Amerikas Republikaner sind weit davon entfernt, die Wahlniederlage im Kampf ums Weisse Haus verdaut und sich an die neue Rolle als Minderheit im Kongress in Washington DC gewöhnt zu haben. Noch immer zeigen sich etliche Vertreter der Partei überzeugt, dass Donald Trump und den Senatskandidaten der Grand Old Party (GOP) in Georgia die Wahl gestohlen worden ist: «The Big Lie» lebt fort. Trumpisten tun dies aus taktischen Gründen, um die Wählerbasis um jeden Preis bei der Stange zu halten im Hinblick auf die Zwischenwahlen 2022, die der Partei erneut die Mehrheit im Senat bescheren sollen.
Georgia im Zentrum
Doch die Republikaner klagen nicht nur, sie handeln auch. So planen die Parlamente republikanisch regierter Staaten, ihre Wahlgesetze zu revidieren mit dem Ziel, es Minderheiten künftig zu erschweren, ihre Stimme abzugeben. Das wird möglich, indem zum Beispiel dank grösser bürokratischer Hindernisse die Briefwahl behindert oder der Zugang zu den Wahllokalen erschwert wird. Dem Brennen Center for Justice zufolge sind in 43 Staaten 253 Motionen hängig, die das Wählen restriktiver gestalten wollen.
Zentral für solche Bemühungen, die als nötige Reformen deklariert werden, ist der Staat Georgia, wo die GOP am 3. November 2020 ihre Mehrheit um US-Senat verlor. Dies nicht zuletzt, weil es den Demokraten gelungen war, mehr Schwarze an die Urnen zu bringen. Ende März hat das Parlament in Atlanta ein neues Wahlgesetz verabschiedet, das der republikanische Gouverneur Brian Kemp als Fortschritt preist, der demokratische Präsident Joe Biden aber als «unamerikanisch» und Rückfall in die Zeiten des offenen Rassismus verurteilt.
Demokraten sprechen von einer Rückkehr zu «Jim Crow», jenem infamen Wahlsystem, das der schwarzen Minderheit das von der Verfassung garantierte Wahlrecht durch allerlei Schikanen verweigerte und erst 1965 auf Betreiben der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und nach dem Erlass eines neuen nationalen Wahlgesetzes ein Ende fand. Republikaner verneinen dies und argumentieren, die neuen Gesetze würden die Integrität von Wahlen stärken.
Georgias 98-seitige State Bill 202 verbietet zum Beispiel, Wartenden in den Schlangen vor den Wahllokalen Wasser oder Esswaren abzugeben. Lange Schlangen bilden sich erfahrungsgemäss vor allem in nicht-weissen Bezirken, d. h. in Gebieten, die demokratisch zu wählen pflegen. So betrug etwa bei den Vorwahlen in Georgia vom vergangenen Juni die Wartezeit nach sieben Uhr abends in überwiegend weissen Quartieren sechs Minuten, während sie in mehrheitlich nicht-weissen Gebieten 51 Minuten betrug.
«Im Kontext der Massnahmen, die Republikaner vorschlagen, um das Wählen zu erschweren, ist das Verbot der Abgabe von Wasser nicht der schlimmste Schritt», heisst es in einem Leitartikel der «Washington Post» zum Thema: «Die Massnahme steht aber stellvertretend für eine Partei, die sich dafür stark macht, für Wähler neue Hindernisse aufzubauen, und all das basierend auf Lügen über Wahlbetrug, um die politische Macht zu behalten.» Ein Kolumnist der Zeitung argumentierte, die Republikaner würden in Wirklichkeit nicht den politischen Gegner bekämpfen, sondern die Demokratie.
Republikaner gegen Coca Cola und Delta
Donald Trumps Parteigänger dürften jedoch nicht damit gerechnet haben, dass selbst lokale Unternehmen wie Coca-Cola oder Delta Airlines gegen das neue Wahlgesetz protestieren würden – ausgerechnet Vertreter des «Big Business», das der Partei bisher stets wohl gewogen gewesen war, weil sich die Republikaner für tiefere Steuern und weniger Regulierung einsetzt. Was Unternehmen jeweils mit grosszügigen Wahlspenden für die GOP zu verdanken wussten, nachdem der US-Supreme Court 2010 entschieden hatte, Wahlkampfinanzierung sei eine Form freier Meinungsäusserung und die Höhe von Spenden durch Private dürfe nicht begrenzt werden.
