis morgens um 3 Uhr bombardiere Macron Mitarbeiter, Berater und Minister mit SMS- Botschaften, bevor er um 7 Uhr 30 die nächsten versendet, hiess es immer wieder. Auch seine engsten Mitarbeiter trauen sich angeblich nicht, vor Mitternacht nach Hause zu gehen. Irgendwann rächt sich das offensichtlich.
Nun also fünf Tage Pause an einem geheim gehaltenen Ort, der wenige Stunden später natürlich schon nicht mehr geheim war: ein 5-Sterne-Hotel in der normannischen Hafenstadt Honfleur, welches Ende des 19. Jahrhunderts von Monet und anderen Impressionisten frequentiert worden war.
Prompt titelte der «Canard Enchainé» am Mittwoch mit dem Wortspiel «Après Jupiter, le Roi-Sommeil». Und die Klatschpresse besteht darauf, dass Ehefrau Brigitte den Präsidenten zu dieser Ruhepause gezwungen hat.
Thema Waffenexport bringt ihn auf die Palme
In der Tat stand dem Präsidenten in den letzten Monaten immer öfter die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Vor allem aber zeigte er sich zusehends gereizter und dünnhäutiger. Besonders deutlich wurde dies dann letzte Woche im Zusammenhang mit dem Mord an dem saudischen Journalisten und Regimekritiker Djamal Khashoggi in Istanbul in den Räumen des saudi-arabischen Konsulats.
Der Präsident besuchte am 24. Oktober vor den Toren von Paris die Messe «Euronaval», auf der die letzten technologischen Neuigkeiten für Kriegsschiffe ausgestellt werden. Eine Journalistin wagte es während des Rundgangs, eine Frage zu den französischen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien zu stellen. Sie tat dies zwei Tage nachdem die deutsche Bundeskanzlerin Europa dazu aufgerufen hatte, Waffenverkäufe an den Golfstaat einzustellen. Seit einem Jahrzehnt liefert Frankreich aber jährlich Waffen an Saudi-Arabien im Wert von durchschnittlich 1,2 Milliarden Euro. Riad ist nach Ägypten der zweitwichtigste Abnehmer von französischem Kriegsgerät. Seit Monaten winden sich Frankreichs Präsident, sein Aussenminister und seine Verteidigungsministerin, wenn es um diese Waffenexporte nach Saudi-Arabien geht. Präsident Macron fuhr bei der Messe für Kriegsschiffe jetzt sogar regelrecht aus der Haut auf die Frage, ob Frankreich weiter Waffen an Saudi-Arabien zu liefern gedenke. «Ich lasse mir meine Agenda nicht von den Medien diktieren, ob Ihnen das passt oder nicht», raunzte er eine Journalistin an. «Ich muss nicht jedes Mal reagieren, wenn ein anderer Regierungschef irgendetwas sagt. Ich werde ihnen also nicht antworten. Ausserdem ist das hier ganz und gar nicht das Thema. Wenn die Themen, um die es hier geht, Sie nicht interessieren, dann bleiben sie eben zu Hause. Es ist hier keine Pressekonferenz, um auf Äusserungen der deutschen Kanzlerin zu reagieren.»
Unfreundlichkeiten
Noch dicker kam es am Tag darauf, als Macron nach einem Treffen mit dem slowakischen Regierungschef in Bratislava eine Pressekonferenz gab. Selbstredend wurde auch dort wieder die Frage nach den französischen Waffenlieferungen gestellt. «Es ist reine Demagogie zu sagen, man muss damit aufhören, Waffen zu liefern», polterte der Präsident. «Das hat überhaupt nichts mit der Khashoggi-Affäre zu tun. Wenn man Sanktionen ergreifen will, muss man auch damit aufhören, Autos zu verkaufen.»
Der letzte Satz ist eine aus dem Munde Macrons ungewöhnliche Unfreundlichkeit gegenüber dem Partner Deutschland. Auf dem Vierer-Gipfel zu Syrien in Istanbul mit Erdogan und Putin musste man tags darauf sogar ein kurzes Vieraugengespräch zwischen Macron und Merkel ansetzen, um den Eindruck von groben Unstimmigkeiten zwischen beiden auszulöschen.
