Frankreichs Parteien, von links bis rechts, sind derzeit allesamt in einem beklagenswerten Zustand - mit einer Ausnahme: Marine Le Pens rechtsextreme Nationale Front - sie strotzt vor Selbstbewusstsein, lässt die Muskeln spielen, protzt mit Mitgliederzulauf, lässt gleichzeitig eine neue Generation von Kadern ausbilden und darf mit Recht von sich behaupten, nicht mehr am Rand des politischen Geschehens in Frankreich, sondern im Gegenteil, mitten im Zentrum zu stehen. Ob es ihnen gefällt oder nicht, die traditionellen Parteien kommen derzeit nicht mehr darum herum, sich gegenüber der Nationalen Front zu positionieren. Mit den Kommunalwahlen im kommenden März am Horizont ist es, als drehe sich das politische Leben Frankreichs derzeit einzig und allein um die rechtsextreme Partei. Die beiden grossen Parteien, UMP und PS, sind angesichts der zunehmenden Popularität der Le Pen-Partei richtiggehend gelähmt, zerbrechen sich ergebnislos die Köpfe darüber, wie sie die Wählerwanderungen hin zur Nationalen Front stoppen können oder wie man sich verhalten soll gegenüber dieser Partei nach einem 1. Wahlgang und vor der Stichwahl. Die Parteispitze der konservativen UMP ist gespalten bei der Frage, inwieweit man sich inhaltlich auf das Terrain der Rechtsextremen begeben soll und zudem mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Parteibasis schon einen Schritt weiter ist und ohne Skrupel und mehrheitlich für gemeinsame Listen mit der extremen Rechten bei den Kommunalwahlen plädiert, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, die Linke zu schlagen. Der Schutzwall gegenüber Le Pen und Co. scheint in diesen Wochen endgültig gebrochen und damit ein Jahrzehnte altes Tabu.
Frankreichs müde Sozialisten
Die Sozialistische Partei existiert als solche in der öffentlichen Diskussion so gut wie gar nicht mehr, bringt weder Ideen noch Konzepte hervor, erscheint als eine Ansammlung von Apparatschiks und hat als Partei seit François Hollandes Wahl zum Präsidenten im französischen Alltag und im Ideenstreit weder moralisches, noch politisches Gewicht. Dabei stellen ihre Abgeordneten in der Nationalversammlung auch ohne Grüne, Kommunisten und Radikalsozialisten die Mehrheit. Frankreichs Sozialisten regieren in 20 von 21 Regionen des Landes und stellen, mit Ausnahme von Marseille und Bordeaux, in allen Grossstädten Frankreichs den Bürgermeister, nicht zu vergessen: fast ¾ der 95 Departementsräte werden von ihnen beherrscht. Doch die Parteimitglieder sind müde, die Erneuerung der Kader kommt nicht voran und von den Schichten der Arbeiter, der kleinen Angestellten und den Armen im Land ist die 1971 von François Mitterrand neu gegründet „Parti Socialiste“ weiter entfernt denn je.
Verkrustete Grüne
Die französischen Grünen („Europe Ecologie - Les Verts“, EELV) sind - auch ohne einem schlechten Wahlergebnis, wie dem ihrer deutschen Kollegen - derzeit wieder einmal in der Krise, schon wieder, möchte man sagen. Pascal Durand, erst seit 15 Monaten Parteivorsitzender, hatte vor einigen Wochen gemeint, Staatspräsident Hollande ein Ultimatum stellen zu müssen, nach dem Motto: wenn nach bald eineinhalb Jahren der rot-grünen Regierung in Sachen ökologischem Umbau in den nächsten 6 Tagen jetzt nicht endlich echte Schritte unternommen würden, könnten die Grünen dies nicht länger mittragen. Postwendend wurde er von den Apparatschiks und Realos seiner Partei, sowie von den zwei grünen Ministern, in einem, wie er später sagte, quasi-stalinistischen Prozess abgewatscht und dazu gedrängt, im November nicht noch einmal für das Amt des Parteivorsitzenden anzutreten. Fast erleichtert ergab sich Pascal Durand seinem Schicksal.
Noël Mamère, dem grünen französischen Urgestein und langjährigen Abgeordneten, dem einzigen, der vor über 10 Jahren für diese Partei bei Präsidentschaftswahlen wenigstens einmal mehr als 5% der Stimmen geholt hatte, war dies dann endgültig zu viel und für ihn die Gelegenheit, mit harten Worten „Europe Ecologie – Les Verts“ den Rücken zu kehren.
