Das Bild war bunt und phatansievoll , es ging laut und poetisch zu , als jüngst auch Frankreichs Strassenkünstler protestierten. Artisten, die gemeinhin im öffentlich Raum auftreten, hatten eine Demonstration organisiert, die rückwärts ging - nach dem Motto: Rückschritt überall, sozial gesehen sowieso, aber auch was die Demokratie, den Rechtsstaat, die Grund- und Menschenrechte angeht. Doch sie waren nur ein paar hundert Demonstranten, die Öffentlichkeit hat sie kaum wahrgenommen.
Ariane Mnouchkine tut was sie kann
Gewiss, man kann auf Ariane Mnouchkine zählen, die Legende der französischen Theaterszene. Gleich einer Pasionaria mit leisen Tönen war sie in diesen Monaten auf jeder der Pariser Grossdemonstrationen zugegen. Und wie man das von Künstlern erwarten kann, hatten sie und ihre bunte Truppe des „Theatre du Soleil“ , in der immer noch ein Geist des Kollektivs und der Solidarität weht, von Anfang an gespürt, dass es bei diesen Protesten in Frankreich um weit mehr ging, als nur um die Rentenreform.
Und so trugen sie eine mehrere Meter hohe, strahlend weisse Marionette der Justitia auf ihren Schultern mit sich, die nach und nach zum Emblem des Protestes, zum Star der Pariser Demonstrationen geworden war, eine Justitia, die hin und wieder von einem Schwarm schwarzer Raben angegriffen wurde. Theater auf der Strasse, begleitet von Transparenten mit Zitaten grosser Schriftsteller. Da war unter anderem der Satz von Romain Rolland zu lesen: „Wenn die Ordnung Unrecht ist, ist Unordnung schon der Anfang von Gerechtigkeit". Oder ein Rousseau Zitat, das da lautet: „ Mit Geld kann man alles haben, ausser gute Sitten und wirkliche Citoyens". Besonders viel Beifall fanden Benjamin Constant und sein Satz aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts: "Die Regierung sollte sich damit begnügen, gerecht zu sein. Um das Glücklichsein kümmern wir uns selbst."
Die Proteste, so erklärte Mnouchkine, seien für viele Franzosen eine Möglichkeit, die Arroganz, die Taubheit und die inakzeptable Brutalität der Regierung von Nicolas Sarkozy zurückzuweisen, einer Regierung, die ein herablassendes Verhalten gegenüber der Bevölkerung an den Tag lege, schon allein dadurch, dass etwa Arbeitsminister Eric Woerth die Rentenreform im Parlament verteidigt habe, ein Mann , der normalerweise, so Mnouchkine, wegen der Bettencourt-Affäre schon längst angeklagt sein müsste. Und sie verbirgt nicht, dass sie, was den sozialen Frieden in Frankreich angeht, beunruhigt ist. Das Gefühl von Ungerechtigkeit , das sich im Land ausgebreitet hat, birgt Gewalt in sich."
"Chronik der Regentschaft von Nicolas I"
Mnouchkine tut, was sie kann. Wo aber sind zum Beispiel die Schriftsteller, die den Niedergang der letzten Jahre thematisiert hätten, das Absinken des Niveaus der öffentlichen Auseinandersetzung, die sich ausbreitende Vulgarität in der politischen Diskussion Frankreichs? Sicherlich, der Goncourtpreisträger des Jahres 1997, Patrick Rambaud, hat schon unmittelbar nach der Wahl Sarkozys das hofstaatliche Leben rund um den Präsidenten nicht mehr ertragen, sich an das ausgehende 17. und beginnende 18. Jahrhundert erinnert, als ein gewisser Saint Simon Buch geführt hatte über das Leben am Hof Ludwig XIV. Seitdem legt Rambaud jedes Jahr einen Band vor, geschrieben im Stil des 18. Jahrhunderts, der sich bestens verkauft, unter dem Titel : „ Chronik der Regentschaft von Nicolas I".
Rambaud präsentiert eine Welt aus Lakaien, Günstlingen und Hofnarren, in welcher der Generalsekretär des Elysees als Kardinal daherkommt, Aussenminister Kouchner als theatralischer Graf von Orsay, Gräfin Bruni Kaiserin Cecilia ablöst und der Ritter Guaino – einer von Sarkozys wichtigsten Beratern- den Monarchen in Zivilisation unterrichtet und seiner Majestät die Reden schreibt. Die zweite Chronik, zu einer Zeit, als Sarkozys Popularität bereits einzubrechen begann, endete mit der Frage: „Wurde sich seine Majestät bewusst, dass, wie hoch der Thron auch sein mag, man darauf immer nur mit seinem Hinterteil sitzt?"
Wie verwöhnte Kinder?
Doch diese in historische Kulisse gehüllte Schärfe und Bissigkeit eines zeitgenössischen Schrifstellers gegenüber dem Hausherrn im Elysee, seiner Politik, seines Stils und seines Niveaus, bleiben eine Ausnahme. Unter Frankreichs immer wieder bemühten Intellektuellen herrscht weitgehend das grosse Schweigen. Keiner der Henri-Levys, Glucksmanns oder Finckielkrauts hat sich eingemischt in die Sozialproteste der letzten Monate – einen Blick über die Pariser Ringstrasse auf die soziale Misere in Frankreich zu werfen, scheint über ihre Kräfte zu gehen.
