Die Ausstellung «Out oft he Box» im Schaulager ist – beabsichtigt oder nicht – ein Gegenpol zur «Art Basel», die dieses Wochenende schliesst: kein «Jahrmarkt der Eitelkeit», wie die NZZ die «Art» charakterisiert, sondern die Gelegenheit, in Ruhe grosser Kunst zu begegnen.
Das Schaulager beim Dreispitz-Areal in Münchenstein nahe der Basler Stadtgrenze ist kein «normales» Museum, sondern, wie schon der Name sagt, ein Hybrid: Es ist ein Lager für die vielen Werke der 1933 von Maja Hoffmann-Stehlin gegründeten Emanuel-Hoffmann-Stiftung, und es kann, im Gegensatz zu üblichen Kunstdepots, besichtigt werden – wenigstens teil- und zeitweise.
Wichtigster Partner des Schaulagers ist das Kunstmuseum Basel, das auf die Sammlungsbestände zurückgreifen kann. Diese Bestände werden auch immer wieder für Museumsausstellungen in der ganzen Welt ausgeliehen. Das vor zwanzig Jahren eröffnete Gebäude von Herzog & de Meuron bietet den Kunstwerken auf drei Obergeschossen Raum. Sie sind nicht, wie in Museumsdepots üblich, in Kisten verpackt, sondern werden so präsentiert, dass Fachleute sie besichtigen können.
Die grosszügigen Parterre- und Untergeschossräume des Schaulagers hingegen dienen den Ausstellungen fürs allgemeine Publikum, in der Regel mit Bezügen zu den Ankäufen der Emanuel-Hoffmann-Stiftung. Manche dieser Ausstellungen waren monographisch ausgerichtet – so die grossartige, Dieter Roth gewidmete Eröffnungsausstellung, aber auch Ausstellungen über Francis Alÿs, Steve McQueen, Mathew Barney, Bruce Nauman, Jeff Wall und andere. Stets stellten sie in kluger Präsentation bedeutende Gegenwartskunst in den Fokus.
Blick in die Sammlung
Nun holt das Schaulager für die Ausstellung «Out of the Box» Werkgruppen aus den Sammlungsetagen und richtet mit ihnen im Unter- und Erdgeschoss eine Schau ein, die den einzelnen Werken viel Raum lässt und die Besucherinnen und Besucher einlädt, sich in Ruhe auf die oft komplexe und sich nicht auf Anhieb erschliessende Kunst einzulassen. So entsteht eine Atmosphäre, die eine fruchtbare Begegnung mit der Kunst unterstützt und wie sie in den meist engen, von geschäftiger Betriebsamkeit erfüllten Galerie-Kojen von Kunstmessen eben nicht zu finden ist. Das schmale Ausstellungsheft mit seinen informativen Texten zu einzelnen Werken trägt das Seine zu dieser Atmosphäre bei. Die in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind meist dem oberen oder obersten Segment des Marktes zuzurechnen und im internationalen Kunstbetrieb fest verankert.
«Out of the Box» ist eine Sammlungsausstellung, welche die Werke nicht einem Generalthema unterordnet, sondern für sich stehen und sprechen lässt. Das schliesst Schwerpunkte wie zum Beispiel Videoinstallationen nicht aus, welche auch der Dimension der Zeit ihren Tribut zollen. Charakteristisch für das Vorgehen der Kuratorin Isabel Friedli ist überdies, dass die Künstlerinnen und Künstler mehrheitlich nicht nur mit einer einzelnen Arbeit, sondern gleich mit Werkgruppen zu Worte kommen. Das steigert die Qualität der Begegnung mit den unterschiedlichen kreativen Ansätzen und gestattet eine eingehende Beschäftigung mit den Werken.
Kippen ins Absurde
Gleich zu Beginn des Parcours erwartet uns eine Überraschung: Wir sehen eine perfekt gestylte Küche. Da öffnet sich die Kühlschranktür, heraus zwängt sich eine schwarz gekleidete Frau und entschwindet kommentarlos nach rechts: «Out to Lunch» nennt sich das kurze Video der Schwedin Klara Lidén (*1979). «Closer Now», ebenfalls von Lidén, zeigt eine enge, steil abwärts führende Gasse, durch die sich eine Frau abwärts rollen lässt. Beide Videos zeigen die Künstlerin-Performerin selber. In «Closer Now» bringt sie sich zusätzlich ins Spiel, indem sie drei frei im Raum hängende Kartonboxen rotieren lässt, die, gestapelt, der Körpergrösse der Künstlerin entsprechen. Beide Arbeiten sind in ihrer Anlage und Technik einfach, aber zugleich hintergründig: Sie lassen schlichte Alltagssituationen unvermittelt ins Absurde kippen.
