Man wird den Eindruck nicht los, dass die islamistischen Terroristen in Frankreich seit den Attentaten von Mohammed Merah in Toulouse und Umgebung 2012, schleichend aber stetig, einen Sieg nach dem anderen davontragen.
Denn das Ausmass und die Brutalität der Attentate und die sehr bewusste Auswahl der Ziele am 13. November 2015 vor der Fussballarena Stade de France, auf den Terrassen der Cafés im 10. und 11. Pariser Arrondissement und in der historischen Musikhalle „Le Bataclan“ haben in der französischen Gesellschaft eindeutig Spuren hinterlassen und die Politik zu einer Reihe von höchst umstrittenen Massnahmen verleitet.
Trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse und Beschwörungen, man werde sich von den islamistischen Terroristen nicht beeindrucken lassen, hat sich in den letzten zwei Monaten - anders als nach den Attentaten im Januar 2015 gegen Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt - im Land eine diffuse Lähmung breit gemacht. „Nach dem 13. November wird nichts mehr so sein wie vorher“ - dieser immer wieder geäusserte Satz trifft leider zu. Und die Stimmung in dem ohnehin nicht sehr optimistischen Frankreich ist heute definitiv pessimistischer denn je.
Kriegsherr Hollande
„Die Terrormiliz IS wird nicht siegen, sondern im Gegenteil: Frankreich wird den ‚Islamischen Staat’ ausmerzen“, hatte Präsident Hollande letzten November martialisch verlauten lassen, nachdem er sich für die Kriegsrhetorik entschieden und erklärt hatte, sein Land befinde sich von nun an im Krieg. Ein Krieg Frankreichs gegen einen Teil seiner eigenen Kinder, angesichts der Herkunft der Attentäter, von Mohammed Merah, über die Brüder Kouachi, Amedy Couylibaly bis hin zu einem Teil der Terroristen vom 13. November. Der einst als Weichling und Zauderer verschriene Staatspräsident war in die Kleider des Kriegsherrn geschlüpft und hatte gleichzeitig umgehend einen dreimonatigen Ausnahmezustand erlassen, der eine ganze Reihe von Grundrechten vorübergehend ausser Kraft setzt und im Prinzip bis 26. Februar dauern sollte. Doch schon Ende Januar haben Staatspräsident und Premierminister deutlich gemacht, dass dieser Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert werden soll – ein entsprechender Gesetzestext wurde bereits im Ministerrat eingebracht.
Der Ausnahmezustand mit Versammlungsverboten, nächtlichen Hausdurchsuchungen und Hausarresten ohne richterliche Genehmigung, sowie der Möglichkeit, unliebsame Vereine oder Einrichtungen kurzerhand zu verbieten oder zu schliessen, wird somit nach und nach zum Normal- und Dauerzustand. Premierminister Valls verstieg sich sogar zu der Äusserung, so lange die Bedrohung durch den Terror gegeben sei, werde man alle erdenklichen Mittel einsetzen und der Ausnahmezustand könnte so lange in Kraft bleiben, bis man die IS-Terrormiliz erledigt habe. Das aber kann, wie jedem klar sein dürfte, ein wenig dauern.
Verhältnismässigkeit
Mehr als 3’200 nächtliche Hausdurchsuchungen ohne richterliche Genehmigung hat es bislang gegeben. Gegen fast 400 Menschen – darunter auch gegen einige Umweltschützer während der COP 21– wurde Hausarrest verhängt. In drei Fällen musste der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht, diesen Hausarrest bereits wieder aufheben - etwa gegen einen Mann mit nordafrikanischem Aussehen, der mehrmals in der Nähe der Wohnung des Direktors von Charlie Hebdo gesehen worden war. Sein Pech: seine alte Mutter, die er regelmässig besuchte, wohnt im selben Haus wie der Charlie Hebdo-Chef. Gefunden hat man bei all den Hausdurchsuchungen, besonders in den ersten zwei Wochen, ganz überwiegend Diebesgut, Waffen und Drogen. „All das hat bisher zu ganzen vier Verfahren wegen eines Verdachts auf Terrorismus geführt“, klagte jüngst ein Vertreter der französischen Menschenrechtsliga. „Mehr als 3’000 Durchsuchungen und nur vier Verfahren – die Unverhältnismässigkeit der Massnahmen ist ganz offensichtlich.“
Die Menschenrechtsliga beklagt ausserdem, dass der Ausnahmezustand zusehends politisch motiviert ist und kritisiert das Argument des Staatspräsidenten, das da lautet: Verlängern wir den Ausnahmezustand nicht und es kommt erneut zu einem Attentat in Frankreich, dann werden wir dafür verantwortlich gemacht.