Genervt und unverblümt
Die Liste von scharfen, fast zornigen oder reichlich überheblichen Repliken des Präsidenten gegenüber Journalisten und vor allem auch gegenüber Bürgern ist lang. Einer Krankenschwester, die sich ihm gegenüber vor laufenden Kameras beschwert, dass in Frankreichs Krankenhäusern Personal und Mittel zusammengestrichen wurden und die Situation nicht mehr tragbar sei, warf Macron den Satz an den Kopf: «Sie erzählen hier Dummheiten.»
Einem arbeitslosen Gärtner, der klagte, er könne keine Arbeit finden, entgegnete der Präsident: «Das ist unmöglich, Sie müssen es nur wollen. Ich geh mit ihnen raus auf die andere Strassenseite und in 5 Minuten haben sie einen Job.»
Macron geht auf die jährliche Pariser Landwirtschaftsmesse, wird an einem Stand ausgepfiffen, kommt wieder zurück und erteilt den aufgebrachten Bauern eine Lektion über gutes Benehmen .
Bei den Gedenkfeiern zum 18. Juni 1940, dem Tag als De Gaulle einst zum Widerstand aufrief, gönnt sich der Präsident ein Bad in der Menge. In bester Stimmung lässt er ein Selfie nach dem anderen zu, bis ihm ein 14-Jähriger zuruft : «He, Manu, geht’s dir gut?» Der Präsident versteinert und knöpft sich den Jugendlichen vor: «Du verhältst dich gefälligst, wie es sich gehört. Du kannst den Dummen spielen, aber hier bist du bei einer offiziellen Zeremonie, hörst die Marseillaise und das Partisanenlied. Du nennst mich Herr Präsident der Republik oder Monsieur. Falls du die Revolution machen willst, lern erst mal was, um ein Diplom zu bekommen und dich selbst zu ernähren.»
Wahnsinnig viel Geld
Bevor in diesem Herbst ein Plan gegen die Armut im Land vorgestellt wurde – dessen Präsentation wegen dem Einzug der französischen Fussballnationalmannschaft ins WM-Finale in Russland von Juli auf September verschoben worden war – sass der Präsident in Hemdsärmeln noch mal mit seinen engsten Beratern nachts im Elysée zusammen. Der Pressedienst des Präsidentenpalastes filmte diese Sitzung und stellte das Video anschliessend ins Netz.
«Was wir heute an Sozialausgaben haben, kostet ja ein wahnsinniges Geld», klagte der junge Präsident unter dem Goldstuck des Elysée-Palastes. Wer unter den 9 Millionen Armen in Frankreich diesen Satz und die Art und Weise, wie er gesagt wurde, mitbekommen hat, dürfte sich die Augen gerieben haben.
Und reichlich verdutzt, ja brüskiert zeigten sich jüngst auch einige Rentnerinnen, die am Rande von Macrons Besuch auf dem Grab von General De Gaulle über ihr geringes Ruhegeld klagten und darüber, dass Macron es auch noch mit einer zusätzlichen Abgabe belegt hat. Macrons Antwort: «Man ist sich nicht bewusst, welches Glück wir haben, in diesem Land zu leben. Und wenn man sich nicht ständig beklagen würde, stünde das Land noch besser da.»
Kaum positive Nachrichten
Macron ist ein genervter und gereizter Präsident, der nach 18 Monaten an der Macht zwar eine ganze Reihe von Reformen vorweisen kann, welche für den Bürger bislang aber so gut wie keine spürbaren und vor allem positiven Auswirkungen hatten. Die geringe Kaufkraft ist nicht gestiegen, die Arbeitslosigkeit praktisch nicht zurückgegangen, ebenso wenig wie die Gewalt in den Vorstädten. Das Wirtschaftswachstum ist weiterhin minimal, das Aushandelsdefizit nach wie vor riesig.
