Die Henker lächelten, nachdem sie ihre Opfer auf höheren Befehl hin am Galgen erdrosselt hatten. Und die Zuschauer waren keineswegs erschüttert über die Hinrichtungen, , vielmehr sahen sie diese als einen normalen Teil des Krieges an. Denn der Galgen war, wie Anton Holzer in seinem bedrückenden Buch „Das Lächeln der Henker - Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918“ schreibt, die Hauptwaffe im versteckten Krieg gegen unschuldige Zivilisten im Ersten Weltkrieg. Die Aufnahmen der Hinrichtungen stammen, wie Anton Holzer darlegt, überwiegend von einfachen Soldaten und Offizieren, die offenbar „keinerlei Scheu“ hatten, die Greueltaten in privaten "Knipserbildern“ festzuhalten.
Auf blossen Verdacht hin gehenkt
Auf über 200 Seiten belegt der Autor an Hand der von ihm gesammelten Photographien von Hinrichtungen, wie besonders die österreichisch-ungarische Armee auf den Kriegsschauplätzen etwa in Serbien und in der (heutigen) Ukraine Menschen auf den puren Verdacht hin, sie könnten Spione des Feindes sein, aufhängen ließ. Anton Holzer beschreibt auch, wie Journalisten – etwa Egon Erwin Kisch – oder Autoren wie Karl Kraus in seinem Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ und der kroatische Autor Miroslav Krleza Zeugen der Greueltaten wurden oder von diesen hörten und diese dann literarisch verarbeiteten.
Anton Holzer schreibt: „Der weitaus größte Teil der Opfer waren unschuldige Zivilisten. Meist waren es Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten, die kollektiv der „Spionage“ oder der „Unzuverlässigkeit“ verdächtigt wurden. Es brauchte nicht viel, um die unerbittliche Maschinerie der Militärjustiz in Gang zu setzen. Ein unbesonnenes Wort, eine mißverständliche Geste, der Hinweis eines Denunzianten reichten, um die Beschuldigten an den Galgen zu bringen.“
Ein Krieg auch nach innen
Es dauerte einige Zeit, bis die Greueltaten, welche das Militär der k.u.k Monarchie oft gegen die eigene, allerdings ausschließlich nicht deutschsprachige Bevölkerung beging, zu Hause bekannt wurden. 1917 klagte der aus Galizien stammende polnische Abgeordnete im Wiener Reichsrat, Thaddäus Tertil, „daß wir es mit zwei Kriegen zu tun haben, der eine ist der Krieg nach außen, der andere nach innen“. Ebenfalls 1917 sagte der aus Galizien stammende polnische Sozialdemokrat Ignazy Daszynski vor dem Parlament in Wien, der Einzug des k.u.k –Militärs in Galizien sei „der Einzug des Galgens und des Mordes“ gewesen.
Polnische, serbische, kroatische und ruthenische (ukrainische) sowie tschechische Delegierte prangerten den Feldzug des Militärs gegen die eigene Bevölkerung an. Daszynski sagte unter den empörten Zurufen anderer Abgeordneter: „Ich weiß nicht, in wie vielen Fällen – die einen sprechen von 30´000 Gehenkten, die anderen sagen, es seien doppelt so viele – gehenkt wurde. Aber man henkte blind, man henkte ohne jedes Bewußtsein, worum es sich handelt.“
Die Todesurteile des österreichischen Generals
Der aus Dalmatien stammende kroatische Schriftsteller und Abgeordnete Ante Tresic–Pavicic erklärte: “ Die ganze serbisch-montenegrinische Grenze wurde, wie die Pfalz unter Ludwig XIV. beinahe entvölkert und in eine Wüste verwandelt.“ Der Redner nannte auch Einzelheiten: „Was national bewußt und ehrlich war, das wurde verhaftet, konfiniert, interniert, ruiniert, verurteilt, exekutiert; was zu jung oder zu alt war, wurde dem Hungertode preisgegeben, das Übrige terrorisiert, demoralisiert, entehrt.“
Als einen besonders Verantwortlichen nannte der Abgeordnete den österreichischen General Potiorek, der bei der Ermordung von Thronfolger Franz Ferdinand am 28.Juni 1914 Landeschef von Bosnien und Herzegovina war und keinerlei Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Thronfolgers bei dessen Besuch in Sarajevo getroffen hatte. Offenbar wollte sich Potiorek nun persönlich an den Serben rächen. Er allein soll 1500 Todesurteile unterzeichnet haben.
25 Kronen für eine Hinrichtung
Der Autor Anton Holzer zitiert den österreichischen Historiker Hans Hautmann. Nach dessen Einschätzung sind zwischen 1914 und 1918 etwa 30´000 Ruthenen (Ukrainer) sowie 30´000 Serben ohne „feld- und standesgerichtliche Verfahren“ hingerichtet worden.
Die Prozedur der Hinrichtungen sei, schreibt Anton Holzer, penibel geregelt worden. In der entsprechenden Anweisung habe es geheißen: „Wenn die Justifizierung durch den Strang durch eine sich freiwillig meldende oder hiezu kommandierte Mannschaftsperson durchgeführt wird, gebührt dieser ab 1.Jänner 1915 für jede Hinrichtung eine Entlohnung von 25 K (zwanzigfünf Kronen) zu Lasten des M Titels 9-d“.
