Am 7. Juli passierte in Portugal, was nach Ansicht zahlreicher Landsleute nach viel Rumor überfällig war. An jenem Mittwoch wurde endlich der 72-jährige Präsident des Spitzen-Fussballclubs Benfica Lissabon, Luís Filipe Vieira, zur Vernehmung festgenommen. Schwerer Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung und Dokumentenfälschung sind einige der Delikte, derer er verdächtigt wird. Er muss so lange in Hausarrest bleiben, bis er eine Kaution von 3 Millionen Euro hinterlegt.
Operation „rote Karte“
„Cartão vermelho“ (rote Karte) heisst diese Operation, in der es um Beträge in dreistelliger Millionenhöhe geht. Prompt betonten der Club mit den roten Trikots und seine Aktiengesellschaft (Benfica SAD), dass keine Anschuldigungen gegen sie vorlägen. Vieira soll den Club durch Geschäfte mit Aktien der SAD gar geprellt haben. Zu den mutmasslich Geschädigten zählt auch eine Bank. Als Präsident ist Vieira mittlerweile abgetreten. Für ihn wurde der frühere Starkicker Rui Costa eingewechselt. Noch für dieses Jahr ist eine Neuwahl geplant.
Vieira war 2003 als Präsident angetreten und hatte sich im letzten Oktober im Amt bestätigen lassen. Zu den Mitgliedern der Ehrenkommission für seine Kandidatur gehörten damals der sozialistische Ministerpräsident, António Costa, und Lissabons ebenfalls sozialistischer Bürgermeister, Fernando Medina. Hätte Medina damals gewusst, was er heute wisse, so hätte er von diesem Engagement abgesehen, liess er in einem Interview verlauten. Ihm liegen natürlich schon die landesweiten Lokalwahlen am 26. September auf dem Magen. Er kandidiert für eine weitere Amtszeit im Rathaus der Hauptstadt. Und er weiss offenbar, dass man im Fussball im jeweils richtigen Moment die Nähe pflegen und auf Distanz gehen muss.
Trotz Verdienstorden im Zwielicht
Vieira ist nur eine weitere von mehreren bekannten Figuren, die in den letzten Jahren erfahren mussten, dass „Promis“ in Portugal doch nicht ganz unantastbar sind. Eine Woche vor Vieira traf die neue Welle den jetzt 77-jährigen Multimillionär und Kunstsammler José Berardo, ein Träger mehrerer nationaler und ausländischer Orden. Eine von ihm angelegte Sammlung von Gemälden und anderen Werken der modernen Kunst ist seit Jahren im Lissabonner Centro Cultural de Belém zu sehen. Berardo steht bei drei portugiesischen Banken mit insgesamt rund einer Milliarde Euro in der Kreide. Er wurde am 29. Juni zur Vernehmung festgenommen und kam nur gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro frei.
Berardo stammt von der Insel Madeira, emigrierte aber als junger Mann nach Südafrika, wo er durch Geschäfte im Bergbau zu einem Vermögen kam. In Portugal tat er sich in den letzten Jahren als Börsenspekulant hervor. 2007 wurde er ein wichtiger Aktionär des Banco Comercial Português (BCP), damals grösste private Bank im Land. Das nötige Kleingeld lieh ihm die staatseigene Caixa Geral de Depósitos (CGD). Als Sicherheit akzeptierte sie die erworbenen Aktien, deren Kurs aber bald stark abstürzen sollte. Also guckte die staatliche Bank in die Röhre.
Eine Bankenpleite und ihre Folgen
Manche Beobachter wittern ein politisches Komplott. Ministerpräsident war damals der Sozialist José Sócrates Pinto de Sousa (bekannt als Sócrates). Hat Sócrates, so fragt man sich, die staatliche Bank instrumentalisiert, um mit Hilfe von Berardo den privaten Rivalen an die Leine zu nehmen?
Ein Wirtschaftskrimi rankt sich auch um den Kollaps der einst mächtigen Gruppe Espírito Santo im Jahr 2014. Ihr gehörte der Banco Espírito Santo, zweitgrösstes privates Geldinstitut im Land. Espírito Santo galt als Bank aller Regime, war politisch fast immer bestens vernetzt und präsentierte sich als Bollwerk der Solidität. Als es 2013/14 im Gebälk knisterte, schauten die Regierung, die nationale Bankenaufsicht und auch die internationale Troika, unter deren Ägide das Land damals stand, nicht so genau hin. In Anbetracht von Verlusten in Milliardenhöhe wurde die Bank im August 2014 aber „abgewickelt“. Als einstiger Patriarch steht der 77-jährige Ricardo Salgado unter Anklage (Link https://www.journal21.ch/kriminelle-vereinigung-hinter-dem-aushaengeschild-der-hochfinanz). Er musste 2014/15 sogar einige Monate auf seinem luxuriösen Anwesen im schicken Cascais bei Lissabon in Hausarrest verbringen und sieht noch seinem Prozess entgegen.