Und dann ist da Macrons Massnahme, angeblich aus ökologischen Gründen, die Steuern auf Dieselkraftstoff auf einen Schlag kräftig zu erhöhen, was ganz besonders die Menschen in der französischen Provinz auf die Palme bringt. Hunderttausende, ja Millionen von gering Verdienenden sind dort, sofern sie überhaupt Arbeit haben, absolut auf ein Auto angewiesen, welches häufig ein 15 bis 25 Jahre alter Diesel ist. Der Preis für einen Liter dieser Benzinsorte ist seit Jahresbeginn um 20 Prozent gestiegen. Bürgerinitiativen haben angekündigt, am 17. November das Land lahm legen zu wollen.
Kampf dem Nationalismus
Bevor Präsident Macron sich jetzt ein paar Tage Erholung gönnte, hatte er der auflagenstärksten Tageszeitung Frankreichs, «Ouest France», aber noch schnell ein Interview gegeben, in dem er – schon mit Blick auf den Europawahlkampf der nächsten Monate – konsequent noch einmal seine Position zu den derzeitigen Entwicklungen in der EU in Stein gemeisselt hat. Macron hatte ja bereits vor mehreren Wochen den Fehdehandschuh, den ihm die Herren Salvini und Orban hingeworfen hatten, mit sehr deutlichen Worten aufgenommen: «Ja, ich bin ihr Gegner, denn ich bekämpfe den Nationalismus.» Im Ouest-France- Interview sagte er nun: «In einem durch Ängste, Nationalismus und die Folgen der Wirtschaftskrise gespaltenen Europa sieht man systematisch all das wieder heraufziehen, wodurch das Leben Europas zwischen dem Ende des 1. Weltkriegs und der Wirtschaftskrise 1929 geprägt war.» Europa stehe vor der Gefahr, von der nationalistischen Pest zerlegt und von anderen Mächten wie den USA, China, Russland und der internationalen Finanzwelt herumgeschubst zu werden.
100 Jahre Ende 1. Weltkrieg
Deutliche Worte, bevor sich Präsident Macron im Vorfeld des 100. Jahrestags des Endes des 1. Weltkriegs am 11. November 1918 ab diesem Sonntagabend auf eine Mammuth-Tour durch Ost- und Nordfrankreich begeben wird. Fast eine Woche lang verlässt der Präsident den Elysée-Palast für eine Tour de France entlang der Schlachtfelder des ersten Weltkriegs durch 17 Städte und 11 Departements. Ein Parcours, der eine Mischung sein wird aus Gedenkzeremonien und Besuchen in Betrieben, sozialen Einrichtungen und bei Bürgerinitiativen in der tiefen Provinz, welche sich vom umtriebigen, urbanen und weltläufigen Staatspräsidenten immer stärker vernachlässigt fühlt.
Eine aussergewöhnliche Reise, die am 11. November mit einer Rede Macrons vor dem Pariser Triumphbogen in Anwesenheit von rund 60 Staats- und Regierungschef aus aller Welt und der Eröfffnung des 1. Pariser Friedensforums im Kulturpark La Villette enden wird. Auch dieses Friedensforum, mit privaten Mitteln und Stiftungsgeldern finanziert, geht auf eine Initiative des französischen Präsidenten zurück und soll künftig alljährlich an unterschiedlichen Orten des Globus stattfinden. Ein Versuch zu zeigen, dass die Welt nur gemeinsam regiert werden kann, Probleme nur gemeinsam gelöst werden können und der Gedanke der Multilateralität trotz der allerorts aufkeimenden Nationalismen nicht gestorben ist.
Die ewig Gestrigen
Ein Erinnern an das Gemetzel vor 100 Jahren, welches in Frankreich bis heute immer noch als «La Grande Guerre» bezeichnet wird, mit möglichst wenig militärischem Pomp und als Symbol des Friedens – so will das Elysée die Gedenkveranstaltungen an diesem 11. November und in der Woche davor verstanden wissen.
Prompt lancierten gewisse Kreise in der französischen Armee sowie die konservative und ultra-rechte Presse die nächste Polemik: Frieden schön und gut, aber dem militärischen Sieg Frankreichs und der Alliierten gegen die Deutschen werde dabei nicht genügend Bedeutung beigemessen.