Zitate von Joseph Roth und Karl Kraus
Autor Anton Holzer beschreibt auch, wie sich die Greueltaten des k.u.k.-Militärs später in der Literatur niedergeschlagen haben. Er zitiert Joseph Roth und dessen Roman „Radetzkymarsch“, in dem Roth schreibt: „Der Krieg der österreichischen Armee begann mit Militärgerichten. Tagelang hingen die echten und vermeintlichen Verräter an den Bäumen, auf den Kirchplätzen, zur Abschreckung der lebenden.“ Karl Kraus läßt in seinem Stück „Die letzten Tage der Menschheit“ den Nörgler ausrufen: „Die allerhöchste Majestät, die Österreich hat, ist doch der Galgen.“
Und den Hauptmann Prasch läßt Karl Kraus sagen: „Das ist mein erster italienischer Gefangener, mit meinem eigenen Säbel habe ich´s getan. Meinen ersten russischen Gefangenen habe ich vorher martern lassen. Am liebsten gehe ich auf Tschechen. Ich bin gebürtiger Grazer. Wer mir in Serbien begegnet ist, den habe ich auf der Stelle niedergeknallt.“
Egon Erwin Kisch fand keine Worte
In seinem Stück „Galizien“ rückt der kroatische Schriftsteller Miroslav Krleza nicht die eigentliche Front in den Vordergrund, sondern die Henker und den Galgen. Krleza habe damit, schreibt Anton Holzer, die propagandistische Perspektive der offiziellen Kriegsberichterstattung umgedreht, die den Blick auf die Gewalt hinter der Front stets gemieden habe. „Der Galgen wird bei ihm zum Ort des brutalen , schrankenlosen Terrors.“
Merkwürdig indessen, daß Egon Erwin Kisch, wie Autor Anton Holzer bemerkt, manche Greueltaten der österreichischen Armee nicht notiert hat. Kisch war damals Korporal in der österreichischen Streitkräften, kam als solcher auch nach Lesnica, einem kleinen Ort in Westserbien. Dort drang die Armee (das Massaker hier in Kurzfassung) in das Haus der 66jährigen Savka Velimirovic ein, fand dort eine Patrone aus dem Gewehr ihres Sohnes, der im serbisch-bulgarischen Krieg gefallen war.
Die alte Dame wurde an den Füssen gefesselt. Dann wurde sie mit anderen Gefangenen gezwungen, einen Graben auszuheben, sie wurden gezwungen die Hymne „Lang leben Franz Joseph“ zu singen und wurden erschossen. Danach wurde Lesnica systematisch geplündert. Kisch, der andere Greueltaten der österreichischen Armee durchaus notierte, fand, jedenfalls nach Feststellung von Anton Holzer, für diese Untaten keine Worte.
Die fragwürdige Rolle der Bilder
Der Feldzug gegen die Zivilbevölkerung, der Krieg, wie Autor Anton Holzer schreibt, der Bewaffneten gegen Unbewaffnete, habe den Anfang einer langen Gewaltgeschichte dargestellt. Die Bilder von Hinrichtungen im ersten Weltkrieg berichten, schreibt Holzer, „von einer kriegerischen Tendenz, die sich in den kommenden Jahrzehnten noch steigern sollte – der systematischen Ausweitung der Kampfzone. Im Schatten der großen Kriege hat sich ein weniger sichtbarer, aber nichtsdestotrotz brutaler Krieg ausgebreitet. Er richtet sich gegen die Zivilbevölkerung.“
Die Kriege gegen die Zivilbevölkerung haben sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt – z.B. in afrikanischen Ländern wie im Kongo und in Nigeria, im Nahen Osten wie in Syrien, im Irak, in Palästina.
Indessen, es gibt noch eine weitere, traurige Parallele, die Autor Anton Holzer aufzeigt. Er schreibt: „Was hat, so könnte man fragen, Abu Ghraib mit den Ereignissen des ersten Weltkrieges zu tun ?“ Es gebe legitime Vergleichsmöglichkeiten, schreibt Holzer. Auch im Irak seien Zivilisten die ersten Opfer gewesen. Und im berüchtigten Gefängnis von Abu Ghraib vor den Toren Bagdads hätten, wie im ersten Weltkrieg, Bilder eine große Rolle gespielt. Auch in Abu Ghraib habe es neben Tätern und Opfern eine dritte Gruppe gegeben, die der Photographen. Bei den Folterungen seien stets auch Schaulistige dabei gewesen. „Und unter ihnen befanden sich fast immer auch Photographen, die immer wieder auf den Auslöser ihrer Digitalkameras drückten.“
Kleine Neros der ekelhaften Spielart
Warum aber haben Menschen ihre Greueltaten auch noch auf Bildern fest gehalten ? In einem langen Schlußkapitel sucht der Autor eine Antwort. Sehr kurz gefaßt ist es diese: „Das medial Unauslöschliche der Photographien aus Abu Ghraib hat wohl auch damit zu tun, daß sich in die Bilder des Schreckens die Lust an der Gewalt mischt. Das Bild, das die amerikanische Soldatin Lynndie England mit dem Gefangenen an der Hundeleine zeigt, ist ein solches Motiv: Es zeigt nicht nur die Demütigung, sondern auch die Lust daran.“ Und Anton Holzmann fügt hinzu, daß dann am häufigsten photographiert worden sei, wenn es um „sexuelle Erniedrigung“ gegangen sei.
Sexuelle Erniedrigung durch die Bewaffneten an den Unbewaffneten habe aber durchaus Tradition, schreibt Holzer und zitiert Kurt Tucholsky, der nach dem ersten Weltkrieg geschrieben habe: „ Die Lagerkommandanten, die ihre Hunde auf die Geschlechtsteile der Gefangenen hetzten, waren Neros, aber kleine, eine ekelhafte Spielart.“
Quelle: Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der Unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918. Mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotografien. Primus Verlag, Sonderausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 2014, 208 S., 24.95 Euro.
Siehe auch: Heiko Flottau: „Jede Humanität ist unangebracht. Ein Schweizer dokumentierte österreichisch-ungarische Kriegsverbrechen in Serbien“. Journal21 vom 25.März 2014