Die wie jedes Jahr hochinteressante Ausgabe 2025 von DODIS (Diplomatische Dokumente der Schweiz) zum aussenpolitischen Jahr 1994 – Freigabe durch das Bundesarchiv nach Ablauf der 30-jährigen Sperre – beginnt mit dem Satz «Die schweizerische Aussenpolitik muss mit dem Volk rechnen». Was 1994 galt, gilt heute noch, und wie: Plus ça change, plus ça reste la même chose.
Entsprechend beginnt die gewichtige Publikation, immerhin eingeleitet durch eine rund 20-seitige konzise Zusammenfassung, mit aussenpolitisch relevanten Abstimmungen im Jahre 1994. Es folgen verschiedene Abschnitte, namentlich zu Migration, Besuchsdiplomatie, Aussenhandel, bilateralen Abkommen (EU!) und international relevanter Medienpolitik. Von speziellem Interesse in den DODIS-Bänden sind jeweils die Protokolle der Beratungen im Bundesrat.
Nein zu Blauhelmen und Ja zur europafeindlichen Alpeninitiative
Die Vorlage von Bundesrat und Parlament zur Erlaubnis vom Auslandseinsatz schweizerischer Soldaten, hier speziell was friedenserhaltende Uno-Missionen mit Blauhelmsoldaten anbelangt, wurde vom Volk verworfen. Dadurch wurde ein Meilenstein gesetzt, der grundsätzlich unverändert heute noch eine scheinbar unüberwindliche Schranke zum Einsatz der Schweizer Armee jenseits der Landesgrenzen aufgerichtet hat. Kleinere Einsätze wie namentlich KFOR, die Friedensmission im Kosovo, bilden die Ausnahme, weil da schweizerische Interessen überwiegen – die grosse Anzahl von Migranten in der Schweiz aus dem ehemaligen Unruhegebiet und dem heutigen Staat Kosovo. Der Blauhelmentscheid erscheint als zeitgenössische Ausprägung des historisch bedingten «Mischet Euch nicht in fremde Händel». Das liest sich im Protokoll der damaligen Bundesratssitzungen so: Es bestehe ein zunehmendes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber aussenpolitischen Vorlagen, Blocher finde mit seinem nationalkonservativen Kurs vermehrt Zustimmung und schliesslich ein erstaunlicher – oder von ihm wohl doch nicht überraschender – Kommentar von Dölf Ogi, offensichtlich auch gegen die eigene Partei gerichtet, dass Rechtsparteien an Boden gewinnen würden.
Die Annahme der Alpeninitiative mit Restriktionen bei der europaweiten Alpenüberquerung schien für einen Moment das nach dem EWR-Nein von 1992 sorgfältig wieder aufgebaute Verhältnis der Schweiz zur EU in Gefahr zu bringen, was dann allerdings via gesetzliche Umsetzung der Initiative kein Thema mehr war. Dass nicht nur Naturfreunde der Initiative zustimmten, sondern eine unheilige Allianz von linken und rechten Nationalisten, war ebenfalls ein Thema.
Stich vs. Blocher
Von der nationalistischen Rechten, so den Schweizer Demokraten und der damals von Blocher präsidierten AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz), heftig bekämpft wurde der Beitritt der Schweiz zur Uno-Antirassismuskonvention, welcher aber auch dank einem engagierten Votum von Bundesrat Stich in einer SRF-Arena vom Volk angenommen wurde. So wie er sich 1992 für den ebenfalls erfolgreichen Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und Währungsfonds) ins Zeug gelegt hatte. Eine Lehre, die heute mehr denn je gilt. Ohne beherzten Einsatz der Regierung sind aussenpolitische Abstimmungen nur schwer zu gewinnen. Darum heute auch die in den grossen Medien der Schweiz aufgeworfene Frage, ob der aktuelle Aussenminister der richtige Mann für die anstehende Aufgabe der Verteidigung der Bilateralen III sei.
