Ein Wahlkampf hat kaum stattgefunden, der Terror hat ihn ausgesetzt bis zum Beginn dieser letzten Woche vor dem ersten Wahlgang. Der Schlusspurt, den die Kandidaten und Parteigrössen in diesen letzten Tagen hinlegten, hatt etwas Unwirkliches – Wahlkampf um die Macht in den 13 neu geschaffenen französischen Regionen erscheint angesichts von Terror und einem Land im Ausnahmezustand fast unanständig.
Demagogische Mottenkiste
Zumal eine Partei in diesen tragischen französischen Wochen eigentlich gar keinen Wahlkampf mehr zu machen braucht: die Nationale Front. Die europäische Flüchtlingskrise – auch wenn de facto im Vergleich zu Deutschland kaum Flüchtlinge nach Frankreich kommen – und die Terroranschläge des 13. November in Paris und Saint Denis haben der rechtsextremen Partei in den letzten Monaten ganz von alleine in die Hände gespielt. Trotzdem tönte die Parteivorsitzende Marine Le Pen bei einem ihrer letzten Wahlkampfauftritte mit Worten wie:
«Wenn wir es nicht schaffen, wird der islamistische Totalitarismus an die Macht kommen, die Scharia wird an die Stelle unserer Verfassung, der islamistische Radikalismus an die Stelle unserer Gesetze treten und das Tragen der Burka für alle Frauen verpflichtend sein.»
6 von 13 Regionen
So tief hätte Marine, wie sie von Millionen Franzosen mittlerweile vertraulich genannt wird, gar nicht in die demagogische Mottenkiste greifen müssen.
Nach letzten Meinungsumfragen wird die Nationale Front am Sonntag Abend in 6 von 13 Regionen mit über 30 Prozent an erster Stelle liegen.
In der Sechsmillionen-Einwohnerregion Nord – Pas de Calais – Picardie mit der nordfranzösischen Metropole Lille und den Städten Boulogne, Dünkirchen, Calais, Arras und Amiens werden der Liste von Parteichefin Marine Le Pen über 40 Prozent der Stimmen vorhergesagt – der Vorsprung zur Sarkozy-Partei „Die Republikaner“ dürfte 12 bis 14 Prozent betragen. Die Sozialisten, für die Frankreichs Norden seit Jahrzehnten eine Hochburg war, wo sie die Macht in der Vergangenheit bestenfalls mit den Kommunisten teilen mussten, werden gerade mal die 20-Prozent-Marke überschreiten.
Dasselbe gilt für die Region Provence – Alpes – Côte d'Azur mit den Grosstädten Nizza und Marseille, wo Marinne Le Pens Nichte, die 25-jährige Marion Maréchal Le Pen, Spitzernkandidatin ist. Auch sie dürfte die 40-Prozent-Marke überschreiten. Auch sie wird den konservativen Kandidaten, den Sarkozy-Intimus und langjährigen Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, deutlich hinter sich lassen. Die Sozialisten, die diese Region derzeit und seit 15 Jahren regieren, sind zu einer Quantité négligeable geworden.
Rund 30 Prozent landesweit – noch nie in der jüngsten Geschichte Frankreichs lag eine rechtsextreme Partei auf einem derartigen Level.
Vor allem aber könnten in den Regionen Nord – Pas de Calais – Picardie und Alpes – Provence – Cotes d'Azur mit insgesamt 11 Millionen Einwohnern beide Le Pens auch nach der entscheidenden Stichwahl am 13. Dezember an erster Stelle liegen. Eine grosse Wochenzeitung nannte diese Perspektive jüngst den "anderen Ausnahmezustand" in diesem Land.
Was tun?
Frankreichs Premierminister hat in der letzten Woche gebetsmühlenhaft die Sätze wiederholt: "Es steht ausser Frage, dass die Nationale Front in einer Region gewinnt. Alles muss getan werden, um das zu verhindern."
Alles? Das würde bedeuten: Die Sozialisten müssten ihre Liste im zweiten Wahlgang ganz zurückziehen und aufrufen, für die Kandidaten von Sarkozys Partei «Die Republikaner» zu stimmen. Sie würden damit für 6 Jahre ganz aus der Regionalpolitik verschwinden. Der Premierminister hat diese Möglichkeit dezidiert nicht ausgeschlossen.
Vierte Wahlschlappe für Hollandes Partei
Frankreichs Linke, die gespalten wie noch nie in diese Wahlen gegangen war, wird an den kommenden zwei Wochenenden bereits die vierte Wahlschlappe erleiden, seit François Hollande 2012 Präsident wurde. Sie wird nach diesen zwei Wahlgängen so ramponiert dastehen wie schon seit über 20 Jahren nicht mehr. François Hollandes zwischenzeitlicher Höhenflug in den Popularitätswerten, die seit den Attentaten um 22 Prozent nach oben geschossen sind, wird den sozialistischen Kandidaten bei den Regionalwahlen kaum etwas nutzen. Wenn die Linke am Ende drei oder vier Regionen behält, darf sie schon zufrieden sein. Und auch Sarkozys Konservativen, ursprünglich angetreten, um sämtliche 13 Regionen zu erobern, wird auf Grund der Stärke der Nationalen Front der ganz grosse Wahlsieg verwehrt bleiben.
Angesichts einer Situation, in der die Nationale Front seit Jahren permanent und überall im Land zulegt und angesichts des nun mal geltenden Wahlsystems grenzt das Verhalten der Parteien links von den Sozialisten diesmal definitiv an politischen Analphabetismus – im ersten Durchgang in allen Regionen gemeinsame Listen mit den Sozialisten zu verweigern, war in diesem Kontext schlicht unverantwortlich. Die Grünen dürfen sich auf Jahre hinaus in der französischen Politik auf ein Schattendasein einstellen. Dem laut tönenden Jean Luc Melenchon wird es mit seiner Linksfront nicht besser egehen. Ihr Insistieren, überall eigene Listen zu präsentieren, dürfte – zumal nach den Terrorattentaten – als Kinderei abgestraft werden.
Geschmack am Ausnahezustand?
Es ist erst drei Wochen her, dass der Terror in Paris gewütet hat – und schon scheinen der sozialistische Präsident und seine Regierung, allen voran der sich martialisch gebende Premierminister Manuel Valls, grossen Geschmack am Ausnahmezustand gefunden zu haben. Kaum hat das Parlament ihn mit vier einsamen Gegenstimmen um drei Monate bis Ende Februar verlängert, sind schon die ersten Töne zu hören, man müsse ihn danach nochmals verlängern. Frankreich im permanenten Ausnahmezustand. Warum ihn nicht verlängern bis zur nächsten Präsidentschaftswahl, unken bereits einige.
Präsident und Premierminister reden fast täglich vom Krieg. Der Präsident lässt sich 48 Stunden vor der Wahl noch schnell auf den Flugzeugträger Charles De Gaulle vor der Küste Syriens fliegen, um das Image des Kriegsherren zu untermauern. Schon kommt der Verdacht auf, es handle sich um peinlich hilfose Winkelzüge, damit das sich abzeichnende Wahldesaster etwas weniger grausam ausfällt.