Diese Partei, so Mamère, produziere rein gar nichts mehr, sei nur noch Gefangene ihrer politischen Kalküle, ihrer Clans und der „Firma“ rund um die grüne Ministerin Duflot und letztlich nur noch eine Art Gewerkschaft oder Interessensverband der grünen Abgeordneten. Daniel Cohn-Bendit spendete aus Brüssel Beifall für Mamères Schritt und stimmte ihm bei seiner Analyse voll und ganz zu.
Die Grüne Partei EELV hat heute keine 10‘ 000 Mitglieder mehr und die Zeit, da sie bei den Europawahlen 2009 16 % der Stimmen erzielt hatte, scheint Lichtjahre zurück zu liegen. Ihr relatives politisches Gewicht in Frankreich heute - mit 17 Abgeordneten und 2 Ministern im Kabinett - verdankt die Grüne Partei nur ihrem Verhandlungsgeschick und der relativen Grosszügigkeit der französischen Sozialisten, die ihr bei den Parlamentswahlen 2012 eine Reihe von Wahlkreisen überlassen hatten, obwohl „Europe Ecologie Les Verts“ bei der Präsidentschaftswahl 2012 wenige Wochen davor mit der Kandidatin Eva Joly, der krassesten und peinlichsten Fehlbesetzung aller Zeiten, gerade 2,3 % und nur knapp 800‘000 Stimmen bekommen hatte und de facto auf ihre ganze Bedeutungslosigkeit reduziert worden war.
Sarkozy – Partei am Boden
Währenddessen ist die grosse konservative Partei, die so genannte „Einheit für eine Volksbewegung“, Sarkozys ehemalige Wahlmaschine UMP, ein Scherbenhaufen und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie hat auf Grund der Verluste bei den letzten Parlamentswahlen und der damit verbundenen geringeren staatlichen Finanzierung der Partei, nicht nur Schulden in zweistelliger Millionenhöhe, sondern de facto nicht mal einen glaubwürdigen Parteivorsitzenden - die Betrügereien und das anschliessende, Monate lange Hickhack bei der Urwahl zum Präsidenten der UMP im Herbst 2012, hat tiefe Wunden hinterlassen. Jean-François Coppé, der vor Ehrgeiz lechzende, im Zynismus einen Sarkozy noch übertreffende Parteichef der Konservativen, hat ständig seinen knapp und auf sehr undurchsichtige Weise unterlegenen Gegner, Ex-Premier Fillon, im Nacken. Beide haben sich, kaum dass Nicolas Sarkozy 2012 die Wahl verloren hatte, für die nächste Präsidentschaftswahl 2017 in Stellung gebracht und mit Hilfe der Medien, die das Spiel kritiklos mitspielen, den Eindruck erweckt, als wäre schon wieder Wahlkampf und stünde der nächste Urnengang bereits in wenigen Monaten bevor. Ähnliches hat Frankreich nach einer Wahl in den letzten 30 Jahren nie erlebt.
Ab und an hebt mal ein Konservativer die Hand und wagt zu sagen, man sollte doch vielleicht mal analysieren, warum man die Wahl 2012 verloren hat und so etwas wie Inventur machen, zumindest diskutieren, was denn falsch war an der Strategie und den Inhalten. Spätestens bei solchen Tönen erscheint aber Nicolas Sarkozy, wenn auch nur kurzzeitig, wieder aus der Versenkung und lässt durchblicken, dass er eine Inventur seiner 5-jährigen Präsidentschaft als Zumutung empfinden würde.
Frankreichs ehemaliger Präsident vollführt nun seit Monaten schon einen reichlich skurrilen Tanz, erklärt offiziell, er habe sich aus der Politik zurückgezogen, tut gleichzeitig aber nichts anderes als die Herren Fillon und Coppé, nämlich sich für 2017 ins Spiel und in Stellung zu bringen. Wirtschaftskrise, Pessimismus, die Massenarbeitslosigkeit und eine Bevölkerung, die unter Perspektivlosigkeit und Armut leidet - all dies scheint keine Rolle zu spielen angesichts der gigantischen Egos der drei Kontrahenten. Ihr Spektakel zeigt: es geht definitiv nur noch um Personen und deren Image, und keinen Finger breit mehr um Inhalte.
Nicolas Sarkozy hat sich neuerdings eine wahrlich kindische Masche zurechtgelegt, um im Gespräch zu bleiben. Er organisiert sich Privatbesuche in der französische Provinz, wo er vor und nach einem Essen mit Freunden hinter verschlossenen Türen ein längeres Bad in der Menge nimmt, öffentlich dabei nichts sagt, doch dafür sorgt, dass nach draussen getragen wird, was er hinter den verschlossenen Türen von sich gegeben hat. Ein ziemlich dummes Spielchen, bei dem schnell klar wird, dass er dann auf Fillon und Coppé, seine Kontrahenten, kräftig hingehaut hat, ein Spielchen, bei dem er sich aufbläst und wichtig macht, wie man das von ihm gewohnt ist und doch tatsächlich nicht davor zurückschreckt, sich als „Recours“ zu bezeichnen, als eine Art De Gaulle des 21. Jahrhunderts, als einen, den die Franzosen rufen könnten, wenn die Krise allzu schlimm kommt, der als Zoro einschwebt und im Handstreich alles wieder richtet. Die Politik interessiere ihn nicht mehr, Frankreich allerdings sehr wohl, erklärte dieser Tage ausgerechnet der Mann, der sich während seiner 5-jährigen Amtszeit als Machtbesessener allererster Güte gezeigt hatte.