Migration und EU
Diese zwei Dauerbrenner helvetischer Politik waren schon 1994 aktuell. Zwei rechtsnationalistische Initiativen zur Begrenzung der Zuwanderung, eine von der SVP und eine von den Schweizer Demokraten, wurden im Bundesrat ausgiebig und generell negativ beraten, letztere wurde gar dem Parlament zur Ungültigerklärung weitergeleitet, was 1996 denn auch ausser ordentlicherweise geschah. Auslöser solcher Initiativen waren insbesondere Kosovaren, die aus ihrem damals noch Teil von Serbien bildenden Land vertrieben wurden.
In den Beziehungen zur EU, durch das schweizerische Nein zum EWR 1992 nachhaltig zerrüttet, fanden 1994 die ersten behutsamen Schritte statt, die 1999 zu den Bilateralen I führen sollten. Auf der Basis einer Umfrage des EDA wurde – schon damals – eine schleichende Aushöhlung des bilateralen Verhältnisses zu Partnerländern, insbesondere Deutschland beklagt. Was letztlich allein, so EDA-Staatssekretär Kellenberger im Fazit der Umfrage, durch einen Beitritt zur EU korrigiert werden könne. Im selben Jahr wurde Kellenberger vom Bundesrat mit der Verhandlungsführung gegenüber der EU betraut.
Auslandsreisen, Aussenhandel und ein Gipfel
Nicht weniger als drei schweizerische Minister reisten 1994 nach Russland, wo damals eine freiheitliche Aufbruchstimmung herrschte. Aussenminister Cotti und Wirtschaftsminister Delamuraz kamen mit positivem Fazit zurück, Justizminister Koller musste dagegen in Moskau dornige Fragen zu Umtrieben der russischen Mafia in der Schweiz aufnehmen. Bemerkenswert der Bericht von Bundesrat Delamuraz über Reisen nach Indonesien und Vietnam, gemeinsam mit Vertretern der schweizerischen Wirtschaft, wo er schon damals die heute sprichwörtliche «Dynamik und das Zukunftspotenzial des Fernen Ostens» hautnah erlebte und von dessen Zukunftspotential für die schweizerische Wirtschaft schwärmte.
In der umgekehrten Richtung wurde zum usanzgemäss einzigen Staatsbesuch pro Jahr in der Schweiz Lech Walesa, Präsident von Polen, empfangen; eine Premiere für einen Gast aus Mitteleuropa.
1994 war das Jahr des Übergangs vom Gatt (General Agreement on Tariffs and Trade) zur Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization); die energische deutsche Kandidatur von Bonn als Sitz dieser neuen Organisation ruft in Bern Besorgnis hervor. Grosszügige Bauvorhaben in der Rhônestadt und die internationale Reputation von Genf triumphierten aber über die nach dem Umzug nach Berlin wieder beschauliche, ehemalige Hauptstadt der BRD.
Das internationale Genf war 1994 auch Ort eines Gipfeltreffens zwischen dem Präsidenten der USA, damals Bill Clinton, und Hafiz al-Assad, dem Vater im syrischen Diktatorenduo. Clintons Grussworte an die Schweiz enthielt, nach der üblichen Einleitung zur schweizerischen Neutralität, ausdrückliches Lob für internationales Ausgreifen der Schweiz sowohl beim Einbinden der zentralasiatischen Stan-Staaten in die Bretton Woods Organisationen als auch für ihre Hilfe an die Palästinenser.
Medien und ein erster Schuldenbremser
Was heute von den Abbauern der SRG/SSR (Halbierungsinitiative und 10% Kürzung durch SVP-Medienminister Rösti) versucht wird, fand schon 1994 einen Vorläufer, indem die Bewilligung für ein Schweiz-Fenster des privaten deutschen Senders RTL im Bundesrat nur dank einem «Stichentscheid durch Stich» keine Gnade fand.
Finanzminister und Bundespräsident Stich, im Bild bereits auf dem Einband zum DODIS-Band 1994 anlässlich der erwähnten Arena-Sendung zur Anti-Rassismuskonvention, wird auch die Ehre des Schlussbildes zuteil. Dies in Form der Entgegennahme eines riesengrossen Sparschweins, habe er doch, so weiss DODIS zu berichten, bei praktisch jeder Bundesratssitzung vor Ausgaben in den Vorlagen seiner Kollegin (BR Dreifuss) und seiner fünf Kollegen (Cotti, Delamuraz, Koller, Ogi, Villiger) gewarnt.