Dem Essayisten Pascal Bruckner ist nicht viel mehr eingefallen, als Ende letzter Woche den Franzosen zuzurufen , sie möchten doch aufhören, wie verwöhnte Kinder mit den Füssen zu stampfen und Luc Ferry, der Philosoph, der auch mal Bildungsminister war, hat zu Protokoll gegeben, Frankreichs Schüler hätten keinerlei Grund, auf die Strasse zu gehen. Wörtlich : „Die Situation der Jugendlichen in Frankreich war noch nie so beneidenswert wie heute“. Zu seiner Verteidigung: der Herr lässt sich gelegentlich im Rolls Royce seiner Frau chauffieren, verständlich, dass er da mit der Bodenhaftung gewisse Probleme bekommt.
Zorniger Appell eines 93-jährigen an Frankreichs Jugend
Ein alter, zorniger, 93-jähriger Mann, distinguiert und im Grunde ewig jung, scheint Frankreichs Jugend da besser zu verstehen . Stéphane Hessel, 1917 in Berlin geboren, dessen persönliche Geschichte, vor allem die seiner Eltern, die Grundlage für das Drehbuch von Truffauts „ Jules et Jim“ war , einer, der Buchenwald und Dora überlebt hat, Mitglied des Nationalen Widerstandskomitees war, welches ausgangs des Kriegs die theoretischen Grundlagen für den französischen Sozialstaat legte, mit René Cassin 1948 die universelle Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen formuliert hat - dieser alte Herr, der von formvollendeter Höflichkeit ist und heute noch Dutzende von Gedichten in drei Sprachen auswendig kann , hat jetzt ein kleines Bändchen veröffentlicht unter dem Titel „ Empört Euch ! „ Ein Appell an Frankreichs Jugend , in dem er betont, Empörung sei die Grundlage jedes Widerstands .
„ Wir, die Veteranen der französischen Widerstandsbewegung“, schreibt Hessel, „rufen die jungen Generationen auf, das Erbe des Widerstands und seiner Ideale am Leben zu erhalten und weiterzugeben. Wir sagen ihnen: übernehmt den Stab, empört Euch ! Die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen dürfen nicht abdanken und sich nicht beeindrucken lassen von der derzeitigen Diktatur der internationalen Finanzmärkte, welche den Frieden und die Demokratie bedroht. Ich sage den jungen Menschen: schaut euch um! Ihr werdet Themen finden, die euere Empörung rechtfertigen – die Behandlung von Ausländern, Einwanderern ohne gültige Papiere und der Roma.“
Dies schreibt kein ultralinker Hitzkopf, sondern ein zorniger, alter Mann, ein geborener Deutscher, der einst , 1937, im alter von 20 Jahren, französischer Staatsbürger wurde.
Hört nicht auf die Intellektuellen
Und dann war da noch Emmanuel Todd, streitbarer Demograph und Historiker und immer gut für einen Eklat. Ihm ist jüngst der Kragen geplatzt. In einer Fernsehdiskussionsrunde ist er regelrecht explodiert und polterte:
„Was wirklich schlimm ist in Frankreich, ist dieser Präsident. Und dass ein System, wie das französische System es ermöglicht , dass wir dieses Ding da
( „ce machine – gemeint war Sarkozy) an der Spitze des Staates haben. Er ist jemand, der uns dazu bringt, Schande zu empfinden, Franzose zu sein . Wir haben einen Präsidenten, der aus niederen, innenpolitischen Motiven gegen das nationale Interesse arbeitet und eine Gefahr für unser Land ist. „
Doch diese wenigen, im Grunde nicht wirklich lauten und weittragenden Stimmen von Intellektuellen und Kulturschaffenden stören Frankreichs Präsidenten wenig. Manchmal lädt er einige von ihnen zum Essen ein, aber nicht, um zuzuhören, sondern um sie mit einem Monolog zu überhäufen. Ein Präsident, so sagen viele immer offener, der selbst keine Kultur hat, es sei denn eine Fernsehkultur. Wenn er einmal ein Buch in der Hand hält, sieht das sofort so aus, als habe es ihm Ehefrau Carla in die Hand gedrückt.
Sarkozy und Camus
„Wozu jemandem ein Buch schicken, der nicht liest und der nicht weiß, dass man umblättern muss, um der Handlung zu folgen“, hatte der bereits zitierte Goncourt-Preisträger Patrick Rambaud einst auf die Frage geantwortet, ob er Präsident Sarkozy sein letztes Werk habe zukommen lassen. Wenn der Präsident auf kulturellem Terrain dann einmal selbst initiativ wird, geht das prompt schief. Als er vor einem Jahr Anstalten machte, vor Ende seiner Präsidentschaft die sterblichen Überreste von Albert Camus ins Pariser Pantheon überführen zu wollen, ging ein richtiggehender Aufschrei durchs Land, als würde sich Nicolas Sarkozy an Albert Camus vergreifen. Ein Camus, der Politiker äusserst gering schätzte, von ihnen sagte , es seien Menschen ohne Ideale und Grösse und den Satz geschrieben hat: „ Jedes Mal, wenn ich eine politische Rede höre, bin ich erschrocken , darin keinerlei menschlichen Ton zu vernehmen. Es sind immer die gleichen Worte, die die gleichen Lügen aussprechen.“
Dass ausgerechnet ein Nicolas Sarkozy, Freund des französischen Geldadels und Grosskapitals, den integren, sein Leben lang bescheidenen Moralisten Camus für sich einspannen wollte, war dann doch zu viel des Guten. Der Präsident musste sein Vorhaben sang- und klanglos wieder aufgegeben. Albert Camus hat unter der Zypresse auf dem Friedhof von Lourmarin im Luberon weiter seine Ruhe.