Nationale Front - Zuschauen und Abwarten
Die Nationale Front und Marine Le Pen betrachten diese Veitstänze der Konservativen, der Sozialisten und der Grünen mit einem gewissen Amusement, mit gespielter Gelassenheit und mit grosser Genugtuung. Umso mehr, als ihnen eine gute Meinungsumfrage nach der anderen ins Haus schneit, Meinungsumfragen, die mehrere Entwicklungen und Tendenzen des letzten Jahres unterstreichen.
Marine Le Pens Zukunftsquote steigt und steigt. Auf die Frage, welcher Politiker in Frankreich künftig eine wichtigere Rolle spielen sollte, erhält die Front National-Chefin im Oktober 33% der Stimmen - ebenso viele wie die konservativen Ex-Premierminister Alain Juppé und François Fillon, sowie IWF-Chefin Lagarde. Nur Nicolas Sarkozy mit 35% und der populäre sozialistische Innenminister Valls mit 43% liegen noch vor ihr.
Andere Umfragen ergeben ebenso ermutigende Ergebnisse aus Sicht von Marine Le Pen. Unter den traditionellen konservativen Wählern ziehen 63% mittlerweile Marine Le Pen François Hollande vor, der nur auf 29% kommt. 70% der Sympathisanten der klassischen Rechten sind ausserdem dafür, das Verhältnis zur Nationalen Front zu normalisieren. Mit anderen Worten: Marine Le Pens Bestreben, ihre Partei so darzustellen, als sei sie eine Partei, wie alle anderen auch, ist von Erfolg gekrönt. Ihr vor Jahren begonnenes Unternehmen, die Nationale Front weiss zu waschen und hoffähig zu machen, scheint zu funktionieren. Letzte Woche ist sie dabei noch einen Schritt weiter gegangen, indem sie ankündigte, in Zukunft gegen Presseorgane Klage führen zu wollen, die die Nationale Front als rechtsextreme Partei bezeichnen, dies sei ein Vergehen gegen die Deontologie des Journalismus und die Verpflichtung zur Ausgewogenheit, ja eine semantische Kriegsführung gegen ihre Partei. Titel der Abendzeitung „Le Monde“ am nächsten Tag: „Le Front Nationale - un parti d'extrème-droite“.
Der Ruf nach einem Chef
Die öffentliche Diskussion in Frankreich wirkt in diesen Wochen merkwürdig angestaubt und veraltet und wieder einmal kann man den Eindruck nicht loswerden, dass das monarchische Präsidialsystem à la française einfach nicht mehr zeitgemäss und nicht auf der Höhe einer modernen Demokratie ist. Der in den Medien und in der Öffentlichkeit dieser Tage immer wieder zu hörende Ruf nach einem Chef, nach einem Präsidenten, der Autorität zeigen müsse, wirkt im Jahr 2013 doch gründlich überkommen. Wochenlang können die Medien hier in aller Ernsthaftigkeit darüber diskutieren, ob Präsident Hollande nun genügend Autorität hat oder nicht, um seine Minister zur Ordnung zu rufen, sie wieder in den Rahmen zu pferchen - „recadrer“ heisst das Wort, das nach der Polemik um die Roma dieser Tage im Land bis zum Überdruss verwendet wurde. Zur Ordnung rufen muss der Präsident, so erwartet man das offensichtlich, wenn die Minister wieder mal allzu frei, beliebig und widersprüchlich in den Medien getönt haben – ein Kasperltheater, in dem der Lehrmeister (Präsident) seinen Zöglingen (Ministern) auf die Finger klopfen soll, damit alles wieder seine Ordnung hat - eigentlich ein unwürdiges Spektakel für eine im Grunde seit langem gereifte Demokratie.
Resultat: als sei man im Kindergarten, müssen Minister ab jetzt, wenn sie zu Interviews eingeladen sind, ihre Zusage erst von Matignon, dem Amt des Premierministers, absegnen lassen. Es fällt schwer zu glauben, dass dies ernst gemeint ist. Und doch ist dem so. Dabei weiss jeder, dass sich spätestens in einem Monat niemand mehr dran halten wird.