Eine Festnahme mit Seltenheitswert
Strafverfahren gegen bekannte Figuren des öffentlichen Lebens sind in manchen anderen Ländern nicht gar so ungewöhnlich. Seltenheitswert hat in der EU aber immer noch die Festnahme eines Ex-Ministerpräsidenten wie die von José Sócrates, der 2005 bis 2011 in Portugal die Regierung geführt hatte. Er ging der Polizei im November 2014 am Flughafen von Lissabon bei der Rückkehr aus Paris ins Netz und musste mehr als neun Monate in U-Haft verbringen.
Im Jahr 2017 wurde der jetzt 63-jährige frühere Sozialist von der Staatsanwaltschaft zunächst wegen Korruption – vor allem just durch die Gruppe Espírito Santo – und anderer Delikte beschuldigt. Im April dieses Jahres strich ein Ermittlungsrichter jedoch einige der härtesten Vorwürfe aus der Anklage (Linkhttps://www.journal21.ch/ein-richter-schockt-die-nation), aber damit findet sich die Staatsanwaltschaft nicht ab. Wegen welcher Vorwürfe sich Sócrates eines Tages vor Gericht verantworten muss, steht noch dahin. In einem ganz Verfahren wurde ein langjähriger Freund von Sócrates und Minister einer früheren sozialistischen Regierung, Armando Vara, wegen Korruption sogar rechtskräftig verurteilt. Er trat im Jahr 2019 eine fünfjährige Haftstrafe an.
Oft keine Verurteilung und auch kein Freispruch
Noch immer arbeitet die Justiz oft sehr langsam. Wer einmal in Verdacht gerät, kann jahrelang mit dem Stigma des Verdachts leben müssen, ohne Verurteilung und ohne Freispruch. Immerhin aber ist die Vorstellung, dass sich Verfahren gegen prominente Figuren letztlich in Wohlgefallen auflösen oder im Sand verlaufen, ins Wanken geraten.
Ein seltsamer Fall rankte sich um den Kauf von zwei U-Booten für die portugiesische Marine im Jahr 2004. Ein französisches und ein deutsches Konsortium hatten sich um den Auftrag beworben, das deutsche bekam den Zuschlag. Prompt kam der Verdacht auf, dass Korruption im Spiel gewesen sein könnte. In Portugal galt das Augenmerk dem Verteidigungsminister der Jahre 2002–2004. In Deutschland wurden zwar gar zwei Manager wegen der Zahlung von Schmiergeldern in Portugal und bei einer ähnlichen Ausschreibung in Griechenland verurteilt. Wen sie in Portugal bestochen haben sollen, wurde nie geklärt, und so wurde auch niemand belangt.
Der politische Sprengstoff
Es geht bei den jüngsten Verfahren natürlich noch um Einzelfälle, obwohl sich die Affären manchmal kreuzen und mitunter die gleichen Namen fallen. In all dem, was schon zu Festnahmen, Anklagen oder gar Gerichtsverfahren führte, wollen die Frau und der Mann auf der Strasse des Landes freilich nur die Spitze eines Eisbergs sehen. In dem Land mit ausgeprägtem Klientelismus und stark verfilzter Gesellschaft glauben viele Menschen, dass wichtige Entscheidungen letztlich unter Freunden, unter Freimaurern oder Mitgliedern des Laienordens Opus Dei ausgeheckt werden. Gerade streitet man im Land über eine allfällige Pflicht zur Offenlegung von Mitgliedschaften in Freimaurerlogen.
Die jüngsten Beispiele für eine neue Gangart gelten immerhin als Zeichen dafür, dass die Justiz funktioniert. Kommentatoren sehen wohl zu Recht allerdings das Risiko öffentlicher Vorverurteilungen und einer allgemeinen Stigmatisierung hoher Figuren aus Wirtschaft, Politik und Sport.
Rechtspopulisten wittern Morgenluft
Der Wirbel treibt Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten, insbesondere der xenophoben Partei Chega, die 2019 erstmals ins Parlament einzog. Ihr Gründer und bisher einziger Abgeordneter, André Ventura, kam als Kandidat bei der Direktwahl des Staatspräsidenten im Januar dieses Jahres indes auf fast 12 Prozent der Stimmen. Aus einer Neuwahl des Parlaments könnte seine Partei laut manchen Umfragen als drittstärkste Kraft hervorgehen. Ventura gibt sich just gern als Saubermann und als Kandidat gegen das, was er „das System“ nennt.
Lange grassierte in Portugal derweil die Vorstellung, dass dieses Land am Rande von Europa gegen Rechtsextremismus immun sei. Was den Nährboden für die noch junge Rechtspartei bereitet, sind dabei wohl weniger rassistische Vorurteile als die Unzufriedenheit über besagtes „System“ – also über das, was sich mit einer neuen politischen Kultur ändern liesse. Mit dem nötigen Wandel tun sich Teile der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes aber schwer.