«Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen». Die hehren Ziele der Initiative tönen gut, die Schlagworte wirken verlockend. Die AUNS sagt ja dazu. Dennoch ist ein Nein zur Extreminitiative angezeigt. Der weltoffene Geist, der die Schweiz stark und wohlhabend gemacht hat, ist unser Markenzeichen.
Die Holzhammermethode ist unschweizerisch
Der Drang der Initianten, der unkontrollierten Einwanderung einen Riegel zu schieben (die jährliche Nettozuwanderung dürfte 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung nicht übersteigen), stösst in weiten Kreisen der Bevölkerung auf offene Ohren. Auch die Warnung vor der zubetonierten Schweiz geniesst einigen Support. Doch schon der erste Satz des Art. 73a, der neu in der Bundesverfassung stehen würde, verheisst nichts Gutes: «Der Bund soll eine Einwohnerzahl auf dem Niveau anstreben, auf dem die natürlichen Grundlagen dauerhaft sichergestellt sind». Genau dieses Ziel lässt sich mit keiner Initiative erreichen.
Dass gleichzeitig die Förderung der freiwilligen Familienplanung im Ausland durch Bundesmittel – Gelder der Entwicklungshilfe – gefördert werden soll, ist an sich eine löbliche Idee, da die Betonung auf der Freiwilligkeit liegt. Der unmittelbare Zusammenhang mit den Hauptzielen der Initiative wirkt allerdings konstruiert und etwas missionarisch.
In der Bundesverfassung einmal mehr eine starre Regelung für virulente Probleme unserer Zeit festschreiben zu wollen, ist unschweizerisch. In unserem Land sind primär Bürgerinnen und Bürger aus freien Stücken gefordert. Dass unser ökologischer Fussabdruck zu gross ist, liegt in der privaten Verantwortung.
Weniger Einwanderung – weniger Umweltbelastung?
Die Ansicht, mit Begrenzung der Einwanderung die Umweltbelastung vermindern zu können, vertreten durch den Ecopop-Initianten Benno Büeler, ist nicht zielführend. Zu weniger Umweltbelastung könnten wir alle beisteuern, wenn wir nur wollten: mit Verhaltensänderungen im Alltag. Dass der Verein Ecopop wegen der Umweltprobleme die Bevölkerungszahl in der Schweiz und in anderen Ländern zu stabilisieren trachtet, ist weltfremd.
Weniger Umweltbelastung ist das erklärte Ziel vieler vernünftiger Menschen. Da die persönliche Freiheit – auf die wir mit Recht so stolz sind – offensichtlich eine delikate Sache ist, die sich schlecht einschränken lässt, versucht man es jetzt mit der Zuwanderung. Doch die vielen Menschen, die bei uns leben und ausländerskeptische Reaktionen provozieren mögen, sind Bestandteil unserer Gesellschaft – solange wir in unseren KMU, Grossbetrieben, öffentlichen Verwaltungen und Spitälern offene Stellen zu besetzen haben, kommen jene, die sie besetzen möchten und sich dazu eignen. Mit dieser liberalen Haltung hat die Schweiz enorm viel gewonnen, seit Jahrzehnten. Die Verantwortlichkeit aller Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes für eine nachhaltige Zukunft ist weder an den Staat, noch an Vereine zu delegieren.
Philipp Aerni, Experte für Forschung im Umfeld von Wissenschaft, Technologie und Innovation für eine nachhaltige Entwicklung an der Universität Zürich meint, rückblickend auf die lange Reihe von «unheimlichen Ökologen»: «Meistens wollten sie das Gute und haben sich beklagt, dass man sie missversteht. Das Problem war aber immer, dass sie die Konsequenzen ihrer Politik nicht verstanden oder einfach unbelehrbar waren.»
Zubetonierte Schweiz
Die Initiative sieht in der Zuwanderung den zu hohen Ressourcenverbrauch begründet. Wir täten wohl gut daran, vor unserer eigenen Haustüre zu wischen. Die Schattenseiten des überbordenden, landschaftsfressenden Wohnungsbaus sind die Folgen einer unersättlichen Baubranche und rekordtiefer Finanzierungskosten. Halde um Halde wird auf Vorrat überbaut, noch wird das benötigte Geld praktisch zum Nulltarif in die Baggerschaufeln geworfen.
Wer die Debatten im Ständerat zur Ausformulierung der Zweitwohnungsinitiative verfolgt, stellt einmal mehr ernüchtert fest: Die Umsetzung der Idee, auf diesem Weg den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, wird von den betroffenen Branchen und Gemeinden und ihren Lobbyisten in den Parlamenten solange torpediert, bis die Ausnahmeregelungen und Schlaumeierdefinitionen ungestörtes Weiterbauen auch dort ermöglichen, wo der zulässige Zweitwohnungsanteil längst überschritten ist. Der Ständerat lässt grüssen. Diese Laissez-faire Einstellung entwickelt ihre Sogwirkung. Dafür verantwortlich sind wir, nicht die Ausländer.
Ökologischer Fussabdruck Swiss made
Der Footprint – oder ökologische Fussabdruck – zeigt, wie viele Ressourcen ein bestimmter Lebensstil verbraucht. Die Masseinheit ist dabei der Planet Erde. Jeder Footprint über 1 ist nicht nachhaltig, weil er mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde langfristig bietet. Wenn alle so leben würden wie die Schweizerinnen und Schweizer, bräuchte man 2,8 Planeten.