Senator Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im US-Senat, warnte nach den Protesten Amerikas Unternehmen, sich aus der Politik herauszuhalten, und drohte mit schlimmen Konsequenzen für den Privatsektor, falls er sich auf die Seite der Demokraten und des «linksextremen Mobs» schlage. Gleichzeitig aber fühlte sich McConnell, Heuchler par excellence, bemüssigt beizufügen, dass seine Äusserungen nicht beinhalteten, Firmen sollten künftig keine Wahlspenden mehr tätigen – eine Praxis, die er zeitlebens befürwortet hat. Auch Georgias republikanische Parlamentarier liessen sich nicht lumpen: Einige unter ihnen verbannten umgehend Coca-Cola aus ihren Büros und planen, eine Steuererleichterung auf Flugbenzin für Delta rückgängig zu machen.
Staatsrechtler mögen darüber streiten, wie einschneidend im Einzelnen die neuen Wahlgesetze sind, welche die Republikaner vorschlagen oder bereits beschlossen haben. Doch die Stossrichtung der Anträge und Erlasse ist klar: Es sollen jene Segmente der Wählerschaft bei der Ausübung ihrer Bürgerrechte behindert werden, die demokratisch wählen und so die Macht einer Partei gefährden, die im Gefolge Donald Trumps immer mehr zum Sammelbecken weisser Nationalisten mutiert. Die Behauptung, die Integrität von Wahlen stärken zu wollen, ist nach allen Lügen von Betrug bei der Präsidentenwahl und angesichts des Sturms auf das Kapitol reine Augenwischerei. Propaganda pur, die rechte Medien wie Fox News und deren unterwürfige Adlaten nach wie vor verbreiten.
Dabei ist nach ersten Anhörungen nicht auszuschliessen, dass das von Konservativen dominierte Oberste Gericht in Washington DC solchen Einschränkungen des Wahlrechts seinen Segen erteilen wird. Jedenfalls liess eine Mehrheit der Richter durchblicken, dass sie wohl nichts gegen zwei in Arizona erlassene Gesetze einzuwenden hätten, die es erlauben, nicht-weissen Wählern und Angehörigen von Minderheiten den Zugang zur Urne zu erschweren. Betroffen wären in erster Line «Native Americans».
Dissidente GOP-Stimmen
Auch opponieren die Republikaner gegen ein Wahlgesetz, das die Demokraten im Kongress vorschlagen. Die Bill H. R. 1 würde es unter anderem ermöglichen, Wähler automatisch zu registrieren, die Voraussetzungen für die Briefwahl zu vereinheitlichen und das willkürliche Ziehen der Grenzen von Wahlkreisen durch die Parteien zu stoppen. Der Widerstand der GOP gegen Versuche, allen Amerikanerinnen und Amerikanern die Ausübung ihres Wahlrechts zu erleichtern, liegt in der Demografie des Landes begründet: Minderheiten werden laut Prognosen bis 2045 die Mehrheit («Majority-Minority») im Lande bilden und die Vorherrschaft der weissen Machtelite brechen. Studien zeigen, dass für republikanische Wählerinnen und Wähler wie auch für weisse evangelikale Christen rassistische Ressentiments der wichtigste Beweggrund sind, die GOP zu wählen.
Immerhin gibt es innerhalb der stramm geschlossenen republikanischen Reihen noch einige dissidente Stimmen. Eine unter ihnen ist Georgias Vizegouverneur Geoff Duncan. «Republikaner brauchen keine Wahlreform, um zu gewinnen, wir brauchen gute Führung», sagte der Politiker in einem Fernseh-Interview: «Ich glaube, Millionen von Republikanern im Lande draussen erwachen und realisieren, dass Donald Trumps spalterische Rhetorik und Strategie nicht dazu beitragen, künftig Wahlen zu gewinnen.» On verra.