Ähnlich der Raum des Schweizers Jean Frédéric Schnyder (*1945), der mit Bananenschachtel-Kartons und Klebeband Architekturmodelle aufbaut – zum Beispiel ein Ensemble von zwölf unterschiedlichen Kirchen oder 100 identische und akribisch genau ausgerichtete Einfamilienhäuser. Eine Absage an die «Kostbarkeit» künstlerischer Objekte, wie sie die Kojen der «Art» füllen? Ein Bekenntnis zum «billigen», alltäglich verfügbaren Material, das die Oberflächlichkeit mancher Wertvorstellungen unterwandert? Ironie auch in den Werktiteln: Sie entsprechen den auf den Karton aufgedruckten Originaltexten. Da ist auch Peter Fischli (*1952): Er versammelt in einem Raum an städtische Verkehrsampeln gemahnende Skulpturen. Sie blinken verschiedenfarbig und beinahe echt – und erinnern, verstörend, in ihrer Form an Galgen.
Tacita Deans Dante-Trilogie
Ein Hauptstück der Ausstellung ist die 2019 bis 2022 entstandene Trilogie zu Dantes «Divina Commedia» der Britin Tacita Dean (*1965). Die Künstlerin bedient sich in diesem Opus Magnum dreier verschiedener Medien: «Inferno» ist eine riesige, aber höchst fragile Zeichnung mit weisser Kreide auf schwarze Masonit-Holzfaserplatten, «Purgatory (Threshold)» ist eine Farbstiftzeichnung auf belichtetem Fuji Velvet Fotopapier, «Paradise» eine 25-minütige Videoprojektion zum Musikstück «Paradiso» von Thomas Adès.
Die «Inferno»- Zeichnung zeigt eine auf den Kopf gestellte Berglandschaft; da herrscht eisige Kälte statt, wie üblich, höllische Gluthitze. «Purgatory (Threshold)» ist ein Ort des Überganges: Die 370 auf 468 cm messende Farbfotografie zeigt einen Jacaranda-Baum, dessen violette Blüten die Künstlerin in einem komplizierten Positiv-Negativ-Verfahren in ein fahles Grün verwandelte. Im Video zu «Paradise» (Bild ganz oben) schliesslich wendet sich Tacita Dean Farbmischungen zu, wie sie der Dissenter William Blake (1757–1827) für seine Darstellung esoterischer Neigungen und träumerischer Visionen verwendete.
Tacita Dean lässt diese sich stets verändernde, in vielen Schattierungen leuchtende Farbigkeit zum sanften Fluss von Adès‘ Musik in schönem Rhythmus kreisen. Tacita Deans Werke entfalten auf Anhieb ihre Wirkung, Wer mit ihrer Komplexität vertraut werden und tiefer blicken will, muss aber doch einige Zeit investieren.
Banalität des Alltags
Nahtlos zur Ausstellung «Out of the Box» fügen sich auch die beiden festen Installationen im Untergeschoss des Schaulagers: «Rattenkönig», 1993 entstanden, von Katharina Fritsch (*1956), und «Untitled» (1995–1997) des Amerikaners Robert Gober (*1954). Gobers buchstäblich unter die Haut gehendem Werk, das in der Sammlung der Emanuel-Hoffmann-Stiftung prominent vertreten ist, gibt die Ausstellung auch im Erdgeschoss breiten Raum. Ebenso kommt Dieter Roth (1930–1998) prominent zur Geltung mit Zeichnungen, mit Selbstporträts aus Schokolade und Vogelfutter und mit der riesigen Videoinstallation «Soloszenen» von 1997–1998: Wir werden auf den 128 Monitoren Zeugen von banalen alltäglichen Verrichtungen des alternden Künstlers.
Das Engagement für Dieter Roth lässt sich wohl auch verstehen als ein kunsttheoretisches Statement des Schaulagers. Es ist das Engagement für einen Künstler, der die Widersprüchlichkeit seines eigenen Künstlerdaseins demonstrierte und weit davon entfernt war, das Kunstwerk als «ewigen Wert» oder gar als beständige Kapitalanlage zu zelebrieren. Er unterwarf seine Selbstporträt-Büsten aus Schokolade bewusst dem schonungslos sichtbar gemachten Alterungsprozess. Verschimmelung ist ihr wesentlicher Bestandteil, Restauratoren-Bemühungen hin oder her. Genauso schonungslos und ehrlich weisen die «Soloszenen» jeden Gedanken an ein Heldentum des Künstlers von sich: Roths eigenes alltägliches Leben ist ebenso banal wie jedes andere Leben auch.
Mit der Ausstellung «Out of the Box» gibt das Schaulager aus Anlass seines zwanzigjährigen Bestehens Einblick in die Ankaufspraxis der Emanuel-Hoffmann-Stiftung, die geprägt ist von einem hohen Qualitätsbewusstsein, das Beliebigkeiten ausschliesst und sich einsetzt für oft radikale und damit anspruchsvolle Positionen der Gegenwartskunst. Die Ausstellung zeigt neben den bereits erwähnten Künstlerinnen und Künstlern Werkgruppen oder Einzelwerke u. a. von David Claerbout, Gina Fischli, Rodney Graham, Gary Hill, Thomas Ruff, Anri Sala und Monika Sosnowska.
Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, Münchenstein. Bis 19. November. Ab Basel SBB Tram 11 Richtung Aesch bis Schaulager