Schweizerinnen und Schweizer weisen also einen viel zu hohen Fussabdruck auf. Dies ist kein Platz auf dem Siegerpodest. Die Initianten mögen aus echter Sorge um diesen Zustand gehandelt haben, das soll ihnen zugestanden sein. Dennoch ist der Lösungsvorschlag, hier eine Besserung über die Beschränkung der Zuwanderung zu erreichen, eine Fehlüberlegung. Der Pro-Kopf-Ressourcen-Verbrauch ist Hauptursache für diesen nicht nachhaltigen Zustand und dieser wiederum die Folge unseres Lebensstils. Der unstillbare Mobilitätsdrang Herrn und Frau Schweizers (Flugreisen, Privatverkehr etc.) ist nur ein Beispiel.
Wie viele Einwohner unser Land im Jahr 2050 haben wird, weiss niemand. Zu behaupten, ohne diese Initiative würden es 12 Millionen sein, ist unseriöse Extrapolation, unwürdige Angstmacherkampagne. Korrekt dagegen ist die Feststellung, dass diese Initiative inkompatibel mit den bilateralen Verträgen ist. Doch das wird in Kauf genommen. Die Bilateralen seien ohnehin tot, tönt es aus dem Lager der Initianten. Deshalb ist die Kündigung der Bilateralen explizites Programm. Realisieren die Leute überhaupt, was das für unser Land hiesse?
Untaugliches Punktesystem
Benno Büeler weist in Diskussionen darauf hin, dass das vorgesehene Punktesystem (in Kombination mit Kontingenten) Vorteile aufweise. Sogar liberale Ökonomen würden dem Positives abgewinnen. Vor allem ein Punktesystem mit Numerus Clausus, wie in Kanada, Australien, Neuseeland praktiziert, hat es ihm angetan. Nur: Das System ist mit unserem Freizügigkeitsabkommen mit der EU nicht kompatibel.
Ob die EU dereinst mit der Schweiz über eine Steuerung der Einwanderung verhandeln wird, hängt weder von Herrn Büeler, noch von Herrn Blocher, sondern vielmehr davon ab, ob der Anpassungsdruck aus dem Innern der EU weiter rasant zunehmen wird. Drängten sich in Brüssel die EU-Skeptiker weiter ins Rampenlicht – sie alle punkten in erster Linie auf dem Gebiet der unlimitierten Zuwanderung – würde das merkelsche «Nicht verhandelbar» wohl eines Tages obsolet. Mit durchaus positiven Folgen für unser Land.
Roger Federer und der internationale Wettbewerb
In einem bemerkenswerten Interview im TA (20.9.2014) äussert der ETH-Präsident Ralph Eichler grosse Bedenken, sollte die Initiative angenommen werden. «Eine Annahme wäre verheerend.» Der Physiker und Chef einer der renommiertesten Hochschulen Kontinentaleuropas (ETH-Forscher erhielten bisher 21 Nobelpreise, vor 92 Jahren auch ein gewisser Albert Einstein, eingewandert) erinnert einmal mehr daran, «dass uns nur der internationale Wettbewerb zeigt, wo wir stehen. Letztes Jahr wurden der ETH von der EU 18 ERC-Stipendien zugesprochen mit einem Gegenwert von 45 Millionen Franken.» Gerne zitiert er seinen Kollegen Patrick Aebischer von der ETH Lausanne, der den Vergleich geprägt hat: Was bringt Roger Federer alles Preisgeld dieser Welt, wenn er bloss noch in der Schweiz spielen darf?
Forschung, und damit eine der Vorbedingungen unseres Wohlstands, gedeiht nur bei offenen Grenzen – in der Schweiz seit 1848 mit eindrücklichem Erfolg.
Welche Schweiz wollen wir?
Statt sich in unproduktiven Schwarzweiss-Diskussionen zu verlieren und unbeweisbare, aber medienwirksame Behauptungen aufzustellen, gibt die Ecopop-Abstimmung willkommene Gelegenheit, Grundsätzliches zur Zukunft der Schweiz zu thematisieren. Wie könnten Visionen aussehen? Bevor schon wieder in die dualistische Schützengrabenmentalität des Entweder-Oder die Diskussionen beherrscht, ein Vorschlag zur Güte: Es stehen mehr als zwei Modelle offen, es geht nicht darum, sich zwischen rückwärtsorientierter «Schrumpfschweiz» oder zukunftsgerichteter «Ehrgeizschweiz» zu entscheiden.
Die Nuancen zwischen einer bewahrenden, wertkonservativen, skeptischen Zukunftseinstellung und jener neugierigen, liberalen und optimistischen sind vielfältig. Somit geht es nicht um eine schicksalshafte Weichenstellung.
Vielmehr sollten wir alle unsere Verantwortung wahrnehmen und das vielfältige Wegnetz zwischen rückwärts oder vorwärts (für viele auch zwischen links oder rechts) sorgfältig auskundschaften, unterhalten, ausbauen, sicherer machen. Zwischen dem Drang, die Zeit zurückdrehen oder die «Mission» Wirtschaftswachstum über alles stellen zu müssen, liegt das Potenzial des sorgfältig suchenden Bedenkens.
Die Ressourcen einer Bevölkerung, die nicht nur passiv konsumiert oder lauthals kritisiert, sind gewaltig. Ob die weitverbreitete Angst vor Jobverlust, Wohnungskündigung, Zubetonierung des Landes zu einem Ja zur Initiative führen könnte, ist ungewiss. Doch Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Schliesslich sehen sich Schweizer und Schweizerinnen nicht als Angsthasen.