In portugiesischen Gefängnissen sitzen derzeit rund 12’700 Männer und Frauen ein. Etwa 1’200 von ihnen, also ein Zehntel der Häftlinge, soll im Zuge des Kampfes gegen das Coronavirus vorzeitig freikommen. So will es jedenfalls die Regierung. Über die am Donnerstag von Ministerpräsident António Costa angekündigte Initiative muss aber noch das Parlament befinden.
Eine „heikle“ Massnahme
Eine Welle von Ansteckungen gab es in den Haftanstalten des Landes zwar nicht. Vorsorglich hatte die Regierung schon Mitte März die Besuche erst in einigen nordportugiesischen Gefängnissen, dann auch die im Raum von Lissabon suspendiert. Fände das Virus aber den Weg in eine der Anstalten, in denen Häftlinge auf engem Raum zusammenleben, dürfte es sich aber rasch ausbreiten. Also soll Platz geschaffen werden – mit der Initiative, von der sogar Justizministerin Francisca van Dunem einräumte, dass sie „heikel“ sei.
Der Staatspräsident soll nun Häftlinge, die über 65 Jahre alt oder chronisch erkrankt sind, begnadigen können. Geplant ist zudem ein bedingter Erlass von Strafen mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren sowie die vorzeitige Entlassung von Häftlingen, deren Strafen in den nächsten zwei Jahren ablaufen. Aussen vor blieben, so der Plan, Strafen wegen Mord, Vergewaltigung und sexuellen Missbräuchen, häuslicher Gewalt, die Zugehörigkeit zu kriminellen Vereinigungen sowie im Amt begangene Delikte von Inhabern öffentlicher Ämter und Angehörigen der Sicherheitskräfte. Zudem sollen Freigänge bis zu 45 Tage (anstatt wie jetzt 3 Tage) währen können; am Ende dieser Periode wäre die Aussetzung der verbleibenden Haftdauer zur Bewährung möglich. Wer weitere Straftaten begeht, müsste allerdings die erlassene Haftdauer doch noch absitzen.
Kritiker könnten in diesen Erleichterungen nicht zuletzt einen Vorwand sehen, die Haftanstalten mit ihrem Mangel an Raum und Personal zu entlasten. Juristische Bedenken äusserte gegenüber der Tageszeitung „Público“ derweil der Rechtsprofessor Jorge Bacelar Gouveia, der die Pläne als verfassungswidrig einstufte. Straferlasse seien definitiv, der geltende Notstand erlaube aber nur temporäre Massnahmen. Als Alternativen sah er unter anderem den Hausarrest und die elektronische Fessel.
Unbürokratische Lösung für Einwanderer
Unter Personalmangel leidet auch die Ausländer- und Grenzbehörde, die sich mit einem Berg von Anträgen auf Aufenthaltserlaubnisse konfrontiert sieht. Um gerade jetzt in der Coronavirus-Krise die rechtlichen und praktischen Unsicherheiten für Antragsteller zu minimieren, beschloss die Regierung schon letzte Woche eine unbürokratische Lösung. Wer bis zum 18. März einen Antrag eingereicht hat, gilt als legalisiert.
Der entsprechende Nachweis sichert den Zugang zu Leistungen im gesundheitlichen und sozialen Bereich, also auch zu finanziellen Hilfen für Frauen und Männer, die ihre Jobs verlieren. Wie viele Migranten hiervon profitieren, ist nicht bekannt; die Brasilianer stellen aber die mit Abstand grösste ausländische Gemeinde im Land.
Ein Frühjahr ohne Ostern
Seit dem 19. März lebt Portugal im Notstand, der maximal 15 Tage dauern, aber erneuert werden kann. In der letzten Woche wurde die Erneuerung bis zum 17. April beschlossen. In Portugal gelten keine so harten Auflagen wie etwa in Spanien oder Frankreich, die Menschen sollen ihre Wohnungen aber möglichst nicht verlassen. Sie dürfen sich zur Arbeit begeben, Einkäufe und Spaziergänge machen und Hunde ausführen. Restaurants dürfen Essen nur zum Mitnehmen servieren.
Strenge Regeln gelten jedoch für die Ostertage, in denen dieses Jahr die üblichen Familientreffen ausfallen. Speziell in den Ostertagen dürfen die Menschen die Gemeinden (derer gibt es 308 auf Festland und Inseln), in denen sie leben, ohne besonderen Grund nämlich nicht verlassen.
Weniger stark betroffen als Spanien
Portugal hat diese Epidemie wenigstens bisher nicht gar so drastisch wie Spanien zu spüren bekommen. Spanien hat 4,5-mal so viele Einwohner wie Portugal (fast 47 gegenüber gut 11 Millionen), laut offiziellen Zahlen aber fast 11-mal so viele Covid-19-Fälle wie der kleine Nachbar, nämlich fast 125’000 gegenüber gut 10’500). Während die Epidemie in Spanien bis Samstag gut 11’700 Todesopfer gefordert hatte, beschränkte sich deren Zahl in Portugal noch auf 266.
Warum sind die Zahlen in Portugal relativ niedrig? Nachdem dort die erste Infektion erst Anfang März registriert worden war, liessen die Behörden weniger Zeit bis zur Ergreifung von eindämmenden Massnahmen vergehen. Gehör finden offenbar auch die Appelle an Menschen mit Krankheitssymptomen, sich nicht in die Spitäler zu begeben. Als offiziell empfohlene Anlaufstelle dient vielmehr eine schon seit Jahren bestehende Telefonlinie für medizinische Notfälle, bei der Krankenpflegerinnen oder -pfleger eine erste Einschätzung jedes Falles vornehmen und dann die nötigen Untersuchungen veranlassen. Natürlich stellt sich auch in Portugal die Frage nach der Dunkelziffer nicht identifizierter Infektionen.
Das Land stellt sich natürlich auf einen weiteren Anstieg der Zahl von Infektionen ein und will diesen verlangsamen, um einen Kollaps des staatlichen Gesundheitsdienstes zu vermeiden. Dieser ist schon zu normalen Zeiten überlastet, und wo genau die absolute Schmerzgrenze verläuft, kann gerade jetzt niemand ausloten wollen.