Nächstes Antiterrorgesetz
Die Sorgen, dass Frankreich im Begriff ist, in den permanenten Ausnahmezustand abzugleiten, werden auch dadurch verstärkt, dass bereits wieder ein neues Antiterrorgesetz in Arbeit ist, welches Massnahmen dauerhaft erlauben soll, die denen in Zeiten des Ausnahmezustands sehr ähnlich sind – etwa, dass nächtliche Hausdurchsuchungen vom Staatsanwalt und nicht mehr vom Untersuchungsrichter angeordnet werden oder die Präfekten als verlängerter Arm des Innenministers allein darüber entscheiden können, ob ein Syrien- oder Irak-Rückkehrer unter Hausarrest gestellt wird oder nicht.
Der Ausnahmezustand und generell die Politik gegen den Terrorismus der letzten zwei Monate bergen ganz eindeutig die Gefahr in sich, dass die Rolle der Justiz und besonders die des Untersuchungsrichters zusehends geschmälert wird und gleichzeitig die Polizei mehr und mehr Macht bekommt.
Sankt Nimmerleinstag
Trotz allem wird der Ausnahmezustand in den nächsten Wochen aber um weitere drei Monate verlängert werden und letztlich bis Ende Mai in Kraft bleiben. Dann aber steht die Fussballeuropameisterschaft in Frankreich unmittelbar vor der Tür und kaum jemand kann sich vorstellen, dass dieser Ausnahmezustand dann ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt für beendet erklärt werden wird.
Egal ob der Europarat in Strassburg sich bereits zwei Mal besorgt über diese Massnahme geäussert hat oder die französische Menschenrechtsliga, wenn auch erfolglos, den Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht, angerufen hatte, um ein Ende des Ausnahmezustands zu erwirken – der Präsident und sein Premierminister werden diese Politik der Härte, mit der sich die Franzosen in maximaler Sicherheit wähnen sollen, fortsetzen. Die Unterstützung der Bevölkerung dafür haben sie. Rund 70% der Franzosen sind auch heute noch mit einer Verlängerung des Ausnahmezustands einverstanden.
Erklären heisst entschuldigen
In einem derartigen Klima, in dem Grund- und Menschenrechte plötzlich sekundär erscheinen und kritische, kontroverse Diskussionen von den Mächtigen fast als störend empfunden werden, hat sich Premierminister Valls jüngst eine doch erstaunliche Breitseite gegen Soziologen und andere Geisteswissenschaftler geleistet, indem er den denkwürdigen Satz verbrochen hat : „Den islamistischen Terror erklären zu wollen, heisst bereits, ihn ein wenig zu entschuldigen.“ Für einen sozialistischen Premierministers im Land eines Descartes und der Aufklärung eine echte Bankrotterklärung.
„Bei aller Entschlossenheit, den Terror zu bekämpfen, will ich, dass Frankreich Frankreich bleibt.“ Diesen Satz hatte Präsident Hollande in seiner Rede vor sämtlichen französischen Abgeordneten aus Senat und Nationalversammlung im Schloss zu Versailles drei Tage nach den Terroranschlägen des 13. November gesprochen. Doch angesichts der jüngsten Entwicklungen fällt es immer schwerer zu glauben, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“, die erklärtermassen mit ihren Anschlägen in den westlichen Demokratien eine Art Bürgerkrieg auszulösen gedenkt, nicht doch dabei ist, Frankreich gerade gründlich zu verändern.